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Spagat zwischen Spätrenaissance und zeitgenössischer Musik
Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller
Anima (Kateryna Kasper) und Corpo (Julian Prégardien) streiten über den wahren Ort des Friedens. Cavalieris 1600 im Betsaal des Filippo Neri uraufgeführte Rappresentazione stellt ein Übergangswerk dar zwischen dem mittelalterlichen Mysterienspiel, was den Inhalt und die auftretenden Figuren betrifft, und einer Frühform der Oper, wenn man den musikdramatischen Aufbau betrachtet. Die Seele (Anima) und der Körper (Corpo) eines Menschen streiten darin über den wahren Ort des Friedens und treffen dabei auf eine Vielzahl allegorischer Figuren, die sie in ihrer Entscheidung zwischen weltlichem und himmlischem Leben zu beeinflussen versuchen. Letztendlich tragen Intelletto (der Verstand) und Consiglio (der gute Rat) den Sieg davon, indem sie das weltliche Leben als Vorort der Hölle entlarven und den Weg ins Paradies als das einzig anzustrebende Ziel preisen. Bei aller kirchlichen Propaganda, die in den Texten enthalten ist, und aller Nähe zum Oratorium, hatte Cavalieri allerdings bei dem Stück stets eine szenische Umsetzung im Sinn. Corpo (Julian Prégardien, Mitte) als Spielball zwischen Consiglio (Sebastian Geyer, links) und Intelletto (Francisco Brito, rechts) Schon mit der räumlichen Aufteilung des Orchesters wird im Bockenheimer Depot ein Klangerlebnis der besonderen Güte erzeugt. Während das auf Barockmusik spezialisierte Orchestre Atlante im Orchestergraben vor der Bühne sitzt und von dort aus die drei Cavalieri-Akte begleitet, sitzen die Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters mit modernen Instrumenten rechts und links neben dem Zuschauerraum und verschmelzen in den vier Intermezzi von Klaus Lang mit den historischen Instrumenten des Orchester Atlante zu einem ätherischen Klang. Ob man diese Zwischenspiele allerdings wirklich als die von Lang intendierten "zeitlich gestauchten Spiegelungen der Akte" erkennt, bleibt der musikalischen Fantasie der Zuhörer überlassen. Für den Liebhaber der Barockmusik mögen sie zwar nicht so verstörend wie andere zeitgenössische Musik wirken, als retardierende Momente des Handlungsablaufs allerdings vielleicht auch überflüssig erscheinen. Die Menschen (Ensemble Barock vokal der Hochschule für Musik Mainz, unten) mit Anima (Kateryna Kasper) unter dem Einfluss der weltlichen Verführungen (obere Reihe von links: Vanità (Ursula Stampfli), Piacere (Vasily Khoroshev), Fama (Stefan Biaesch), Vita mondana (Maren Favela) und Mondo (Vuyani Mlinde)) und der rationalen Stimmen (links: Consiglio (Sebastian Geyer), rechts: Intelletto (Francisco Brito)) Die Bühne von Claudia Doderer ist in mehrere Ebenen unterteilt, die die Positionen der allegorischen Figuren markieren. So befinden sich Vita mondana (das irdische Leben) und Mondo (die Welt) in einem grauen schäbigen engen Bühnenraum, der an einen Setzkasten erinnert. In diesem Ambiente können sich die irdischen Laster nicht entfalten und nur abstoßend wirken. Die Anima Beata (glückliche Seele) und die Anima Dannata (verdammte Seele) hingegen erscheinen als Schattenspiel in gleißendem Licht und suggerieren eine Art Reinheit, die nur im Paradies gefunden werden kann. Die Menschen sind von diesen Orten weit entfernt. Als einheitliche Masse in beigefarbenen Trenchcoats bewegen sie sich nur unterhalb dieser Ebene. Wie ein unbeschriebenes Blatt wirken Anima und Corpo in ihren weißen Kostümen, die sie als zwei Teile einer Persönlichkeit zeichnen. Einen starken Kontrast bieten dazu die allegorischen Figuren Tempo, Consiglio und Intelletto in ihren schwarzen Kostümen und der Angelo Custode in einem feuerroten Kostüm. Angelo Custode (Barbara Zechmeister, Mitte) zwischen Vita mondana (Maren Favela, oben) und Mondo (Vuyani Mlinde, oben) auf der einen Seite und den Menschen (Ensemble Barock vokal der Hochschule für Musik Mainz, unten) auf der anderen Seite Beim ersten Intermezzo schreitet der Chor aus dem Zuschauersaal durch den Orchestergraben in Richtung Bühne, wobei sie zunächst im Nichts versinken, was wohl die Vergänglichkeit alles Seins ausdrücken soll. Daraus entwickelt sich dann im ersten Akt der Diskurs zwischen Anima und Corpo über den wahren Ort des Friedens. Hendrik Müller findet in seiner Inszenierung für die zahlreichen Dialoge großartige Bilder, die sich auch in abstrakten Videoprojektionen während der Intermezzi fortsetzen. Besonders beeindruckend gelingt im dritten Akt die Szene, in der Intelletto und Consiglio die himmlischen Freuden gegen die Schrecken der Hölle abwägen und dabei die verdammten und die glücklichen Seelen zu Wort kommen lassen. Hier erleidet die an einem Seil gefesselte Anima regelrechte Qualen, bis sie sich schließlich für den Weg in den Himmel entscheidet. Im Schlussbild lässt Müller Anima als betende Heilige und Corpo als heiligen Sebastian an der Bühnenrampe posieren, während die anderen Figuren die Tugend und den Sieg des Herrn preisen. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Kateryna Kasper lässt als Anima mit strahlendem Sopran aufhorchen und begeistert durch intensives Spiel. Julian Prégardien stattet Corpo mit einem kräftigen Tenor aus und überzeugt durch seine lebhafte Darstellung. Das von Christian Rohrbach einstudierte Ensemble Barock vokal der Hochschule für Musik Mainz glänzt darstellerisch in der Rolle der Menschen und stimmlich durch einen homogenen Klang. Auch die anderen Solisten überzeugen in ihren Partien. Michael Form entwickelt mit dem Orchestre Atlante einen hervorragend barocken Sound, der durch nahezu ätherische Klänge in Klaus Langs Intermezzi von den Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unterstützt wird. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten für eine rundum stimmige Inszenierung und einen musikalisch großartigen Abschluss der Spielzeit. FAZIT Hendrik Müller findet hervorragende Bilder für Cavalieris inhaltlich recht sperriges Werk. Ob man die eingefügten Intermezzi von Klaus Lang wirklich benötigt oder ob der "reine" Cavalieri musikalisch ein größeres Erlebnis gewesen wäre, ist Geschmacksache.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Raum, Kostüme, Videokonzept
Licht
Video Choreinstudierung
Dramaturgie
Ensemble Barock vokal der Orchestre Atlante und Solisten
Anima (die Seele)
Corpo (der Körper) Tempo (die Zeit) / Consiglio (der gute Rat)
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Intelletto (der Geist) /
Piacere (das Vergnügen)
Angelo
Custode (der Schutzengel) / Eco (das
Echo) Vita mondana (das irdische Leben) / Mondo (die Welt) / Anima Dannata (die
verdammte Seele) La Vecchia (die Alte) / Vanità (die
Eitelkeit) Fama (das Gerücht) Der Mönch
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