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Parsifal


Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 15' (zwei Pausen)

Konzertante Aufführung in der Philharmonie Essen am 26. Januar 2013
(weitere Aufführungen im Konzerthaus Dortmund am 20. Januar 2013 und im Teatro Real Madrid am 29. und 31. Januar und 2. Februar 2013)


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Philharmonie Essen (Homepage)
Originalklang jenseits von Bayreuth

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sven Lorenz


Mit spektakulären szenischen Neudeutungen ist im gerade begonnenen Wagner-Jahr wohl kaum zu rechnen; zwar werden allerorten durchaus beachtliche Inszenierungen (nicht nur) des Ring des Nibelungen gestemmt; aber da das Geburtstagskind ja auch ohne besonderen Anlass nicht eben selten gespielt wurde, ist so ziemlich jede denkbare Lesart irgendwann durchbuchstabiert worden – produktive Skandale (wie seinerzeit 1976 zum 100-jährigen Jubiläum der Bayreuther Festspiele der legendäre Ring von Patrice Cherau) sind da kaum zu erwarten. Das Konzerthaus Dortmund und die Essener Philharmonie sind da, mit Unterstützung des Madrider Teatro Real, in andere Richtung vorgeprescht und versuchen sich an einer musikalischen „Neudeutung“ ganz ohne Szene – oder eben gerade nicht neu, denn mit „historischem Instrumentarium“ (so die Ankündigung) versucht man, dem Originalklangbild von 1882 nahe zu kommen.

Vergrößerung in neuem Fenster Thomas Hengelbrock

Nun ist ausgerechnet der Parsifal speziell für die Akustik des Bayreuther Festspielhauses mit seinem gedeckelten Orchestergraben komponiert. Insofern ist es bedauerlich, dass diese Aufführung dort nicht zu hören ist. Allerdings hat Dirigent Thomas Hengelbrock, seine ganz eigenen Erfahrungen mit Bayreuth: Als Dirigent des Tannhäuser 2011 (unsere Rezension) stieg er bereits nach dem ersten Jahr aus der Produktion aus, vorgeblich wegen Unzufriedenheit mit einer zu hohen Fluktuation im Orchester, wohl auch, weil sein musikalisches Konzept weder bei der Festspielleitung noch beim Festspielorchester auf allzu große Gegenliebe stieß (Publikumsliebling Christian Thielemann übernahm und ließ schnell wissen, alles wieder ganz anders machen zu wollen). In Dortmund und Essen kann Hengelbrock auf ganz andere Ressourcen zurückgreifen, nämlich das von ihm selbst gegründete Balthasar-Neumann-Ensemble samt Chor, bestens erprobt mit historischer Aufführungspraxis nicht nur „alter“ Musik.

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Thomas Hengelbrock und Kwangchul Youn (Gurnemanz)

Die Wahl der einzelnen Instrumenttypen orientiert sich an der Aufführungspraxis um 1880, aber auch an Wagners überlieferten Klangvorstellungen. So bevorzugte der Komponist beispielsweise Flöten eines älteren Bautyps gegenüber den brillanteren und lauteren, aber weniger farbreichen Neuerungen seiner Zeit. Insgesamt ist das Klangbild sehr durchsichtig und deutlich weniger von den Streichern dominiert als gewohnt. Sehr feine Nuancen werden da hörbar. Dazu lässt Hengelbrock mit sehr reduziertem, genau überlegt eingesetztem Vibrato spielen. Dadurch bekommen etwa die Holzbläserakkorde ein sehr klares und dadurch farbiges Obertonspektrum. Exemplarisch hörbar wird das in den ersten Takten des Vorspiels, wo sich der vibratoarme Klang registerartig wie bei einer Orgel entfaltet und dabei eine Leuchtkraft gewinnt, wie man sie sonst nicht hört. Das Balthasar-Neumann-Orchester spielt das ganz ausgezeichnet, wenn auch im dritten Aufzug nicht ganz ohne Ermüdungserscheinungen.

Die auffälligsten Änderungen gegenüber dem operntypischen Parsifal-Klang erlebt man in den Chorpartien. Hier lässt Hengelbrock praktisch kein Vibrato zu. Die jungen und geraden Stimmen des für Parsifal-Verhältnisse sehr kleinen, aber ungemein klangvollen Balthasar-Neumann-Chores und die glockenhellen Knaben der Chorakademie Dortmund (vom der erhöhtem Balkon aus) singen in einem glasklaren, motettenhaften Stil, der noch am ehesten auf Hengelbrocks Herkunft von der alten Musik hindeutet, sich aber hervorragend in das Gesamtkonzept einfügt. In den andernorts gerne besonders weihevollen Chorstellen in den Schlussszenen des ersten und dritten Aufzugs gibt Hengelbrock sehr flüssige Tempi vor. Überhaupt gehört seine Interpretation zu den schnellsten überhaupt, wirkt aber nie gehetzt. Der Eindruck von Ruhe und Würde ergibt sich aus den sehr groß dirigierte musikalischen Bögen. Hengelbrock entschlackt das mitunter auch sehr dramatisch dirigierte Bühnenweihfestspiel, aber er bürstet es keinesfalls gegen den Strich.

Vergrößerung in neuem Fenster Angela Denoke (Kundry) und Simon O'Neill (Parsifal) im ersten Aufzug

Die Sängerbesetzung hat Festspielformat und Bayreuth-Erfahrung, ist aber vergleichsweise konventionell. Kwangchul Youn etwa hat den Gurnemanz u.a. in Stefan Herheims Bayreuther Parsifal gestaltet. Mit seinem in allen Registern klangvollen Bass und einer sehr sorgfältigen Textgestaltung (die Textverständlichkeit ist bei allen Sängern exzellent) ist er sicher einer der derzeit besten Sänger für die Partie, würdevoll, aber nicht zu altväterlich – aber vom Timbre näher am üblichen Wagner-Klang. Da wäre es schon interessant, die Partie in diesem Zusammenhang von einer schlankeren und jüngeren Stimme zu hören. Das ist schon eher bei Simon O'Neill in der Titelpartie zu erleben: Ein recht heller und metallischer, nicht allzu schwerer und heldischer Tenor, der leider bevorzugt im Forte Glanz entwickelt und im Piano etwas abfällt (was den Sänger natürlich zu größeren Lautstärken motiviert, die O'Neill ohne Verschleißerscheinungen bewältigt). Ganz hervorragend passt der in der Mittellage leicht dunkel timbrierte, sehr klare Sopran von Angela Denoke als Kundry in das Klangbild. Das ist großartig im ersten Aufzug und im ersten Teil ihrer Erzählung im zweiten; im dramatischeren und höheren zweiten Teil muss sie die fehlenden dramatischen Spitzen durch kluge Gestaltung und gut vorbereitete Aufschwünge ausgleichen. Der Ton bleibt immer schön. An diesem Abend musste man allerdings ein wenig bangen, ob sie das Ziel erreicht (dem Vernehmen nach gab es solche Probleme bei der vorangegangenen Dortmunder Aufführung nicht). Großartig ist Johannes Martin Kränzle als zupackender, sehr klar singender Klingsor mit dramatischer Wucht. Victor van Halem hört man an, dass er nicht mehr der Jüngste ist; die Partie des Titurel (für die das natürlich passt) gestaltete er souverän. Ganz ausgezeichnet singt die Garde der sehr jugendlichen, in der Höhe strahlenden und sehr homogenen Blumenmädchen. Einzige Enttäuschung an diesem Abend ist Matthias Goerne als ziemlich matter und angestrengter Amfortas.

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In Klingsors Diensten mit neuem Kleid: Angela Denoke (Kundry) und Simon O'Neill (Parsifal) im zweiten Aufzug

Mit ein paar Gesten auf dem Podium (gesungen wird durchweg ohne Noten, sodass die Hände frei sind) – auch der Kuss von Kundry und Parsifal wird gezeigt -, ein paar bunten Tüchern für die Blumenmädchen und einer hübschen Lichtregie, die unaufdringlich mal auf den Dirigenten, mal auf den Chor, am wirkungsvollsten am Ende des zweiten Aufzugs auf die Donnermaschine fokussiert, ist die Handlung zart angedeutet, und das hat mehr Wirkung als in so mancher schlechten Inszenierung. Das Essener Publikum, durchaus an den Besuch von internationalen Spitzenorchestern gewöhnt, zeigte sich dem Konzept gegenüber sehr aufgeschlossen – nicht, dass in den Pausen nicht durchaus kontrovers diskutiert wurde über Klang und Tempi, aber der stehende Applaus gerade auch für Hengelbrock war eindeutig. Am Bayreuther Festspielhügel mag der Dirigent nicht richtig angekommen sein; für das Wagner-Jahr hat er im fernen Ruhrgebiet den ersten großen Akzent gesetzt - und das, kleine Pointe am Rande, ausgerechnet mit dem Werk, das nach Wagners Willen ausschließlich in Bayreuth realisiert werden dürfte.


FAZIT

Ob das nun alles im Sinne Wagners ist, lässt sich letztendlich nicht klären - viel wichtiger aber ist: Hier gelingt eine in sich sehr schlüssige und faszinierende Interpretation.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Hengelbrock

Chor
Detlef Bratschke

Kinderchor
Jost Salm

Licht
Oliver Lorenz


Balthasar-Neumann-Chor

Knabenchor der Chorakademie Dortmund
am Konzerthaus Dortmund

Balthasar-Neumann-Ensemble


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Amfortas
Matthias Goerne

Titurel
Victor von Halem

Gurnemanz
Frank van Hove /
* Kwangchul Youn

Parsifal
Simon O’Neill

Klingsor
Johannes Martin Kränzle

Kundry
Angela Denoke

Erster Gralsritter
Hermann Oswald

Zweiter Gralsritter
Marek Rzepka

Blumenmädchen
Katja Stuber
Gunta Davidcuka
Antonia Bourvé
Tanya Aspelmeier
Heike Heilmann
Marion Eckstein

Erster und zweiter Knappe
Knaben des Knabenchores
der Chorakademie Dortmund

Dritter Knappe
Virgil Hartinger

Vierter Knappe
Manuel Warwitz

Stimme aus der Höhe
Marion Eckstein



Weitere Informationen

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de
(Homepage)


Der Mitschnitt der Aufführung am
20. Januar 2013 im Konzerthaus
Dortmund wird vom WDR am
19. Mai 2013 ausgestrahlt.



Da capo al Fine

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