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Ein Alptraum
Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel
Sylva (Nataliya Kovalova) undf Edwin (Corby Welch) träumen von einer gemeinsamen Zukunft.
Es ist alles nur ein Traum. Oder ein "Dddrrrraaummm", wie Nataliya Kovalova es im Laufe einer nicht enden wollenden Aufführung der Csárdásfürstin voller Inbrunst in den Zuschauerraum des Theaters Duisburg schleudert, damit auch der letzte im Publikum begreift, dass Joan Anton Rechi Kálmáns melodienseliges Meisterwerk als Traum einer rumänischen Putzfrau im Wiener Looshaus (warum eigentlich dort?) inszeniert und dann natürlich auch auf das happy end verzichtet: Edwin reicht Sylva am Ende ihren Putzkittel, der "Dddrrrraaummm" ist ausgeträumt, sie fällt in die kalte Realität zurück. Nachdem die Diva ausgiebig den Bühnenboden zu den Klängen der Ouvertüre gescheuert hat, verwandelt sich die Decke vorhersehbar zur Showtreppe (und ist später auch leicht in einen Ballsaal oder einen Bahnhof für den letzten Akt zu verwandeln), ein roter Vorhang wird projiziert, und dass sich unter dem Kittel ein Revuekleidchen befunden hat, haben sich all die, die Sylvas Ohrringe beim Putzen wippen sahen, längst gedacht. Und dann beginnt der Star mit seinem berühmten Entrée, flankiert von ein paar Tänzern - es wird überhaupt viel getanzt und viel Überflüssiges, Ablenkendes getan während der Musiknummern, was auf ein gewisses Misstrauen des Regieteams gegenüber der Vorlage schließen lässt. Dabei wird Hubert Marischkas Warnung, der Tanz habe in der Operette nur dann eine Berechtigung, wenn er einen dramatischen Zweck erfüllt, prominent im Programmheft zitiert; Marischka empfiehlt das Tanzen nicht für den Fall, dass man Dialoge, eine ganze Handlung und die Personenzeichnung nicht in den Griff bekommt! Immerhin, die Dialoge sind ordentlich gekürzt, aber selbst an den paar Sätzen scheitern die mit Microports verstärkten Darsteller, als hätte man dafür keine Probenzeit verschwenden wollen - ein weiterer großer Fehler. Unerträglich sind neben der mangelnden Durchdringung des gesprochenen Wortes vor allem die endlosen, pseudodramatischen Kunstpausen und nicht wenige Versprecher (und es war erst die dritte Vorstellung dieser Produktion). Und so stehen die Akteure dann häufig in ihren größtenteils netten Kostümen in schwarz-weiß (respektive grau für die Lippert-Weylersheim und Stasi, welche Symbolik!) auf der meistens ziemlich leeren Bühne reichlich verlassen herum, entwickeln wenig Profil, bleiben merkwürdig zweidimensional, öffnen stattdessen beflissen Sektflasche um Sektflasche und lachen hysterisch. Stasi (Alma Sadé) und Boni (Florian Simson) verstehen sich auf Anhieb prächtig.
Größtes Ärgernis des Abends war aber die musikalische Leitung, genauer gesagt das musikalische Konzept von Wolfram Koloseus (dabei ist er laut Künstlerbiografien gebürtiger Wiener und künstlerischer Leiter des Johann Strauß-Orchester Kurpfalz und müsste wissen, wie man das macht), der sich mit seinen unerträglich zerdehnten Tempi nicht nur den Sängern gegenüber unfair verhielt, die ja doch ziemlich lyrische Stimmen besitzen, sondern damit auch Kálmáns unsterblichen Melodien jeden Schwung, Schmiss und Charme nahm, breit, schwerfällig, breiig und glanzlos wabberte es die meiste Zeit aus dem Graben, wobei man sagen muss, dass die Duisburger Philharmoniker keine Schuld traf, die gut vorbereitet wirkten und manch schönes Detail beitrugen, ohne damit den Abend retten zu können. Besonders nervig waren die im Minutentakt mit unschöner Regelmäßigkeit zelebrierten Accelerandi und Ritardandi, ohne dass durch Spannung in die traurige Angelegenheit gekommen wäre. Ein Trauerspiel eben. Sylva (Nataliya Kovalova) präsentiert dem Fürsten (Peter Nikolaus Kante) das von Edwin unterzeichneteEheversprechen.
La Kovalova gab sich durchgängig und damit leider auch sehr eindimensional sinnlich und geheimnisvoll, sie ist eine schöne Frau, die die häufig sehr kurzen und immer sehr weit dekolletierten Trikots ganz sicher tragen kann und weiß, wie man die Hüften bewegt, aber eine Darstellerin, die über sehr plakative Effekte hinauskommt, die Zwischentöne anschlägt, die nicht in Stummfilmmanier die Gefühlswelt der Titelheldin transportiert, ist sie nicht, sie hätte viel mehr Hilfe von einem versierten Regisseur gebraucht, nicht nur bei den Dialogen. Und auch vokal bleibt der eine oder andere Wunsch offen: Das Zentrum der Stimme ist die füllige, dunkle, durchaus klangschöne Mittellage, die Tiefe ist dagegen nur sehr schwach ausgeprägt (auch wenn sie in einer Strophe des "Jaj, Mamám" sogar oktaviert und dann wirklich wie eine Chansonette klingt), die hohen Töne brauchen häufig ordentlich Anlauf und klingen nach wie vor steif, hart und viel reifer, als die Interpretin es ist. Und es gibt doch eine Chansonettentradition im Hause Lippert-Weylersheim: Anhilte (Cornelia Berger) hat das Tanzen nicht verlernt.
Corby Welch ist kein eleganter Operettenheld, sondern wirkt trotz geschicktem Gehrock eher wie ein gutmütiger, unreifer Muttersohn (was ja durchaus zu bestimmten Apsekten der Rolle des Edwin passt), ein strahlend singender leider auch nicht, obwohl er sich um den einen oder anderen Spitzenton bemüht, der aber in der Orchesterwucht und den anderen Stimmen untergeht (und man schüttelt den Kopf angesichts der Information, dass er mit dieser leichten Stimme 2011 in Weimar als Siegmund debütiert hat). Ganz schwach fand ich den sonst sehr als vielseitiges Ensemblemitglied geschätzten Bruno Balmelli als Feri Bácsi, da war nun wirklich weder beim Sprechen noch beim Singen ein Wort zu verstehen, und das geht nicht, wenn man Operette spielt. Dass mittlerweile auch in dieser Sparte Übertitel nötig sind, ist ein Armutszeugnis, ärgerlich ist es, wenn sie dann auch noch mehrfach "hängen". General Rohnsdorff gehört nicht zu den wichtigen Rollen in diesem Stück, aber mehr als Christian Bartels kann man schon aus den drei Sätzen machen (und wieso muss man da überhaupt einen Gast engagieren, da wäre die Mehrzahl der Choristen auch nicht schlechter gewesen), und auch Clemens Begritschs Notar wird nur formal in die Aufführungsgeschichte des Werkes eingehen. Cornelia Berger und Peter Nikolaus Kante repräsentierten als fürstliches Elternpaar das seit Jahrzehnten beliebte Stammensemble der Rheinoper, die Altistin tat sich zudem in einer kurzen Reminiszenz als Revuevedette hervor (ein nicht ganz unwichtiges Detail des Librettos, das ansonsten völlig vom Regisseur übergangen wird), während der Bassist aufgrund der lieblosen Behandlung durch die Regie diesmal seltsam blass blieb. Zu den wenigen Pluspunkten der Aufführung gehörte Florian Simson als junger, spielfreudiger Boni - eben ein Spieltenor comme il faut, der sogar die überflüssige Idee, en travestie die Mädis vom Chantant feiern zu müssen, mit Haltung umsetzt (über Männer in Frauenkleidern lachen übrigens nicht einmal mehr Abonnenten vom Niederrhein). Eine Freude war auch Alma Sadé als quirlige, herzliche Stasi, die frische, schlanke Stimme hat an Rundung gewonnen und die vor zwei Jahren noch beklagte Schärfe verloren, die Künstlerin gehört zu den wenigen, die auch Dialog sprechen und sich auf der Bühne natürlich bewegen können. Sehr ordentlich und engagiert präsentierten sich auch die Damen und Herren des Chores, die überdrehte Choreographie (auf jedes Sechzehntel gehören da ein Schritt und eine Handbewegung, da wundert man sich nicht, dass man Amelie Jalowys Namen auf dem Besetzungszettel noch vor denjenigen des Bühnen- und Kostümbildners liest) überforderte sie indes ebenso das eine oder andere Mal wie die zehn Tänzerinnen und Tänzer, denen man diesen Umstand weniger verzeiht.
Die Rheinoper hat seit Jahren kein glückliches Händchen bei der Auswahl der Produktionsteams für ihre Operetteninszenierungen. Das ist ärgerlich für den geneigten Zuschauer, aber nicht schlimm fürs Haus, denn Kálmáns wunderbares Werk ist unabhängig von seiner Umsetzung ein Publikumsliebling und Garant für guten Kartenverkauf. In künstlerischer Hinsicht gehört diese lieblos gemachte Csárdásfürstin indes schon jetzt in den Fundus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreografie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Fürst von und zu
Anhilte, seine Frau
Edwin Roland, beider Sohn
Komtesse Stasi
Graf Boni Káncsiánu
Sylva Varescu
Feri von Kerekes,
General Rohnsdorff
Kiss, Notar
Tänzerinnen und Tänzer
Chih-Ying Ku-Gebert Phaedra Pisimisi Anastasia Siriatska Tina Vasilaki Joeri Burger Bernardo Fallas David Laera Fernando Moraga Jonas Tilly
Bühnenmusik
René Lozynski, Kontrabass
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