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Romantische Spurensuche
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Das Spiel mit Tradition und Vergangenheit ist das Leitthema dieses ganz wunderbaren Ballettabends b.14. Ashtons kleine Walzerfolge kombiniert der Rheinopern-Ballettchef Martin Schläpfer mit einem kurzen, federleicht eleganten Pas de deux aus Antony Tudors The leaves are fading (und in diesen wenigen Minuten bedauert man doch sehr, nicht das komplette Ballett sehen zu dürfen). Zu einer Streichquartett-Miniatur von Antonin Dvorak lassen die zierliche So-Yeon Kim und der groß gewachsene Marcos Menha genau das richtige Maß an Nostalgie spürbar werden und geben diesem Liebestanz eine entrückte Schwerelosigkeit. Uraufgeführt wurde das Werk im Sommer 1975 (und somit fast zeitgleich mit dem ersten Walzer Ashtons) am American Ballett Theatre, den weiblichen Part übernahm damals Gelsey Kirkland, die Martin Schläpfer wiederum als eine seiner wichtigsten Lehrerinnen angibt so ergeben sich eine Reihe von Verbindungslinien, mit denen Schläpfer hier seine eigenen Arbeiten stärker als sonst in Verbindung zur Tradition setzt. Ungeachtet dieses höchst spannenden Beziehungsgeflechts gelingt es einmal mehr, ein neues Werk (die im letzten Teil des Abends getanzte Symphonie Nr. 2) in eine so, wie sie hier aufgeführt wird, höchst lebendige Tradition zu setzen und überhaupt dem Publikum die Gelegenheit zu bieten, Tudor und Ashton zu erleben. The Leaves are Fading - Pas de deux: Marcos Menha, So-Yeon Kim
Schläpfer setzt zudem ein kleines Handlungsballett auf den Spielplan nämlich Tudors Jardin aux lilas aus dem Jahr 1936: Eine Gartenszene, in der eine Frau am Vorabend ihrer Hochzeit ihren wahren Geliebten trifft, während ihr angehender Gatte einer Episode aus der Vergangenheit begegnet. Eine brisante Viererkonstellation mit einem romantischen und einem ironischen Paar, bei dem am Ende die Falschen zusammen kommen. Thomas Ziegler hat 2008 für das Mainzer Ballett (das Schläpfer damals leitete) die Ausstattung behutsam aufgefrischt, ohne den Charakter zu verfälschen. Zum hochromantischen Poeme für Violine und Orchester Es-Dur von Ernest Chausson (Axel Kober am Pult der Duisburger Philharmoniker stellt das in die Nähe der Nachtstimmung aus dem zweiten Akt von Tristan und Isolde) ist das ein verträumt schönes, mitunter auch witziges Stück zwischen verlorener Liebe und gesellschaftlicher Konvention. Natasha Kosakova spielt den Violinpart souverän und unprätentiös. Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan: Camille Andriot Große romantische Symphonien von Mendelssohn (die Reformationssymphonie) und Schumann (die Rheinische) hat Martin Schläpfer ja bereits mit dem Ballett am Rhein erarbeitet, zuvor in Mainz auch schon Tschaikowskys Pathetique - Neuland ist das Genre für ihn also nicht, wenn er sich jetzt Brahms' 2. Symphonie D-Dur zuwendet. Im Programmheft (und auch in der Einführung vor der Vorstellung) lässt er freimütig verkünden, dass diese Wahl nicht unbedingt künstlerische Gründe hat; schließlich müsse ja auch das Orchester (an der Rheinoper mit den Spielstätten Duisburg und Düsseldorf sogar zwei) beschäftigt werden. Für die Einbindung des Balletts in das Musiktheater ist das in der Tat eine wichtige Sache. Für den als Dirigent vorgesehenen, aber erkrankten Dante Anzolini steht GMD Axel Kober persönlich am Pult was am hier besprochenen Abend allerdings nicht wirklich glücklich macht. Ist das erwähnte Poeme von Chausson noch klangsinnlich und schwebend gespielt, so bleiben Kober und die in vielen Details reichlich ungenauen Duisburger Philharmoniker bei Brahms gerade in den Außensätzen doch sehr an der Oberfläche. Jardin aux lilas: Alexandre Simões, Nicole Morel, Andriy Boyetskyy, Julie Thirault
Im Halbdunkel vor einer Wand, auf der mit grobem Pinselstrich eine abstrakte, bewegte Landschaft zu erahnen ist (Bühne und Kostüme: Keso Dekker), erhebt sich Chidozie Nzerem zur Einleitung des Eingangssatzes wie eine zum Leben erwachende Gliederpuppe zuerst ganz mechanisch, dann mehr und mehr lebendig und mit großer Energie, und allein diese Takte sind den Besuch der Vorstellung wert. Dieses Bild wird an verschiedenen Stellen aufgegriffen, gehört zu den Leitmotiven der Choreographie. In Programmheft und Einführung ist viel von Assoziationen an die großen romantischen Ballette des 19. Jahrhunderts die Rede, natürlich Schwanensee (da gibt es eine kurze, fast zitathafte Reminiszenz) aber das muss man vielleicht mehr als Subtext denn als konkrete Anspielung verstehen. Das Spiel mit dem Motiv der Gliederpuppe verweist natürlich auf den Nussknacker, aber auch auf Petruschka (und damit das 20. Jahrhundert). Ob einige sehr kraftvolle, fast rustikale Schrittfolgen auf das Sacre du Printemps anspielen sollen? Eine große Diagonale des gesamten Ensembles wirkt dann wie eine Hommage an Pina Bausch. Symphonie Nr. 2: Feline van Dijken, Chidozie Nzerem, Louisa Rachedi, Martin Chaix, Claudine Schoch, Marcos Menha
Bei allem Spiel mit der Tradition gibt es aber auch klare Brüche: In den hautengen Trikots mit hoch gesteckten Haaren sind Frauen und Männer kaum zu unterscheiden das klassische Rollenbild, im Pas de deux aus The leaves are fading noch akzentuiert, wird ausgehebelt. Und den Tanz auf Spitze führt Schläpfer hochleistungssportartig ad absurdum: Marlúcia do Amaral, die mit unverkennbaren Handbewegungen und ihrer Präsenz von der ersten Sekunde an verkündet: ich bin's!, bekommt den kompletten dritten Satz als Solo und beendet ihn mit einer schier unendlichen Spiralbewegung auf Spitze, nachdem die Musik längst beendet ist. Das ist eine Raumeroberung der besonderen Art, nachdem sie zuvor kaum von der Stelle kam, sich mühsam befreien musste. Es spukt also viel Ballettgeschichte durch diese Choreographie, wobei sich Schläpfer die Schlusspointe ein paar weiße Gummi-Entchen als ironischer Schwanensee-Verweis? ruhig hätte sparen können, denn das ist sowieso nur von den ersten Reihen zu erkennen (die Gaderobieren geben geduldig Auskunft). Aber Symphonie Nr. 2 ist auch jenseits solcher Verweise eine faszinierende Auseinandersetzung mit Brahms' Musik. Und dem an diesem Samstagabend offenbar ausverkauften Haus nach zu urteilen, ist Martin Schläpfer inzwischen auch in Duisburg zum Publikumsmagneten geworden.
b.14 ist raffiniertes intellektuelles Spiel mit der Vergangenheit, aber auch jenseits dieses Kontextes ein mitreißender Ballettabend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung The Leaves are Fading -
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