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Der andere Barbier
Wenn ein Opernhaus den Barbier auf den Spielplan stellt, denkt man
unweigerlich an Rossini. Doch Rossinis Meisterwerk hat nicht nur die früheren
Vertonungen der Beaumarchais-Vorlage von den Spielplänen verdrängt. Auch ein
ganz anderer Barbier konnte sich neben seinem Namensvetter aus Sevilla
nicht im Repertoire durchsetzen. Die Rede ist von Peter Cornelius' Der
Barbier von Bagdad, der neben Wagners Meistersingern zu den
bedeutendsten komischen Opern des 19. Jahrhunderts zählt und in der
durchkomponierten Struktur einen Übergang vom deutschen Singspiel zum hehren
Stil Richard Wagners markiert. Dabei hat sich dieses Werk erst in den letzten
Jahrzehnten auf den deutschen Bühnen so rar gemacht, zählte doch vor allem die
Tenorpartie des Nureddin lange zu den Paraderollen namhafter Tenöre wie Rudolf
Schock und Fritz Wunderlich. Das Landestheater Coburg unternimmt nun den
löblichen Versuch, diese deutsche Spieloper dem Vergessen zu entreißen, und
demonstriert, dass es neben Lortzing und Nicolai auch noch andere hörenswerte
Werke dieses oft stiefmütterlich behandelten Genres gibt.
Nureddin (Thomas Volle) fantasiert von Margiana
(im Hintergrund: Herrenchor).
Cornelius, der auch das Libretto selbst verfasst hat, wählt für seine Oper eine
Erzählung aus Tausendundeiner Nacht: "Die Geschichte des Schneiders".
Nureddin, ein junger Mann, ist an schwerem Liebeskummer erkrankt. Er hat nämlich
Margiana, die schöne Tochter des Kadi Baba Mustapha, beim Blumengießen am Fenster gesehen und verzehrt sich seitdem in Liebe zu ihr.
Sein Zustand bessert sich sofort, als Margianas Vertraute Bostana erscheint und
ihm ein Rendezvous mit der Angebeteten in Aussicht stellt, ihm jedoch rät, sich
vorher rasieren zu lassen. Der herbeigerufene Barbier Abul Hassan Ali
Ebn Bekar ist allerdings nicht nur ein einfacher Barbier, sondern auch als
Wahrsager tätig und rät Nureddin dringend davon ab, das Haus zu verlassen. Da
Nureddin dem Gerede des Barbiers keinen Glauben schenkt, folgt Abul Hassan dem
jungen Mann, um ihn vor seinem Unglück zu bewahren. Im Hause des Kadis herrscht
derweil große Freude. Mustapha wartet auf seinen Jugendfreund Selim, der
Margiana heiraten möchte und bereits eine große Schatzkiste für seine zukünftige
Braut geschickt hat. Margiana fiebert dem Treffen mit Nureddin entgegen, der zu
ihr kommen soll, wenn der Kadi sich in die Moschee begeben hat. Es kommt zu
einem Liebestreffen, das aber von der frühzeitigen und unerwarteten Rückkehr
Mustaphas jäh unterbrochen wird. Nureddin versteckt sich in der Schatzkiste. Da
der Barbier jedoch glaubt, dass Mustapha den jungen Mann getötet und in die
Schatzkiste gesteckt habe, dringt er mit allerlei Volk in das Haus des Kadis ein,
um die Schatzkiste mitzunehmen. Die Aufregung ruft schließlich auch den Kalifen
auf den Plan,der eine Aufklärung verlangt. Als Margiana die Kiste öffnet und man
dort einen scheinbar leblosen Nureddin vorfindet, der vom Barbier auf wundersame
Art wieder zum Leben erweckt wird, ordnet der Kalif an, dass Margiana mit
Nureddin vermählt werden soll, und nimmt den Barbier als Geschichtenerzähler in
seine Dienste.
Abul Hassan (Michael Lion, links) verabreicht
Nureddin (Thomas Volle, rechts) nicht nur eine Rasur.
Für den jungen Regisseur Alessandro Talevi handelt es sich bereits um seine
zweite Auseinandersetzung mit dieser selten gespielten Oper. Während er für das
Buxton Festival in Derbyshire einen rein märchenhaften Ansatz gewählt
hat, fügt er in Coburg eine Rahmenhandlung ein, die die Geschichte glaubhafter
machen soll. So befindet sich Nureddin zu Beginn der Oper in einem Lazarett und
fantasiert von Margiana. Dass seine körperliche Verwundung im Bereich des
Herzens liegt, mag dabei im übertragenen Sinne zu verstehen sein. Weiße
Paravents trennen das Bett von den anderen Verwundeten, die sich in diesem
Lazarett befinden. Eine verabreichte Spritze lässt Nureddin in eine Traumwelt
abtauchen. Zunächst ist es nur eine Krankenschwester, die ihren Kittel auszieht
und sich in einem orientalischen Gewand als Bostana entpuppt, die Nureddin zu
einem Treffen mit Margiana verhelfen will. Dann erwacht ein scheinbar
Verstorbener, an dessen Fuß bereits ein kleiner Zettel zu Identifikationszwecken
haftet, zu neuem Leben und stellt sich als Barbier Abul Hassan Ali Ebn Bekar
vor. Mit der anschließend auftretenden Dienerschaft, die den geschwätzigen
Barbier aus dem Haus jagen soll, befindet man sich dann mitten im orientalischen
Märchen, wobei nur noch das weiße Bett und die Paravents an das Lazarett
erinnern.
Unterschiedliche Erwartungen im Hause des Kadis:
Baba Mustapha (Karsten Münster) erwartet seinen Jugendfreund Selim, während
Margiana (Julia Klein, Mitte) und Bostana (Gabriela Künzler, links) dem Treffen
mit Nureddin entgegenfiebern.
Im zweiten Aufzug verschwindet auch dieser Bezug. Die weißen Paravents werden
umgedreht und verbreiten mit den diversen Bildern eine Postkartenidylle. Wieso
dort allerdings eher ägyptische Motive gewählt werden, obwohl die Geschichte
doch in Persien spielt, bleibt rätselhaft. Im Hintergrund wird ein schwarzer
Vorhang emporgezogen und offenbart den Blick auf eine projizierte Moschee. Die
bunten Kostüme von Tobias Hoheisel unterstreichen den orientalischen und
märchenhaften Charakter des Stückes. Das Bett wird durch ein großes darüber
ausgebreitetes buntes Tuch zu der Schatztruhe, die Mustaphas Freund Selim
seiner zukünftigen Braut geschickt hat. Dass Nureddin nun also, wenn er sich in
der Truhe versteckt, erneut in seinem Krankenbett liegt, entbehrt folglich nicht
einer gewissen Doppelbödigkeit. Auch dass der Barbier, der sich bei seinem
ersten Auftritt aus einem Leichenbett erhoben hat, den scheinbar toten Nureddin
ins Leben zurückführt, ist ein interessanter Ansatz. Das Ende lässt Talevi dann in gewisser Weise offen. Nach dem finalen "Salem Aleikum", das der
Barbier, der nun als Geschichtenerzähler im Dienste des Kalifen steht, mit dem
Chor zur Feier anstimmt, werden die Paravents wieder umgedreht, und die Bühne
verwandelt sich wieder in das Lazarett. Nureddin steht jetzt jedoch mit dem Rücken zum
Publikum vor der Moschee im Hintergrund, die erneut hinter dem schwarzen Vorhang
verschwindet. Die Paravents werden geschlossen und verbergen damit auch Nureddin.
So sieht man nur noch sein leeres Bett. Ist er geheilt oder seinen Wunden
erlegen? Die Frage kann jeder für sich selbst beantworten.
Die große Liebe: Margiana (Julia Klein) und
Nureddin (Thomas Volle)
Auch musikalisch kann die Produktion im Großen und Ganzen überzeugen. Thomas
Volle hat das darstellerische und stimmliche Potenzial für die Partie des
Nureddin und kann mit seinem auch in den Höhen sicheren Tenor die Verliebtheit
des jungen Mannes glaubhaft vermitteln. Julia Klein stattet Margiana mit
jugendlichem Sopran aus und gefällt vor allem im Duett mit Volle. Karsten
Münster klingt als Baba Mustapha in den Höhen ein wenig angestrengt, verfügt
aber über eine markante Tiefe. Falko Hönisch gefällt als Kalif mit dunklem Bass.
Star des Abends ist Michael Lion in der Titelpartie, der mit kräftigem Bass und
komödiantischem Spiel das Publikum begeistert. Charakterlich ist diese Figur
Rossinis Barbier gar nicht so unähnlich, was vor allem in seiner großen
Arie des ersten Aufzuges deutlich wird, wenn er sich als Alleskönner, eben als
eine Art Faktotum, präsentiert. Witzig gelingen Lion auch die Reminiszenzen an
seine sechs verstorbenen Brüder, die alle der Liebe zum Opfer gefallen sein
sollen. Der Chor unter der Leitung von Lorenzo Da Rio entwickelt große
Spielfreude, ist aber stellenweise schlecht zu verstehen, so dass eine
Übertitelung hilfreich gewesen wäre. Das Philharmonische Orchester präsentiert
unter der Leitung von Anne Sophie Brüning einen frischen Sound, der dem
Spieloperncharakter des Stückes mehr als gerecht wird. So gibt es am Ende lang
anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Lichtgestaltung Choreinstudierung
Dramaturgie
Chor und Extrachor des Herren vom Chor Choruso Statisterie Philharmonisches Orchester Solisten*rezensierte Aufführung Abul Hassan Ali
Ebn Bekar, Barbier
Nureddin Baba Mustapha,
ein Kadi Margiana, dessen Tochter Bostana,
Margianas Vertraute Kalif Drei Muezzin Stimme eines Sklaven
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- Fine -