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Der Ring des Nibelungen ("Colón-Ring")

Bühnenfestspiels in drei Tagen und einem Vorabend
Text und Musik von Richard Wagner
Gekürzte Fassung für das Teatro Colón von Cord Garben


In deutscher Sprache mit spanischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 9h (drei Pausen)

Premiere im Teatro Colón, Buenos Aires, am 27. November 2012



Teatro Colón
(Homepage)
Die Kinder sind das wahre Gold

Von Joachim Lange

Richard Wagner ist ein deutsches Phänomen und eine Weltmarke. Im 19. Jahrhundert war er der egomanische Großkomponist schlechthin. Bis heute wird der Meister verehrt, gefürchtet, gepflegt und manchmal auch gefleddert. Doch auch in Südamerika ist er präsent. Seit 1908 gilt das Teatro Colón in Buenos Aires als eines der Opernhäuser mit der besten Wagnerakustik der Welt. Diesem Haus flechten alle Künstler, die dort gesungen, gespielt oder dirigiert haben, Kränze. Und sie haben Recht. Dem Prachtbau mit den weit über 2500 Plätzen wollte man zu seinem 100. Geburtstag ein Lifting verpassen und hatte schon Daniel Barenboim mit seiner Staatkapelle gebucht, um das Schmuckstück mit Wagners Tristan und Isolde wiederzueröffnen. Doch für Barenboim, seine Musiker und die eingeladenen Journalisten blieb es damals bei einer Baustellenbesichtigung im Teatro Colón und einem Ausweich-Konzert im Luna Park. Dafür las Barenboim seinen Landsleuten damals die Leviten.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Rheingold

Im jetzt beginnenden argentinischen Sommer, kurz vorm Wagnerjahr und zum dortigen Spielzeitende, ist es anders. Das in altem Glanz zwei Jahre verspätet wiedereröffnete Teatro Colón hatte sich einen besonderen Coup ausgedacht und für einen bislang noch nirgendwo zu sehenden Spezial-Ring Katharina Wagner verpflichtet. Als Regisseurin und natürlich als Urenkelin des Komponisten. Eigentlich war das Projekt für China geplant, doch die Regisseurin verweigerte sich der dortigen Vorabzensur. Und so griff das Teatro Colón zu, das nicht nur über eine imponierende Wagner-, sondern auch Ring-Tradition verfügt. Hier haben die ganz Großen wie Felix Weingartner (1922), Otto Klemperer (1931), Fritz Busch (1935) oder Erich Kleiber (1947) den Ring dirigiert, und hier wurde bis Ende der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts diese Tradition gepflegt.

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Die Walküre

Name und Konterfei der Co-Chefin der Bayreuther Festspiele sollten das Label für das riskante Experiment sein, für das das 16-Stunden-Monstrum von Cord Garben auf sechseinhalb eingekürzt wurde. Herausgekommen ist damit fast schon paradoxerweise die längste Wagneroper aller (bisherigen) Zeiten. Das ist Hochleistungssport nicht nur für die Künstler auf der Bühne und im Graben, sondern auch für die Fans im Saal. Dass dort bei der Premiere etliche Plätze frei blieben, kann aber auch an den stattlichen Kartenpreisen von umgerechnet bis zu 500 Euro gelegen haben. Man fragt sich ohnehin nicht nur, welches Theater sich das so neu entstandene wiederum monströse Einzelstück leisten soll, sondern auch, wer das konsumieren soll. Zumindest, wenn es an einem Tag aufgeführt wird. Führt man es aber an zwei Tagen auf, dann kann man auch gleich den kompletten Ring anvisieren.

Für seine Strichfassung hat Cord Garben alle eingebauten Rückblenden gestrichen, in denen immer noch mal erzählt wird, „was bisher geschah“. Wie die Wissenswette, die Wotan mit Mime im Siegfried veranstaltet, oder das große Nornen-Vorspiel oder die Waltrauten-Erzählung in der Götterdämmerung. Erda ist ebenso ganz gestrichen wie Donner und Froh. Garben greift aber auch im Detail zum Rotstift und streicht, was das Zeug hält. Oder eben auch nicht, denn meistens sind die Striche ärgerlich. Wegen der „schönen Stellen“, die fehlen, wegen der Sinn-Verflachung, die damit verbunden sind, und wegen einer auffälligen Disproportion zu den (außer beim Rheingold) erhalten gebliebenen großen Schlussszenen.
Für die szenische Umsetzung dieser Ring-Version, die ursprünglich ihrerseits Teile des Rheingoldes als Rückblende in der Walküre integrieren wollte, hatte Katharina Wagner ein Bühnenbild mit Frank Schlössmann und ein detailliertes Regiekonzept entwickelt, ein Sängerteam gecastet, Sponsoren gefunden und eine Journalistencrew aus Deutschland einladen lassen.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Walküre

Doch als die Regisseurin zum Probenbeginn anreiste und nicht vorfand, was sie erwartete, flog sie mit der gleichen Maschine am Abend wieder zurück, gab in Deutschland ein paar Interviews, in denen sie die Zustände am Teatro Colón kritisierte, flog binnen einer Woche noch einmal hin und löste (einvernehmlich) ihren Vertrag. Damit hatte man ein „Vorspiel auf dem Theater“, das für die Betroffenen alles andere als lustig war. Katharina ist damit zwar das Risiko los, eine fragwürdige Strichfassung faktisch zu legitimieren, hat aber allen Beteiligten einen ziemlichen Schock versetzt. Mag sein, dass ein allzu südamerikanischer Pragmatismus den Probenplan zur Makulatur gemacht hatte.

Der gleiche Pragmatismus rettete aber auch das Unternehmen und wahrscheinlich sogar das Haus. Die Argentinier haben ohnehin andere Sorgen als die Probenbedingungen im Teatro Colón. Sakrosankt ist auch dieses Haus trotz seines Stellenwertes nicht. Eine Woche vor der Premiere gab es in Argentinien den ersten Generalstreik seit Jahren, die Präsidentschaft von Christina Kirchner nimmt immer wirklichkeitsfernere Züge an, und am Rio de la Plata geht die Krise längst an die gesellschaftliche Substanz. Wenn etwa den Krankenhäusern ein Drittel ihrer Mittel gestrichen wird, steht jeder Peso für die Hochkultur unter besonderem Legitimationszwang.

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Siegfried

Retterin in der künstlerischen Not war die Argentinierin Valentina Carrasco. Für sie war dieses Himmelfahrtskommando, die ihre erste eigenständige Regiearbeit von vornherein war, wohl nicht nur eine Chance, sondern eine Frage der Ehre, das erste Opernhaus ihres Landes nicht vor den Baum fahren zu lassen. Sie sagte nach einer kurzen Bedenkzeit zu, beschränkte sich mit der Arbeit am Konzept auf wenige Tage und zog während der Probenarbeit im Handumdrehen das gesamte Team auf ihre Seite. Zurückgreifen konnte sie für ihre erste völlig eigenständige Regiearbeit immerhin auf ihre Ring-Erfahrungen mit der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus beim Ring-Projekt in Valencia. In dem vorgefundenen, von Carles Berga nur etwas aufgelockerten Schlössmann-Bühnenbild aus Treppenlandschaft und variabler Fassadenkonstruktion entwickelte sie mit dem ebenfalls neu verpflichteten österreichischen Dirigenten Roberto Patanostro ein eigenes Konzept. Einige wenige Streichungen wurden rückgängig gemacht, vor allem wurde nun mit dem Vorspiel und dem Rheingold begonnen. Dass dabei vieles unausgegoren blieb, ist das eine. Eine ausgeklügelte Personenregie gehörte noch nie zu den Markenzeichen von La Fura dels Baus. Und auch bei Carrasco blieb jetzt manches nur angedeutet und im Rampensingen stecken (besonders im Falle von Siegfried und Brünnhilde). Andere Szenen wiederum, wie die mit Mime im Siegfried, spielen sich ohnehin fast von selbst und gerieten auch hier intensiv.

Vergrößerung in neuem Fenster Götterdämmerung

Auch musikalisch kam nicht unbedingt eine Wagner-Sternstunde heraus. Doch war die Steigerung von der musikalisch fast schon desolaten Generalprobe bis zu der drei Tage später folgenden Premiere ein Qualitätssprung! Zudem gelang es Paternostro mit der auf halber Strecke wechselnden Orchestermannschaft eine deutliche Qualitätssteigerung im zweiten Teil zu erreichen.
Unter den zwanzig Protagonisten, nötigt vor allem Linda Watson als überragende Brünnhilde Respekt ab. Auch wenn man nicht zu ihren ausgewiesenen Fans zählt, muss man neben der reinen Konditionsleistung, auch ihre Eloquenz und (wenn auch begrenzte) Spielfreude würdigen.

Die hervorragende Fricka Simone Schröder ist eines der Opfer ärgerlicher und den Sinn beeinträchtigender Striche. Marion Ammann hat als Sieglinde dagegen mehr Gelegenheit, sich zu entfalten. Ebenso sicherten der durchweg nobel klingende Gerard Kim als Gunther oder Kevin Conners also ausgesprochen spielfreudiger Mime den Ensemble-Standard. Jukka Rasilainens Wotan blieb über weite Strecken erstaunlich diffus, gewann aber gegen Ende hin an Statur. Stig Anders hat als Siegmund seinen Zenit hörbar überschritten, und sein Tenorkollege Leonid Zakhozhaevs kam als Siegfried zwar nicht im verständlichen Deutsch, aber mit Mühe doch noch beim Strahlemann an. Daniel Sumegi war als Fasolt, Hunding und Hagen vokal ein Mittelding aus Geschmacksache und brüchiger Zumutung.

Insgesamt war wohl unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr drin. Berücksichtigt man die Entstehungsgeschichte dieser Produktion, muss sich vor allem deshalb niemand dafür schämen, weil es Valentina Carrasco, eigentlich gegen jede Wahrscheinlichkeit, einen spezifisch argentinischen Ring aus dem Hut zu zaubern, der es in sich hatte.

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Götterdämmerung

Wenn Wotan dabei in Generalsuniform und Fricka in einem entfernt an Evita Peron erinnernden Look auftreten, also an argentinische Herrscherlegenden erinnern, ist das nicht so plakativ, wie es klingt. Denn die eigentliche zentrale Idee hat es in sich: Bei Carrasco werden die Rheintöchter nämlich zu Rheinmüttern. Alberich raubt nicht das Gold, sondern einen Säugling, und Nibelheim ist das finstere Innere einer Welt, in der schwangere Frauen misshandelt und ermordet werden, in der man ihnen aber vor allem wie zu Zeiten der Militärdiktatur (1976-1983) die Kinder raubt. In einem Land, in dem die hartnäckig protestierenden Mütter Legende und immer noch aktive Realität sind, ist das ein ziemlich starkes, mutiges Stück Musiktheater. Wenn am Ende unter den Menschenmassen, die auf die Bühne strömen, auch diese befreiten Kinder sind, dann ist das wenigstens ein Funken Hoffnung. Valentina Carrasco musste dafür deutliche Buhs hinnehmen, hat sich aber in der Welt der Oper damit einen Namen gemacht! Leider gab es diesen Ring vor Ort nur zweimal. Aber die Deutsche Welle hat (auch für eine DVD) gefilmt, und zwar sowohl diesen Ring als das Vorspiel auf dem Theater.


FAZIT

Der Colón-Ring ist ein Experiment, das durch den Wechsel des Inszenierungsteams beinahe schief gegangen wäre. Die mutig auf die jüngste argentinische Geschichte bezogene Regie von Valentina Carrasco rettete das Unternehmen szenisch. Musikalisch täuschten alle Anstrengungen im Graben und die differenzierten Leistungen auf der Bühne nicht darüber hinweg, dass diese Fassung mehr Nachteile als Vorteile hat.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Roberto Paternostro

Regie
Valentina Carrasco

Mitarbeit Regie
Alejandro Stadler

Bühnenbild
Carles Berga
unter Verwendung des Originals von
Frank Philipp Schlössmann

Kostüme
Nidia Tusal

Licht
Peter van Praet

Chor
Peter Burian


Orquesta Estable del Teatro Colón

Coro Estable del Teatro Colón


Solisten

Brünnhilde
Linda Watson

Siegmund
Stig Andersen

Wotan
Jukka Rasilainen

Siegfried
Leonid Zakhozhaev

Alberich
Andrew Shore

Sieglinde
Marion Ammann

Fricka
Simone Schröder

Mime
Kevin Conners

Gutrune-Helmwige
Sabine Hogrefe

Gunther
Gérard Kim

Freia, Gerhilde
Sonja Mühleck-Witte

Hunding, Hagen, Fastolt
Daniel Sumegi

Fanfner
Gary Jankowski

Loge
Stefan Heibach

Waldvöglein, Woglinde, Ortlinde
Silja Schindler

Rossweise
Manuela Bress

Flosshilde, Schwertleite
Bernardett Fodor

Waltraute
Susanne Geb

Wellgunde, Grimerde
Uta Christina Georg

Sigrune
Andriana Mastrángelo



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Teatro Colón
(Homepage)







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