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Besuch im Menschenzoo
Von Joachim Lange
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Fotos Bernd Uhlig / La Monnaie Die meisten Opernneuproduktionen fallen nicht mit dem avantgardistischen Ehrgeiz der Komponisten auf, ins originell Neue vorzustoßen und damit womöglich zu verschrecken. Durch riskante Experimente verschreckt kaum ein Komponist mehr sein Publikum. Womit sollten sie auch in den Zeiten der akustischen und stilistischen Pluralität. Aber anders als beim Schauspiel fallen in der Oper vielmehr die weit zurückgreifende Auswahl der Sujets und eine Anlehnung an bewährte Stoffe auf. Medea, Orest, Caligula, Dionysos etc. werden von den Neutönern beschworen. Und an der La Monnnaie Oper in Brüssel hat Benoît Merniers in seiner Oper La Dispute auf Marivaux' Vorlage aus dem Jahre 1744 zurückgegriffen. Was durchaus zu Mozarts und Da Pontes Liebesexperiment passt. Doppelt hält besser: Cupido und Amor schießen mit dem Liebespfeil
Die nicht allzu überraschende Erkenntnis nach dieser jüngsten Uraufführung ist freilich: weder Così fan tutte noch A Midsummer Night's Dream sind durch diesen Exkurs ins frühaufklärerische Frankreich mit den Mitteln einer moderaten Nachmoderne einzuholen oder gar zu überholen. Zudem müsste man den Titel La Dispute, der von Marivauxs Vorlage aus dem Jahre 1744 übernommen ist, hier eher mit Betrachtungen' als mit Streit' übersetzen. Denn seine hybride Komödie für Prosa und Musik ist eine sehr französische und erstaunlich getragene Novität geworden. Bei dem sich die tatsächlich vergehenden zwei Stunden deutlich länger anfühlen und man gut auf ein Viertel verzichten könnte. Die sprichwörtliche Marivaudage strahlt beim flotten Wechsel zwischen gesprochenen und gesungenen Passage zwar auf und sorgt auch für französische Leichtigkeit. Dass die intensive musikalische Grundierung dabei überreichlich vom gesprochenen Dialog der Sänger oft allzu musical-like unterbrochen wird, bekommt der emotionalen Treffsicherheit des Abends nicht wirklich - Marivaux hin, Marivaux her. Das Experiment läuft
Wie in Mozarts Così geht es um die Belastbarkeit von Treue, wenn Leidenschaft virulent ist. Wie in der Mittsommernacht gibt es Drahtzieher und Versuchskaninchen. Dem erfahrenen Paar aus Prinzen (Stéohane Degout) und Hermiane (Stéphanie d'Oustrac) haben Ursel Herrmann und Joël Lauwers im Libretto mit Cupido (Kateline Verbeke) und Amor (Dominique Visse) noch ein liebesgöttliches Duo (aus anderen Mariveaux-Texten) hinzugefügt, das die unterschiedlichen Seiten der Liebe personifiziert. Sie stehen dem hohen Paar zu Diensten und ziehen bei den jungen Liebesnovizen Églé (Juli Mathevet), Adine (Albane Carrère), Aszor (Cyrille Dubois) und Meserin (Guillaume Andrieux) die Strippen. Nach einer Kindheit und frühen Jugend in der Isolation entdecken sie staunend sich selbst und die anderen Exemplare des gleichen und des anderen Geschlechtes. Und das, was da so passieren kann. Als eine der Frauen dann ihre Entscheidung ändert, gibt es zwar gehörigen Zoff, aber die Schuldfrage ist geklärt. Cosi fan tutte eben. Menschenexperimente sind per se zynisch. Was aber bei Mozart und Da Ponte heuer der kluge Interpretenblick hinter der Komödie zu Tage fördert, steht hier im Text. Werden sie ... oder werden sie nicht?
Das Altmeister-Inszenierungspaar Ursula und Karl-Ernst Herrmann bewegen sich bei Ihrem ersten Versuch mit einer neuen Oper auf ihrem abgesicherten ästhetischen Terrain. Der Raum ist klar und opulent; ein grünes Labyrinth, das an das Heckentheater im Salzburger Mirabell-Park erinnert. Rosa Leuchtstoff-Röhren markieren alsbald einen Riesen-Würfel. Der wird zum Käfig für das Experiment im Menschenzoo. Das führen sie virtuos und ästhetisch vor. Den Zynismus, der dabei waltet, stellen sie freilich nicht in Frage. Wie sie eigentlich könnten - und sollten. Musikalisch enthält sich Mernier auch in seiner zweiten Oper nach Frühlings Erwachen jeden avantgardistischen Furors. Was die 30 Musiker und Patrick Davin dann in den 17 ineinander übergehenden Szenen zelebrieren, beginnt mit gekonnt geraunter, gezirpter oder verhalten dräuender Atmosphärenmusik, die dann aber in einen eher milden, oft kontemplativen Rezitationsstil gleitet. Im Tiefflug über die grünenden Auen der Musikgeschichte. Mit Charme beim Changieren zwischen Gesang und Sprache. Und einem spielfreudigen und vokal virilen jungen Ensemble. FAZIT Die Oper in Brüssel macht sich um eine Uraufführung verdient, für die sie einen ästhetischen Rahmen und musikalische Qualität sichert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Mitarbeit Regie
Bühne, Kostüme und Beleuchtung
Solisten
Le Prince
Hermiane
Egle
Adine
Azor
Mesrin
Cupidon / Mesrou
Amour / Carise
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