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War Requiem

Oratorium für Sopran, Tenor, Bariton, Gemischen Chor, Mädchen- und Knabenchor, Orchester und Orgel Op. 66
Text nach der Missa pro defunctis und Gedichten von Wilfred Owen
Musik von Benjamin Britten

Szenische Aufführung in lateinischer und englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 1 ½  Stunden – keine Pause

Premiere im Theater Basel am 16. Mai 2013


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Theater Basel
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Kunst gewährt Frieden

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel

Anlässlich seiner Inszenierung der Karmelitinnen-Oper von Francis Poulenc in Berlin (2011) bekannte Calixto Bieito in einem Interview seine Distanz zur Religion, besonders zum Katholizismus. Obwohl unter jesuitischem Einfluss aufgewachsen, sei er kein gottgläubiger Mensch, könne sich allerdings ein Leben ohne Spiritualität nicht vorstellen. Diese finde er in der Kunst als einer Art Religion: „Kunst gewährt Frieden“, so Bieito damals. Denselben Satz hätte er vermutlich auch auf seine Inszenierung von Brittens War Requiem  beziehen können. Denn mit seiner Auffassung berührt sich der katalanische Regisseur sehr eng mit derjenigen des Komponisten, der mit diesem Werk keineswegs einen Beitrag für religiöse Zeremonien leisten wollte, obwohl es den Titel „Requiem“ trägt. Wohl hat Britten darin den vollständigen Text der Missa pro defunctis verwendet, wie er seit der Gregorianik im Rahmen der Totenmesse gebräuchlich ist, aber Britten hat diesem religiösen Andachtsritual als extremen Gegensatz die pazifistischen Verse von Wilfred Owen gegenüber gestellt, die dieser angesichts des unmittelbaren Erlebens in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs schrieb. Owens Lyrik ist kompromisslos in ihrer Anklage des zerstörerischen Heroismus und der Gräuel des Kriegs. Es sind Gedichte eines Fünfundzwanzigjährigen, der noch in den allerletzten Tagen des Krieges einen sinnlosen Tod sterben musste. So stoßen sich liturgischer Text und individuelles Schicksal unerbittlich hart, und zwar nicht allein in den Worten, sondern dieser Widerspruch bestimmt  die gesamte musikalische Faktur des Werks. Keine Aufführung wird darauf zielen können, allein Mitleid und Trost zu spenden. Das War Requiem mündet nicht in ein Erlösungsversprechen von der ewigen himmlischen Ruhe, sondern in einer fast tonlosen Klage zweier geschundener Krieger, die nicht einmal mehr die Kraft zur Feindschaft haben. Darüber legt Britten nach langen chromatischen Klangirrungen das denkbar leiseste Amen, das es in einem derartigen Werk wohl gibt. Nur die Musik gewährt hier den Frieden.

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Hoffnungslos im Kirchenschiff: Rolf Romei

Bieito hat Brittens Oratorium genau in diesem Sinne  in bildlichen Assoziationen inszeniert und als Hülle einen sakral anmutenden Raum gewählt, in dem sich Aktionen kriegerischen Alltags abspielen. Nicht einen konkreten Krieg meint die Inszenierung, sondern es sind Bilder von  Grundsituationen des menschlichen Elends in allen Kriegen – Verfolgung und Flucht, Totschlag und Mord, verlassene und gemetzelte Kinder, geschändete Frauen, Wahnsinnige, Kriegskrüppel, wie sie regelmäßig in allen medialen Varianten die Welt umrunden. Irrwitzige Heldenposen, menschliche Verrohung, größte Verzweiflung werden durch Akteure zu lebenden Bildern, die im Tiefsten berühren und nach dem verklungenen letzten Akkord das Publikum in einer langen Stille ergriffenen Nachdenkens bannen, ehe der Beifall einsetzt.

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„...und schlachtete seinen Sohn und die halbe Saat Europas“: Thomas Bauer (Bariton) und Rolf Romei (Tenor)

Susanne Gschwender hat einen Kirchenraum auf die Bühne gestellt, der nach vorne offen ist, das strenge Gestühl ragt fast bis in den Zuschauerraum, schon beim Eintritt des Publikums sitzt der Chor wie zu einer Andacht versammelt schwarz gekleidet auf den Bänken. Diese Kathedrale ist renovierungsbedürftig, denn ein Stahlgerüst beherrscht den Raum, Symbol für den historischen Kontext der Uraufführung, die 1962 anlässlich der Einweihung der wiedererrichteten Kathedrale von Coventry stattfand. 1940 hatte die deutsche Luftwaffe den Kirchenraum in Schutt und Asche gelegt. Hinten sind große Kirchenfenster zu sehen. Diese werden zum libera me herunterstürzen, so wie im Verlauf des Oratoriums das gesamte Innere des sakralen Raums in Trümmer fällt, im selben Maße wie das menschliche Leid kumuliert. Bieitos Kunst szenische Situationen pointiert zu stellen und die Figuren zu größter Ausdruckskraft zu führen, steht dieser Produktion in perfekter Weise zu Diensten.

Höhepunkt ist das Bild zu Owens Gedicht inmitten des Offertoriums, wo von der Opferung Isaaks berichtet wird, die hier entgegen der biblischen Überlieferung nicht durch göttliche Gnade abgewendet wird und wo es stattdessen heißt: „Der alte Mann schlachtete seinen Sohn und die halbe Saat Europas, einen nach dem anderen“. Die Sänger, Rolf Romei (Tenor) und Thomas Bauer (Bariton), legen  in diese bewegende Szene höchste vokale Expressivität. Auch die Sopranistin Svetlana Ignatovic singt und spielt mit großer Intensität. Britten konzipierte sein War Requiem als künstlerisches Versöhnungswerk zwischen den Völkern, indem er die Gesangspartien für Galina Wischnewskaja, Dietrich Fischer-Dieskau und Peter Pears vorsah. Dieser Grund ist in heutiger Zeit entfallen, aber das Werk hat als kompromisslose Anklage an die Entmenschlichung durch den Krieg auch in der Gegenwart nichts von seiner kathartischen Wirkung verloren. Die Inszenierung am Basler Theater hat die Radikalität der von Britten intendierten Aussage sogar noch gesteigert.

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"Dies irae“: Svetlana Ignatovic (Sopran) und Rolf Romei (Tenor)

Britten hat für sein Werk zwei Orchester vorgesehen, die entsprechend der antagonistischen Textteilung in Liturgie und Lyrik jeweils die begleitende Musik beisteuern. Das große Orchester ist im Graben platziert, während ein Kammerorchester vom Stahlgerüst aus die lyrischen Texte begleitet. Gabriel Feltz führt die beiden Orchesterteile subtil und präzise. Die zahlreichen solistischen Passagen gelingen dem Sinfonieorchester Basel exzellent. Vor allem auch die Chöre, die selbst auch agieren, sind bestens disponiert, besonders die Mädchen- und Knabenkantorei beweisen eine ausgezeichnete Klangkultur.

FAZIT

Nicht allein Coventry, auch Guernica, Stalingrad, Dresden oder Hiroshima mögen Benjamin Britten vor Augen gestanden haben, als er 16 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Auftragswerk konzipierte. Als Symbole für die Widerwärtigkeit des Krieges, für staatlich befohlenes Morden und zwischenmenschliche Verrohung müssten heute auch Srebenica oder Aleppo in dieser  Reihe stehen, in  einer Reihe, die nach hinten in die Geschichte betrachtet endlos zu sein scheint und die im Bewusstsein des Pazifisten Benjamin Britten in der Gegenwart beendet werden muss. „All a poet can do today is warn“ stellte er mit den Worten Wilfred Owens dem War Requiem als Motto voran. Diese Aufforderung des Werks  wird mit der Basler Produktion auf eindrücklichste Weise erfüllt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz* /
Giulianao Betta

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Susanne Gschwender

Kostüme
Ingo Krügler

Licht
Roland Edrich

Chorleitung
Henryk Polus

Einstudierung Knabenkantorei
Marcus Teutschbein

Einstudierung Mädchenkantorei
Cordula Bürgi

Dramaturgie
Ute Vollmar




Mädchenkantorei Basel

Knabenkantorei Basel

Chor des Theater Basel

Extrachor des Theater Basel

Sinfonieorchester Basel

Solisten

Sopran
Svetlana Ignatovic

Tenor
Rolf Romei

Bariton
Thomas Bauer



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Basel
(Homepage)



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