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Der Sandmann

Oper in neun Szenen
Libretto von Thomas Jonigk nach Motiven der Erzählung von E.T.A. Hoffmann
von Andrea Lorenzo Scartazzini

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Uraufführung im Theater Basel am 20. Oktober 2012


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Theater Basel
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Am Ende ist der Dichter tot

Von Joachim Lange / Fotos stellt das Theater Basel uns leider nicht zur Verfügung

Am Anfang sieht man einen Neonrahmen um eine schwarze Fläche. Bühnenbreit und nicht allzu hoch. Dann schleichen sich scheinbar verirrte Klänge aus dem Graben an. In der Dunkelheit taucht eine Glühbirne auf. Ein Mann sitzt rechts an der Wand. In der Mitte sieht man etwas, dessen Umrisse an Arnold Böcklins Toteninsel erinnern. Wenn dann zum akustischen das optische Crescendo einsetzt, entpuppt sich dieses Etwas als Bücherstapel. Druckfrische Exemplare wie bei einer Buchmessen-Premiere. „Der Sandmann“ heißt das autobiographische Werk des Dichters, in dem das Alter Ego von dessen Muse Clara gleich auf der ersten Seite verunglückt. Woraufhin der Held mit der Leiche den besten Sex seines Lebens hat. Als die echte Clara das mitbekommt, rastet sie verständlicherweise aus. Aber das ist nur die äußere, sozusagen alltägliche Ebene der Handlung, die man gut und gerne als die Krankengeschichte eines scheiternden Möchtegernschriftstellers lesen kann.

Thomas Jonigk (46) hat sich für das Libretto zu Andrea Lorenzo Scartazzinis Oper in 10 Szenen Der Sandmann von E.T.A. Hoffmanns gleichnamiger Vorlage aus dem Jahre 1816 inspirieren lassen, die schon Jaques Offenbach zu seinen berühmten Hoffmanns Erzählungen anregte. Samt einem Coppelius und einer künstlichen Frau, die hier nicht Olympia, sondern konsequenterweise Clarissa heißt. Damit ist die zweite (nach der 2006 in Erfurt uraufgeführten Wut) Oper des 41jährigen Schweizer Komponisten Scartazzini auch eine Künstleroper geworden. Ein paar Nummern kleiner, gewiss.

Die Geschichte ist in ihrer Verschränkung von Traum und Wirklichkeit mit der immer beklemmender aufsteigenden Vergangenheit des Protagonisten und dem psychologisierenden Beziehungsclinch gleichwohl auf narrative Stringenz aus. Bei der mustergültigen Textverständlichkeit der Protagonisten und der maßgeschneiderten Inszenierung von Christoph Loy geht diese Theaterrechnung in 75 Minuten glänzend auf. Dabei ist das etabliert bewährte Sujet, das der Frage nachsinnt, wie Kunst entsteht und welchen Preis sie hat, nicht nur ein Stück in die Nähe eines bei Thomas Mann so oft variierten „Kunst aus Leiden“ gerückt. Den Text durchziehen sogar Anklänge an dessen feine Ironie. Nun wird Barbara Prals knapp möblierter Breitbandguckkasten zwar nicht gleich zu einem Nebengelass des Zauberbergs, aber doch zum schlüssigen Raum für ein spannendes Kammerspiel der Innenschau einer Künstlerexistenz.

Wobei am Ende nicht mal ganz klar ist, ob Nathanael wirklich ein Künstler ist, wie er selbst glaubt. Die grandios überzeichnende Szene, bei der er in einem Chor-Rezensentenlob badet und den gönnerhaften Publikumsliebling gibt, wird jedenfalls schnell als halluzinierter Wunschtraum entlarvt. Die Dämonen der Vergangenheit hingegen, sein Vater und Coppelius, werden für ihn immer realer. Nachdem Nathanael seine wirkliche Muse, die auch „nein“ sagen kann, vergrault hat, offerieren diese beiden ihm eine Nachbildung, die nur „ja“ sagt. Was sich dann natürlich als die eigentliche Katastrophe erweist und auch beim zweiten Anlauf, leicht umprogrammiert, nicht funktioniert. Am Ende ist der Dichter tot. „Verrückt“ ist das letzte Wort der Oper. Gesprochen vom toten Vater am Grabe seines Sohnes, den jetzt auch Clara sieht. Vielleicht jedenfalls.

In der präzisen, in jeder Phase der Musik abgelauschten Inszenierung wird die strenge Schwarz-weiß-Ästhetik nur durch das Kleiderrot Clarissas und ihrer maschinellen Schwestern durchbrochen. Die von Tomáš Hanus und dem Sinfonieorchester Basel präzise, dosiert und mit Verve zum Alptraumleben erweckte Musik Scartazzins ist so intensiv wie bühnentauglich. Eng mit dem Parlando verschränkt, bietet sie vom Hecheln und Stöhnen, Schaben oder Scharren auf der einen Seite bis zu den verzweifelten Rufen Nathanaels nach Clara, harten Orchesterschlägen und einem faszinierend maschinell klingenden Tutti von 18 Clarissa-Doubletten einen szenischen Charme, der vom abrupten Wechsel ebenso profiziert wie von der beklemmenden Steigerung der klanggewordenen Anfechtungen des Protagonisten.

Diese Oper hat alles, was sie für ein weiteres Überleben braucht. In Basel steht zudem mit dem so stimmgewaltigen wie ausdrucksstarken Ryan McKinny ein erstklassiger Nathanael auf der Bühne, dessen sportive Jugendlichkeit sein Schicksal zusätzlich ins Tragische steigert. Für Agneta Eichenholz ist die Wandlung von der besorgten Clara in die laszive sexy Automatenfrau Clarissa kein Problem. Und da auch Marko Špehar als stets besorgter Freund des Hauses Lothar eine gute Figur macht und Thomas Piffka für den Vater und Hans Schöpfer für seinen Coppelius abgründig groteske Komik aufbieten, und weil auch der Chor wie eine Schweizer Uhrwerk bei der Sache ist, hat Basel einen gefeierten Uraufführungserfolg zu vermelden.

FAZIT

Das Theater Basel punktet mit der Uraufführung von Andrea Lorenzo Scartazzinis zweiter Oper Der Sandmann in der Inszenierung von Christoph Loy. Ganz so, wie es dem an diesem Hause üblichen hohen Standard entspricht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomáš Hanus

Regie
Christof Loy

Bühne
Barbara Pral

Kostüme
Ursula Renzenbrink

Choreographie
Thomas Wilhelm

Chorleitung
Henryk Polus

Licht
Stefan Bolliger

Dramaturgie
Yvonne Gebauer



Statisterie des Theater Basel

Chor des Theater Basel

Sinfonieorchester Basel


Solisten

Nathaniel
Ryan McKinny

Clara/Clarissa
Agneta Eichenholz

Lothar
Marko Špehar

Vater
Thomas Piffka

Coppelius
Hans Schöpflin

Lothar
Marko Špehar



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Basel
(Homepage)



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