Die Modernität der Barockoper Von Christoph
Wurzel / Fotos werden nicht zur Verfügung gestellt
Auch ohne kopflastiges Konzept, ohne bemühte Aktualisierung und sogar
mit den oftmals lästigen Videoprojektionen lässt sich ein spannender
Opernabend gestalten. Das hat das Theater Basel jetzt mit Händels Ariodante glänzend bewiesen. Aus
der im mittelalterlichen Schottland spielenden Ritteroper um die arg
gebeutelte Königstochter Ginevra, die völlig unschuldig des Treuebruchs
beschuldigt wird und ihren Bräutigam Ariodante, der blindlings in die
von seinem Neider Polinesso gelegte Eifersuchtsfalle hineintappt, ist
in der Arbeit des Regisseurs Stefan Pucher ein packendes Seelendrama
geworden und die Möglichkeiten der Barockoper in Richtung modernes
Musiktheater erweitert worden. In dieser Produktion ist es gelungen,
dem genau gearbeiteten Spiel, der psychologisch höchst intensiv
motivierten Aktion der Personen mit den Projektionen als Bühnenbild
einen weit gespannten visuellen Raum hinzuzufügen. Mit Bildern
vielerlei Art werden der Handlung immer wieder neue Dimensionen
eröffnet, die das Geschehen kommentieren und reiche Assoziationen
wecken. Der Zuschauer wird also nicht mit einem Konzept überrumpelt,
sondern ihm erwachsen aus Musik und Bild eigene Spielräume der Deutung
für die Aktion auf der Bühne.
Dem
häufigen Szenenwechsel in einer Barockoper klug angepasst ist der
Einsatz der Drehbühne, wobei die einzelnen Spielflächen geschickt durch
Türen verbunden werden, was die Dynamik des szenischen Ablaufs noch
steigert. Davor ist eine Wand in der Form eines Triptychons gebaut,
durch die hindurch überhaupt erst die Handlung sichtbar wird. Das gibt
dem Ganzen eine gewisse tragische Aura, was die Doppelbödigkeit dieser
Oper hervorhebt, die im Grunde von schrecklichem Missverständnis,
tiefem menschlichen Verrat und dennoch einem (mindestens vordergründig)
glücklichen Ende handelt.
So wie die Handlung im ersten Akt als lächerliche Hofintrige beginnt,
stellen Anabelle Witt (Kostüme) und Chris Kondeck (Videoprojektionen)
die Handlung noch im ironisch gebrochenen Schottenlook aus. Zum
fotografischen Naturbild einer Küstenlandschaft sieht man den trotz
seines Sturzes ins Meer überlebenden Ariodante. Das von seinem Bruder
Lurcanio über die angebliche Untreue Ginevras angezettelte Gottesurteil
wird von einem barocken Erzengel Michael sekundiert und groteske
Bilder mit gierig gefräßigem und gefährlichem Getier, Motive aus den
barocken Wald-Stillleben von Marseus van Schrieck, tapezieren als Symbole
für den Überlebenskampf die Wände des Königspalastes im 3. Akt, wenn
Ginevras Vater nur mühsam erkennen kann, dass seine Leichtgläubigkeit
gegenüber der Intrige die Liebe zu seiner Tochter überschattet, ja
diese fast getötet hat. Ginevra, die am Ende des 2. Aktes an ihrem
existenziellen Tiefpunkt angelangt ist, da sie nicht begreifen kann,
wie ihr geschieht, warum ihr eigener Vater sie zur Hure gestempelt und
einem zwielichtigen Gottesurteil ausgesetzt hat, steht zu ihrer
Verzweiflungs-Arie Il mio
crudel martoro
geschunden und buchstäblich enthäutet da und der ganze Schrecken
dessen, was ihr angetan wird, verdichtet sich beklemmend in diesem
einen Arienmoment. Selten ist die Fallhöhe von vermeintlich höchstem
Glück (wenn im 1. Akt aus Vorfreude auf die Hochzeit sogar das
Publikum zum Mitsingen beim Jubelchor eingeladen wird) bis zur tiefsten
Verzweiflung an dieser Stelle so eindrücklich auf der Bühne gezeigt
worden.
Auch
musikalisch realisiert sich hier die in Händels Partitur angelegte
tiefe Erschütterung, weil das Basler Barockorchester La Cetra unter
Andrea Marcon so intensiv und expressiv spielt, aber vor allem auch
Maya Boog in der Rolle der Ginevra mit reichen Facetten die Affekte
stimmlich fühlbar macht. Überhaupt hat das Theater Basel für diese
Produktion ein exzellentes Ensemble aus jungen Stimmen
zusammengestellt. Voran die hoch virtuos singende Franziska Gottwald in
der Titelpartie. Ein neuer Stern scheint am Barockhimmel da über dem
Hochrhein auf. Souverän bewältigt sie die exorbitanten Anforderungen
dieser Partie zwischen grenzenlosem Jubel und fassungsloser Traurigkeit
mit expressiver Intensität und technischer Präzision. Ein stimmlich
pechschwarzer Polinesso liegt in der Stimme von Christiane Bassek und
als Dalinda begeistert Agata Wilewska mit klarem, hellen Sopran. Luca
Tittolo gibt einen unerbittlichen König und Vater mit festen
Grundsätzen. Der wandlungsfähige Bassbariton war in Basel schon als
Giove in Cavallis La Calisto
eine Wucht. Mit Rolf Romei steht
schließlich ein beachtlicher Sänger für die kleine, aber entscheidende
Rolle des Lurcanio auf der Bühne. Mit Andrea Marcon hat das Theater
Basel einen ausgewiesenen Experten der Alten Musik zur Verfügung, der
mit den Instrumentalisten von „La Cetra“ einen kernigen Originalklang
erzeugt, zupackend und frisch, zugleich auch mitfühlend expressiv (Io ti bacio... – Ginevras
tieftraurige Abschiedsarie!).
Zum
Schluss ordnet sich glücklicherweise doch noch alles zum ironisch
konterkarierten lieto fine. Da stehen die Choristen paarweise sortiert
zum abschließenden Sa trionfar ognor,
wobei alle Männer ein Baby auf dem Arm halten: Allesamt sind sie
bessere Väter als derjenige, der hier in der Oper versagt.
FAZIT
Unter
den vielen Versuchen, für Händels Opern eine moderne Form zu finden,
gehört dieser hier zu den am meisten geglückten.
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Andrea Marcon
Inszenierung
Stefan Pucher
Bühne
Barbara Ehnes
Kostüme
Anabelle Witt
Video
Chris Kondeck
Chor
Henryk Polus
Dramaturgie
Bettina Auer
Musikalische Assistenz
Johannes Keller
Chor des Theater Basel
La Cetra Barockorchester
Basel
Solisten
Il Re
(König von Schottland)
Luca Tittolo
Ariodante
(Vasall des Königs)
Franziska Gottwald*
Marina Prudenskaja
Ginevra
(Tochter des Königs)
Maya Boog
Lurcanio
(Ariodantes Bruder)
Nicolay Borchev
Rolf Romei*
Polinesso
(Herzog von Albany)
Christiane Bassek
Dalinda
(Hofdame Ginevras)
Agata Wilewska
Odoardo
(Günstling des Königs)
Noel Hernández
* Besetzung
der rezensierten Aufführung
Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Basel
(Homepage)
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