Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Ariodante

Dramma per musica in tre atti
Anonyme Bearbeitung nach dem Libretto Ginevra, principessa di Scozia von Antonio Salvi
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3 ¾  Stunden – zwei Pausen

Wiederaufnahme am 24. Oktober 2012 (Premiere am 13. Mai 2012)
(rezensierte Aufführung: 27.10.2012)


Homepage

Theater Basel
(Homepage)
Die Modernität der Barockoper

Von Christoph Wurzel / Fotos werden nicht zur Verfügung gestellt

Auch ohne kopflastiges Konzept, ohne bemühte Aktualisierung und sogar mit den oftmals lästigen Videoprojektionen lässt sich ein spannender Opernabend gestalten. Das hat das Theater Basel jetzt mit Händels Ariodante glänzend bewiesen. Aus der im mittelalterlichen Schottland spielenden Ritteroper um die arg gebeutelte Königstochter Ginevra, die völlig unschuldig des Treuebruchs beschuldigt wird und ihren Bräutigam Ariodante, der blindlings in die von seinem Neider Polinesso gelegte Eifersuchtsfalle hineintappt, ist in der Arbeit des Regisseurs Stefan Pucher ein packendes Seelendrama geworden und die Möglichkeiten der Barockoper in Richtung modernes Musiktheater erweitert worden. In dieser Produktion ist es gelungen, dem genau gearbeiteten Spiel, der psychologisch  höchst intensiv motivierten Aktion der Personen mit den Projektionen als Bühnenbild einen  weit gespannten visuellen Raum hinzuzufügen. Mit Bildern vielerlei Art werden der Handlung immer wieder neue Dimensionen eröffnet, die das Geschehen kommentieren und reiche Assoziationen wecken. Der Zuschauer wird also nicht mit einem Konzept überrumpelt, sondern ihm erwachsen aus Musik und Bild eigene Spielräume der Deutung für die Aktion auf der  Bühne.

Dem häufigen Szenenwechsel in einer Barockoper klug angepasst ist der Einsatz der Drehbühne, wobei die einzelnen Spielflächen geschickt durch Türen verbunden werden, was die Dynamik des szenischen Ablaufs noch steigert. Davor ist eine Wand in der Form eines Triptychons gebaut, durch die hindurch überhaupt erst die Handlung sichtbar wird. Das gibt dem Ganzen eine gewisse tragische Aura, was die Doppelbödigkeit dieser Oper hervorhebt, die im Grunde von schrecklichem Missverständnis, tiefem menschlichen Verrat und dennoch einem (mindestens vordergründig) glücklichen Ende handelt.

So wie die Handlung im ersten Akt als lächerliche Hofintrige beginnt, stellen Anabelle Witt (Kostüme) und Chris Kondeck (Videoprojektionen) die Handlung noch im ironisch gebrochenen Schottenlook aus. Zum fotografischen Naturbild einer Küstenlandschaft sieht man den trotz seines Sturzes ins Meer überlebenden Ariodante. Das von seinem Bruder Lurcanio über die angebliche Untreue Ginevras angezettelte Gottesurteil wird von einem barocken Erzengel Michael sekundiert  und groteske Bilder mit gierig gefräßigem und gefährlichem Getier, Motive aus den barocken Wald-Stillleben von Marseus van Schrieck, tapezieren als Symbole für den Überlebenskampf die Wände des Königspalastes im 3. Akt, wenn Ginevras Vater nur mühsam erkennen kann, dass seine Leichtgläubigkeit gegenüber der Intrige die Liebe zu seiner Tochter überschattet, ja diese fast getötet hat. Ginevra, die am Ende des 2. Aktes an ihrem existenziellen Tiefpunkt angelangt ist, da sie nicht begreifen kann, wie ihr geschieht, warum ihr eigener Vater sie zur Hure gestempelt und einem zwielichtigen Gottesurteil ausgesetzt hat, steht zu ihrer Verzweiflungs-Arie  Il mio crudel martoro geschunden und buchstäblich enthäutet da und der ganze Schrecken dessen, was ihr angetan wird, verdichtet sich beklemmend in diesem einen Arienmoment. Selten ist die Fallhöhe von vermeintlich höchstem Glück (wenn im 1. Akt aus  Vorfreude auf die Hochzeit sogar das Publikum zum Mitsingen beim Jubelchor eingeladen wird) bis zur tiefsten Verzweiflung an dieser Stelle so eindrücklich auf der Bühne gezeigt worden.
 
Auch musikalisch realisiert sich hier die in Händels Partitur angelegte tiefe Erschütterung, weil das Basler Barockorchester La Cetra unter Andrea Marcon so intensiv und expressiv spielt, aber vor allem auch Maya Boog in der Rolle der Ginevra mit reichen Facetten die Affekte stimmlich fühlbar macht. Überhaupt hat das Theater Basel für diese Produktion ein exzellentes Ensemble aus jungen Stimmen zusammengestellt. Voran die hoch virtuos singende Franziska Gottwald in der Titelpartie. Ein neuer Stern scheint am Barockhimmel da über dem Hochrhein auf. Souverän bewältigt sie die exorbitanten Anforderungen dieser Partie zwischen grenzenlosem Jubel und fassungsloser Traurigkeit mit expressiver Intensität und technischer Präzision. Ein stimmlich pechschwarzer Polinesso liegt in der Stimme von Christiane Bassek und als Dalinda begeistert Agata Wilewska mit klarem, hellen Sopran. Luca Tittolo gibt einen unerbittlichen König und Vater mit festen Grundsätzen. Der wandlungsfähige Bassbariton war in Basel schon als Giove in Cavallis La Calisto eine Wucht. Mit Rolf Romei steht schließlich ein beachtlicher Sänger für die kleine, aber entscheidende Rolle des Lurcanio auf der Bühne. Mit Andrea Marcon hat das Theater Basel einen ausgewiesenen Experten der Alten Musik zur Verfügung, der mit den Instrumentalisten von „La Cetra“ einen kernigen Originalklang erzeugt, zupackend und frisch, zugleich auch mitfühlend expressiv (Io ti bacio... – Ginevras tieftraurige Abschiedsarie!).

Zum Schluss ordnet sich glücklicherweise doch noch alles zum ironisch konterkarierten lieto fine. Da stehen die Choristen paarweise sortiert zum abschließenden Sa trionfar ognor, wobei alle Männer ein Baby auf dem Arm halten: Allesamt sind sie bessere Väter als derjenige, der hier in der Oper versagt.


FAZIT

Unter den vielen Versuchen, für Händels Opern eine moderne Form zu finden, gehört dieser hier zu den am meisten geglückten.





Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andrea Marcon

Inszenierung
Stefan Pucher

Bühne
Barbara Ehnes

Kostüme
Anabelle Witt

Video
Chris Kondeck

Chor
Henryk Polus

Dramaturgie
Bettina Auer

Musikalische Assistenz
Johannes Keller


Chor des Theater Basel


La Cetra Barockorchester
Basel

Solisten

Il Re
(König von Schottland)
Luca Tittolo

Ariodante
(Vasall des Königs)
Franziska Gottwald*
Marina Prudenskaja


Ginevra
(Tochter des Königs)
Maya Boog

Lurcanio
(Ariodantes Bruder)
Nicolay Borchev
Rolf Romei*


Polinesso
(Herzog von Albany)
Christiane Bassek

Dalinda
(Hofdame Ginevras)
Agata Wilewska

Odoardo
(Günstling des Königs)
Noel Hernández

* Besetzung der rezensierten Aufführung



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Basel
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -