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Der etwas andere Tristan
Von Joachim Lange / Fotos von Hermann und Clärchen Baus
Richard Wagner hat bekanntlich oft und gern von der Revolution schwadroniert. Von den Barrikaden herab und auf dem Papier. Eine echte, allerdings musikalische Revolution zettelte er spätestens 1865 mit der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde an. Kein Komponist kam danach mehr daran vorbei. Er konnte bildlich gesprochen nur schweigen, in die Knie gehen oder sich radikal auf den Weg in die nachwagnerianische Moderne machen. Die aber, denen es gelang, den Tristan für sich zu übersetzten, ohne das Neue oder sich selbst aufzugeben, sind schon deshalb bedeutend. Wie Claude Debussy 1902 mit Pelléas et Mélisande. Oder der hierzulande fast unbekannte in Genf geborene Komponist Frank Martin (1890-1974).
Dem Spielplan von Jürgen Flimms Berliner Staatsoper gereicht es im Wagnerjahr durchaus zur Ehre, Martins zwischen 1938 und 1942 entstandenen Zaubertrank jetzt im Schillertheater serviert zu haben. Was französisch Le vin herbé heißt, hat tatsächlich die Konsistenz jenes Gebräus, das die treu sorgende Brangäne ihrer Herrin Isolde statt des verlangten Todestrankes reicht, mit dem die eigentlich sich selbst und den so nahen wie fernen Geliebten Tristan bei Wagner gleich im ersten Akt umbringen will. Der Liebestrank also gibt Martins Tristan-Variante nach der Vorlage von Joseph Bédiers 1900 erschienenem Le roman de Tristan et Iseut den Titel. Er gerät aber durch eine pure Verwechslung in den Kreislauf der Geschichte. Die endet hier wie dort mit dem Tod der beiden, den die Verheißung der Vereinigung im Jenseits umweht und sich im Falle von Isolde als Liebestod eingebürgert hat.
Martin ist jenes unwahrscheinliche Kunststück gelungen, mit einer kammermusikalisch leicht bestückten Jolle neben dem unter voller Orchestertakelage segelnden Schlachtschiff Wagners das gleiche Ziel anzusteuern. Ohne durch dessen Wellengang ins Schlingern zu kommen. Die maritime Metapher klingt unlogisch, aber Parallelen treffen sich ja bekanntlich im Unendlichen Martins oratorisch angelegte, erzählende und, wie die britische Regisseurin Katie Mitchell jetzt im Schillertheater mit ihrer atmosphärisch klugen Inszenierung überzeugend belegte, auch für eine szenische Umsetzung taugende Stück profitiert natürlich vom Nachhall der Tristanmusik. Die klagende Trauer der Streicher scheint zuweilen wie ein fernes Echo aus dem dritten Wagnerschen Tristan-Aufzug herüber zu wehen. Doch es bleibt eine ganz eigene Annäherung.
Mitchell und ihre Ausstatterin Lizzie Clachan verlegen die 100 Minuten währende, von nur acht Instrumentalisten und 12 Vokalisten getragene Erzählung in ein zerstörtes Theater des Uraufführungsjahres 1942. Mitten in der morbiden Opulenz der Zerstörung, in Kälte und Not erinnern sich die Menschen an die alte Geschichte und spielen sie sich selbst zur Ermutigung vor. Ein gespanntes Seil, ein Tuch, Wedeln mit einem Buch, ein leichtes Schwanken - und fertig ist das Schiff auf der Überfahrt. Ein Sprung vom Klavier reicht, um den rettenden Sprung aus dem Feuer zu markieren, mit dem die Flucht der Liebenden beginnt, nachdem sie beim König denunziert wurden. In der Opulenz des Verfalls wird mit den kargen Mitteln Illusion und Phantasie vom Zuschauer verlangt und bereitwillig geliefert. Was natürlich durch die fein ziselierende intensive Wirkung der von Franck Ollu durchhörbar gestalteten Musik und durch den Einsatz der als Chor und als Solisten gleichermaßen überzeugenden Sängercrew befördert wird. Dabei werden vor allem Anna Prohaska als Isolde und Matthias Klink als Tristan ihrer besonderen, tragenden Rolle gerecht. Einhelliger Jubel FAZITIm Schillertheater lässt Katie Mitchell Frank Martins Le vin herbé dunkel leuchten. Diese Beinahe-Entdeckung lohnt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Co-Regie
Ausstattung
Licht
Dramaturgie
Solisten
Sopran 1
Sopran 2, Iseut la Blonde
Sopran 3, Branghien
Alt 4 | Iseut aux blanches mains
Alt 5 | Iseut mère
Alt 6
Tenor 1
Tenor 2, Tristan
Tenor 3 | Kaherdin
Bass 4
Bass 5 | Le Roi Marc
Bass 6 | Le Duc Hoël
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