Ästhetisch
stilisiert
Von Bernd Stopka
/ Fotos von Falk von Traubenberg
Giacomo Meyerbeers Werke
werden immer wieder gern belächelt - zumeist von den Opernfreunden, die
sie noch nie gehört haben. Glücklicherweise gibt es immer wieder
Produktionen, sowohl an großen wie an kleineren Häusern, die beweisen,
dass Meyerbeer viel zu oft und viel zu sehr verkannt wird. Sicher sind die
Libretti zuweilen wirr und überladen, die musikalischen Stilmittel
manchmal beliebig und Effekt heischend eingesetzt, die Dimensionen
ausufernd... Aber es finden sich so viele musikalische Perlen, dass eine
normale Halskette nicht reicht, um sie aufzunehmen – und das liegt nicht
nur am üppigen Umfang der Partituren.
Inès (Nathalie de Montmollin), Don Diego
(Paolo Ruggiero) Das Mainfrankentheater Würzburg hat seine neue Spielzeit
mit Meyerbeers
letzter Oper, „L’Africaine (Die Afrikanerin – Vasco de Gama)“,
eröffnet und mit
dieser Produktion viele Perlen zum Glänzen gebracht. Bühnen-
und Kostümbildner
Jan Bammes hat mit verschieb- und drehbaren schrägen Wänden
ein stilisiertes
Bühnenbild geschaffen, das konkret genug die Orte der Handlung
(Ratssaal,
Schiffsinneres…) andeutet, der Phantasie des Zuschauers aber immer noch
viel
Raum für Assoziationen und eigene Bilder lässt. Dazu
gehören auch die kleinen
Papierschiffchen im rechten vorderen Teil der Bühne. Mit eindrucksvollen, aber nicht üppigen
Kostümen
umschifft Bammes nicht nur das Kliff des Ausstattungsschinkens, sondern
entwickelt auch unaufdringlich aktualisierende Hinweise, ohne dabei
plump oder
unästhetisch zu werden. So sieht man neben Duttenkragen moderne
dunkle Anzüge; bronzefarbene,
glatzköpfige Priester tragen in Lilatönen gehaltene
Gewänder, Sélika einen neuzeitlichen
Leopardenfellmantel und die Eingeborenen stecken in Trikots, die wie
Ganzkörpertätowierungen wirken.
Priester (Chor), Don Pédro (Johan F.
Kirsten) Nach dem
Kentern und Entern des Schiffes im vierten Akt
benutzen die Eingeborenenfrauen die weißen Sonnenschirme der
mitgereisten
Portugiesinnen. So dringt die Zivilisation einerseits dezent ein –
andererseits
überdeutlich, indem das wunderbare Land, das Paradies, wie es
Vasco besingt, als
Erdölreservoir mit Ölpumpe und effektvoll brennenden
Ölfässern erscheint. Eine
Wasserfläche auf der Bühne, deren Tropfkreise sich an den
Wänden widerspiegeln,
auf die Erd- oder Gesteinsebenen projiziert sind, erzeugt eine
Ästhetik, die
gleichzeitig unheimlich wirkt.
Das Stilmittel
der Stilisierung greift auch Regisseur Gregor Horres auf. Seine Personenregie hat sehr intensive und starke Momente,
wirkt
aber nie überzogen – bei Sélikas Wiegenlied für Vasco
im zweiten Akt vielleicht
etwas zu unerotisch, nach ihrer Hochzeit im vierten Akt dafür umso
gewollt leidenschaftlicher.
Gut durchdachte Details sprechen für die Qualität einer
konzentrierten und
nicht überladenen Personenführung. Nachdem Inés aus
dem zunächst berauschenden
und dann tötenden Duftbereich des Manzanillobaumes fliehen konnte,
kratzt sie
sich an den Armen und zeigt deutliche Hautirritationen. Das ist
botanisch
begründet, denn der Saft des Baumes verursacht bei Berührung
eine Ablösung der
Haut. Der Duft ist eher ungefährlich und schon gar nicht
tödlich – die Geschichte
so aber operngeeigneter. Aber wenn es angesagt ist, dann gibt der Regisseur dem
Kaiser, was des Kaisers ist, stellt die Sänger an die Rampe und
lässt die
grandiose Musik einer „Großen Oper“ für sich sprechen
und vor allem
klingen! Da sei als bestes Beispiel das fulminante Finale des zweiten
Aktes
genannt.
Nélusko
(Adam Kim), Sélika (Karin Leiber)
Das Konzept
geht auch deshalb so wundervoll auf, weil in
Würzburg Sängerinnen und Sänger auf der Bühne
stehen, die eine geschlossen
eindrucksvolle Ensembleleistung bieten. Nicht nur librettobedingt, auch
in der
Gestaltung ihrer Partie wird Karen Leiber im Laufe des Abends von der
Titel-
zur musikalischen Hauptfigur. Bei ihrer farben- und ausdrucksreichen
Gestaltung
kann sie sich immer auf ihren bruchlosen Mezzosopran mit samtener Tiefe
und
seidiger Mittellage verlassen, geht mit warmen und, wo es angemessen
ist, auch
dramatischen Tönen tief unter die Haut. Trotz
angesagter,
aber kaum hörbarer Indisposition konnte auch Nathalie de
Montmollin
in der hier besprochenen Aufführung als Inés mit ihrem
substanzreichen,
innig-eindringlichen Sopran für sich gewinnen. Bei den
Männerstimmen steht Adam
Kim in der ersten Reihe. Mit seinem angenehm timbrierten Bariton
lässt er als
Nélusko sehnsuchtsvolle Liebe ebenso überzeugend klingen
wie bösartige Schwärze
in maßloser Wut – und viele Schattierungen dazwischen. Er hat
reiche stimmliche
Mittel und geht geschmackvoll mit ihnen um.
Sélika (Karin Leiber)
Don Pédro ist
eher
schablonenhaft als giftiger, aber nicht ganz ernst zu nehmender
Bösewicht
gezeichnet. Johan F. Kirsten verleiht der
Figur eine entsprechend angemessene musikalische Umsetzung. Paolo
Ruggiero kann
sowohl als Don Diégo wie auch als
Oberpriester seinen kernigen, klangschönen Bass strömen
lassen. Paul McNamara
hat Schmelz und Glanz in der Stimme, beeindruckt vor allem in den
ersten beiden
Akten, kann sich auf dieser stimmlichen Höhe aber nicht bis zum
Schluss halten.
Da ist es besonders schade, dass Vasco de Gama die Paradies-Arie erst
im
vierten Akt singt.
GMD Enrico Calesso ist ein elanvoller
musikalischer Motor,
der auch Momente der Unsicherheit zwischen Bühne und Graben nicht
nur souverän
meistert, sondern dabei auch den musikalischen Bogen nicht verliert.
Ein durch
und durch leidenschaftliches, packendes Dirigat. Der große Chor
singt
prachtvoll, könnte aber an der einen oder anderen Stelle etwas
präziser sein.
Das tut dem großartigen Gesamteindruck des Abends aber keinen
Abbruch.
FAZIT
Hinfahren und genießen!
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Enrico Calesso
Inszenierung
Gregor Horres
Bühnenbild
und
Kostüme
Jan Bammes
Choreinstudierung
Markus Popp
Dramaturgie
Christoph Blitt
Philharmonische Orchester
Würzburg
Opernchor,
Extrachor und
Komparserie des
Mainfranken Theaters
Würzburg
Solisten
Don Pédro,
Ratspräsident
Johan F. Kirsten
Don Diego,
Admiral
Paolo Ruggiero
Inès,
seine Tochter
Nathalie de Montmollin
Vasco da Gama,
Marineoffizier
Paul McNamara
Don Alvar,
Ratsmitglied
Yong Bae Shin
Großinquisitor
Jörn E. Werner
Nélusko,
Sklave
Adam Kim
Sélica,
Sklavin
Karen Leiber
Oberpriester des
Brahma
Paolo Ruggiero
Anna, Begleiterin
der Inès
Sonja Koppelhuber
Ein Ratsdiener
Kenneth Beal
Ein Matrose
David Hieronimi
Ein
Priester
Deuk-Young Lee
Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Mainfranken Theater
(Homepage)
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