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Musiktheater
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Gogol

Oper in drei Akten
Libretto nach dem gleichnamigen Stück von Lera Auerbach
Musik von Lera Auerbach


Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Auftragswerk des Theater an der Wien
mit Unterstützung des Wiener Mozart-Jahres 2006
sowie mit zusätzlicher Förderung durch die Galerie Sistema
und Viacheslav Sheianov zu Ehren von Raisa Sheianova

Uraufführung am 15. November 2011 im Theater an der Wien

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Theater an der Wien
(Homepage)

Der doppelte Dichter im Schnee

Von Roberto Becker / Fotos: Walter Kmetitsch, Theater an der Wien

Es muss der Alptraum für ein Opernhaus sein, wenn kurz vor einer Uraufführung mit einer tragenden Hauptrolle der verpflichtete Sänger plötzlich ausfällt. Das ist der Stoff, aus dem die Geschichten gemacht werden, in denen ein Intendant auf den Herzinfarkt zusteuern, eine Komponistin entnervt abreisen und eine Regisseurin den ganzen Laden in einen hysterischen Ausnahmezustand brüllen könnte.

Im Theater an der Wien ist so etwas in der Art jetzt passiert. Aber zum Glück nur der erste Teil des Horrorszenarios. Der krankheitsbedingte Rückzug von Bo Skovhus von der Rolle des Dichters Gogol in der gleichnamigen Oper der Russin Lera Auerbach muss wohl zu einem Theater-Schock-Moment geführt haben. Am Ende der bejubelten, zweieinhalbstündigen Uraufführung wirkten sie jedoch allesamt zufrieden und demonstrativ entspannt. Der auf Erfolgskurs segelnde Intendant, Roland Geyer, hatte nämlich für das Auftragswerk Vollprofis zusammengebracht, für die die Wechselfälle des Theater-Lebens inspirierender Ansporn bei der Suche nach pragmatischen Lösungen sind. Und die sehen hier obendrein auch noch so aus, als wäre nie etwas anderes beabsichtigt gewesen.


Vergrößerung Otto Winkler als Gogol und sein kindliches Alter Ego

Dass Regisseurin Christine Mielitz damit umgehen kann, verwundert natürlich nicht. Die Theaterfrau aus dem Osten, die auch Erfahrungen als Oberspielleiterin und in Meiningen und Dortmund auch als Intendantin gesammelt hat, ist mit allen Wassern gewaschen und hat, im Bunde mit ihrem Bühnenbildner Johannes Leiacker und der längst selbst als Opernregisseurin erfahrenen Arila Siegert für die sinnstiftend beigesteuerte Choreografie von Tänzertruppe und Arnold Schoenberg Chor sogar den überzeugendsten Beitrag zu diesem Gesamtkunstwerk beigesteuert. Die Rolle des erwachsenen Dichters hat sie – in Abstimmung mit der ebenso pragmatisch reagierenden Komponistin – nämlich einfach auf zwei Sänger verteilt.


Vergrößerung

Auch eine Maria gehört zur Alptraumwelt Gogols

Was durchaus der zerrissenen Persönlichkeit Gogols entgegenkommt. Lag der doch stets im Clinch mit sich selbst, fand nie aus seiner Einsamkeit als Mensch in eine Beziehung und hungerte sich schließlich, in religiösem Fastenwahn, 1852 mit 42 Jahren schlichtweg zu Tode. Martin Winkler und Otto Katzameier bewältigen diese Persönlichkeitsaufspaltung szenisch und vokal ganz famos und halten obendrein als Duo auch noch ihrem dialektischen teuflischen Gegenpart Bes (Ladislav Elgr) und der Hexe Poshlust (ausladend sinnlich und vital: Natalia Ushakova) stand.


Vergrößerung Komponistin Lera Auerbach (Foto: C. Steiner)

Die 38jährige Lera Auerbach blieb mit 17 Jahren, kurz vor dem Ende der Sowjetunion bei einem Konzertgastspiel in New York. Als Autorin ist sie heute auch in ihrer alten Heimat ebenso geschätzt wie als Pianistin. Im deutschsprachigen Raum machte sie mit einem erstaunlich umfangreichen kompositorischen Werk immer wieder Eindruck. Die Opuszahl 100 ist in ihrem Alter schon etwas Außergewöhnliches. Ob in Berlin gerade mit a-capella-Oper The Blind nach Maurice Maeterlincks symbolistischem Stück oder in Dresden als „Komponistin in Residenz“, wo sie an einem Dresden-Requiem schreibt, das im kommenden Februar, kurz vor dem nächsten Gedenken an die Bombennacht, in der Frauenkirche uraufgeführt werden soll.


Vergrößerung

Gogol auf Reisen (in der Mitte Otto Katzameier als Gogol, links neben ihm der Teufel Bes)

Was sich die imponierend produktive Künstlerin zu Gogol ausgedacht, zuerst als Theaterstück gedichtet, dann zum Opernlibretto verdichtet und schließlich vertont hat, ist keine Episodensammlung aus dem Leben des Erfinders der Toten Seelen, des Revisors oder der Nase, sondern der Versuch, sich dessen vertrackter, verzweifelter Psyche zu nähren, seine Dämonen und erfundenen Gestalten zu beschwören, die russische Seele in Schwingungen zu versetzen. Das ist so modern und offen gedichtet wie eingängig und erstaunlich unmodern komponiert. Vergleicht man diese vital ausufernde, melodisch eingängige Musik mit ihren Ausflügen in die witzig groteske Überzeichnung, etwa mit Schostakowitschs Nase, käme man wohl nicht auf den Gedanken, dass Gogol Jahrzehnte danach geschrieben ist. Aber sei‘s drum. Was Vladimir Fedoseyev da mit dem ORF Radiosymphonieorchester aus dem Graben aufsteigen lässt, das ist eine sinnlich direkt zupackende, meist aufwühlende Musik, die sich ihrer Wurzeln zwar mehr versichert als ihr gut tut, aber im besten Sinne die Bühne füllt.


Vergrößerung Gogol bringt den Tod um

Und da trifft sie auf eine stilsicher mit russischen Assoziationen spielende Szene, die sich gleichwohl nie in tümelnder illustrierender Folklore verliert. Ganz gleich ob da ein Fiedler über der Schneelandschaft Purzelbäume schlägt, russische Bräute wie im Märchenfilm aufmarschieren und dem armen Gogol das Fürchten lehren, eine Prima Ballerina über die Szene schwebt oder sich die angekippte Schneelandschaft wie ein Höllenschlund (oder vielleicht doch eine Himmelspforte?) öffnet. Das hat alles souveränes Maß, kommt ohne übertriebene Motorik aus, beglaubigt alles aus der Musik. Es ist eine der überzeugendsten Inszenierung der ihres Intendantenpostens in Dortmund ledigen  Regisseurin, die längst niemandem mehr irgendwas beweisen muss.


FAZIT

Die neue Oper von Lera Auerbach ist nicht nur wegen ihres Sujets sehr russisch geraten. So modern das collagierende Libretto auch wirkt, die Musik geht nicht über Schostakowitsch hinaus, ist aber so eingängig, das sie den Hörer auch in ihrer orchestersatten und melodischen Machart zu packen vermag. Szenisch ist Regisseurin Christine Mielitz und ihrem Team mit dieser Produktion ein Wurf gelungen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vladimir Fedoseyev

Inszenierung
Christine Mielitz

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Kaspar Glarner

Chor
Erwin Ortner

Dramaturgie
Christian Baier


Arnold Schoenberg Chor

Grazer Kapellknaben

Mozart Knabenchor Wien

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Nikolai Gogol
Martin Winkler
Otto Katzameier

Bes
Ladislav Elgr

Poshlust/Hexe
Natalya Ushakova

Tod
Stella Grigorian

Maria/Gogols Mutter/Braut Nr. 1
Tatyana Plotnikova

Priester/Herr Doktor/Viys Stimme
Dejan Vatchkov

Braut Nr. 2/Stimme der Nymphe
Anna Gorbachyeva

Richter
Tim Severloh

Braut Nr. 3
Iwona Sakowicz

Richter
Tim Severloh

Staatsanwalt/Verteidiger
Falko Hönisch

Nikolka
Sebastian Schaffer
(Solist der Grazer Kapellknaben)


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





Da capo al Fine

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