Ich habe dich zum Fressen gern
Von Ursula
Decker-Bönniger
/ Fotos von Jörg Landsberg
Eine analytisch durchdachte,
humorvolle, mitunter leicht surreale Inszenierung
der 1787 in Prag uraufgeführten "Opera buffa" Don Giovanni
präsentiert das Theater Osnabrück als
Auftakt der Spielzeit 2011/1012. Regisseur Walter
Sutcliffe zeigt den unermüdlichen Charmeur
nicht als getriebenen, besessenen, Freiheit
liebenden Eroberer oder prinzipientreuen Schurken
sondern als jungen, Gewalt nicht
ausschließenden, genussfreudig verspielten,
erfolglosen Liebhaber, an dem Donna Anna, Donna
Elvira und Zerlina mehr als Gefallen finden.
Zerlina und Don
Giovanni (Daniel
Moon)
In seiner auch im Detail stimmigen
Personenregie nimmt Sutcliffe vor allem
Sexualität und weibliches Begehren in den
Blick. Die Kostüme unterstreichen die
Entwicklung der Protagonisten. Schon bei der ersten
- in Text und Musik von Mozart und da Ponte
gegensätzlich gestalteten Begegnung zwischen
Donna Anna und Don Giovanni - spielt Sutcliffe auf
die Reize einer widersprüchlichen,
doppelbödigen Leidenschaft an. Als der Vater
Donna Annas die Beiden dann auf der Straße
trifft, flieht sie. Don Giovanni erwehrt sich des
väterlichen Angriffs, indem er mit dem
zurückgebliebenen roten Stöckelschuh Donna
Annas auf ihn eindrischt. Sie wird infolge der
schweren seelischen Erschütterungen, die sie
durch den psychisch nicht verarbeiteten Tod ihres
Vaters erlebt, beziehungsunfähig und im
weiteren Verlauf nur nach Strafe und Rache sinnen.
Zerlina, die eigentlich schon im Duett "Là ci
darem la mano" den musikalischen
Verführungskünsten Don Giovannis erliegt,
kann das Gelernte letztlich bei ihrem Massetto
umsetzen. Und Donna Elvira? Verführt,
verlassen, ist sie dem Geliebten rachelüstern
nach Sevilla nachgereist. Zerrissen von Hass und
Liebe mutiert sie zur Liebenden, die - sich erotisch
anbiedernd - noch in der vorvorletzten Szene
(während des festlichen Abendmahls) versucht,
den Geliebten für sich zu gewinnen.
die
Hochzeitsgesellschaft mit Zerlina (links
stehend) und Masetto (rechts
stehend)
Den Rahmen des wechselnden,
gesellschaftspsychologisch anschaulich gestalteten
Beziehungsgefüges bildet eine Art
mittelalterliches Mysterienspiel. Zu Beginn und im
1. Finale treten mahnende, mit großen
Tiermasken ausgestattete Höllenfiguren auf.
Bevor sie am Ende der Oper, nach Don Giovannis
Höllenfahrt triumphierend die Bühne
erobern, schließt eine weihrauchschwenkende,
in kostbarem, goldgewirktem Gewand auftretende
Gestalt die Tore.
Passend dazu das Bühnenbild.
Das Geschehen findet überwiegend in - je nach
Szene verschiedene Blickwinkel einfangenden -
dreidimensionalen, nackten Straßenlandschaften
statt, deren fensterlose Häuserwände
verschiedene Pflasterarten ziert. Wunderbarer,
surrealer Höhepunkt des nächtlichen
Vexierspiels ist das Finale des 1.Aktes, wo mithilfe
der Drehbühne die ausgelassene, von Don
Giovanni und Leporello bewusst angeheizte Stimmung
der Gäste in Orientierungslosigkeit
mündet.
Sieht man einmal von deutlich hörbaren
Startschwierigkeiten während der Ouvertüre
ab, so bleibt ein musikalischer Eindruck, dem das
bruchlose Ineinandergreifen von Spiel, Gesang und
Musik überwiegend gelingt, wobei vor allem das
junge Solistenensemble mit einer
textverständlich singenden, engagiert
schauspielenden Darbietung überzeugt.
Leporello und Donna
Elvira während der Registerarie
Genadijus Bergorulko charakterisiert Leporello zwar
stimmlich nicht mit der notwendigen Beweglichkeit,
dafür aber umso mehr mit Witz und
schauspielerischer Begabung. Daniel Wagner
verkörpert einen mit klarer, strahlender
Höhe ausgestatteten, jugendlichen Don Ottavio.
Marco Vassalli ist ein stimmlich überzeugender,
junger Masetto, der sich von dem warmen, schlanken,
lyrischen Sopran Marie-Christine Haases
verführen lässt. Daniel Moons weicher,
lyrisch klangvoller Bariton kommt vor allem in der
Canzonetta des 2. Aktes zur Geltung, das
atemberaubenden Tempo der Champagner-Arie lässt
zu wenig Zeit für Gestaltung und Artikulation.
Astrid Kessler steigert ihre dramatische
Gestaltungskraft im Laufe des Abends. Musikalisch
differenziert und anrührend gelingt ihr die
Darbietung der Zerrissenheit und Liebessehnsucht
Donna Elviras in der Arie "Mi tradi quell' alma
ingrata". Herausragend ist Lina Liu als Donna Anna.
Sie weiß von der ersten Szene an mit ihrem
warm timbrierten, vollmundigen Stimmklang und
dramatisch aufblühenden Koloraturen das
Publikum zu verzaubern.
FAZIT
Eine trotz orchestraler Einschränkungen sehr
sehenswerte, schlüssige
Inszenierung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Hermann Bäumer
Inszenierung
Walter Sutcliffe
Bühnenbild und Kostüme
Okarina Peter, Timo Dentler
Dramaturgie
Kathrin Liebhäuser,
Ralf Waldschmidt
Chor
Holger Krause
Chor des Theaters Osnabrück
Osnabrücker Sinfonieorchester
Statisterie des Theaters Osnabrück
Solisten
*
Besetzung der Premiere
Don Giovanni
Jan Friedrich
Eggers/
*Daniel Moon
Donna Anna
Lina
Liu
Don Ottavio
Daniel Wagner
Il Commendatore
Mark
Sampson
Donna Elvira
Astrid
Kessler
Leporello
Genadijus
Bergorulko
Masetto
Marco
Vassalli
Zerlina
Marie-Christine
Haase
Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)
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