Amor vincit omnia
Von Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von Jörg
Landsberg
Georg Philipp Telemann. Er war belesen, weltgewandt
und zu Lebzeiten der berühmteste deutsche
Komponist. 1721 übernimmt er die Leitung der
Hamburger Oper am Gänsemarkt. Das Angebot, als
Thomaskantor in Leipzig zu wirken, lehnt er ab. Er
bleibt Hamburg als Opernchef bis zu deren
Schließung 1738 erhalten. Die Einen beziffern
sein Opernschaffen auf ca. 50 Werke, die Anderen auf
40. Ulrich Schreiber hebt seine besondere Begabung
für das komische Musiktheater hervor. Telemann
führt bei Amtsantritt eine schon vorher in
Hamburg gepflegte Tradition der heiteren Spieloper
fort, die sich in zahlreichen Begriffsvarianten wie
"musikalisches Lustspiel", "scherzhaftes Singspiel"
etc. zeigt.
Satyr und Amor
in einvernehmlichem Beisammensein
Eines der vielen, für die Bühne wieder zu
entdeckenden Werke ist Der Sieg der Schönheit,
Telemanns erstes Werk für die Oper am
Gänsemarkt. 1722 "für ein hochadeliges
Pächtergremium herausgebracht" und erfolgreich
uraufgeführt, stand das Singspiel in deutscher
Sprache bis 1735 immer wieder auf dem Spielplan.
Überliefert ist allerdings nur eine ab 1725 in
Braunschweig aufgeführte Bearbeitung, eine
Zusammenstellung aus Arien, Ensemblesätzen, neu
komponierten Rezitativen und hinzugefügten
Tänzen. In Klangfarbenreichtum,
"spektakulärer Handlung und eingängiger,
fast schlagerartiger Musik" greift Telemann hier die
Anregungen von Händels Londoner Opern auf.
Historischer Hintergrund der Handlung ist die Einnahme
Roms durch die Wenden im Jahre 455. Gensericus und die
Seinen treffen auf die römische Kaiserin Eudoxia,
ihre Töchter, deren Kammerzofe und den
Aristokraten Olybrius. Besiegt, aber auch befreit von
Tyrannei und Ehe zeigt das barocke Singspiel ein
konfliktreiches Spiel von gesellschaftlicher Erwartung
und eigenem Empfinden. Gensericus will die sich
zunächst weigernde Kaiserwitwe Eudoxia heiraten.
Sein Sohn Honoricus meint, er sei ein Frauenfeind, bis
die listenreiche Tochter Pulcheria sich als Mann
verkleidet und Honoricus verwirrt feststellen muss,
das das von ihm geliebte Venusbild die
Gesichtszüge Pulcherias darstellt. Placidia
deutet das zögerliche Verhalten ihres Verlobten
Olybrius als Untreue und will sich mit Helmiges rächen.
Helmiges und Olybrius müssen
büßen
Im Zentrum der Osnabrücker Erstaufführung
nach der Neuausgabe stehen der Liebesgott Amor und der
Satyr Turpino.
Angereichert mit Venusabbildungen prangt Caravaggios
"Amor vincit omnia" - der berühmte, sich wie im
Lauf, Sprung oder Tanz über Kunst, Wissenschaft,
Macht und Ehre hinwegsetzende nackte, dunkel
geflügelte, lachende Cupido - dem Zuschauer zu
Beginn überlebensgroß entgegen. Es ist eine
Mauer aus Pappkartons, die nach Orchestereinleitung
und festlichem Chor-Intro mit den Worten "Drauf ihr
tapferen Helden. Heute müsst ihr siegen!"
demonstrativ zusammenbricht. Im weiteren Verlauf
werden die Mauerelemente dann geschickt und
vielfältig für Requisitenverstecke, kleine
Szenenandeutungen z. B. das Gefängnis
umfunktioniert und ermöglichen so einen wunderbar
schnellen, reibungslosen Ablauf ohne große
Umbaupausen.
Regisseur Markus Bothe setzt an den Anfang der
Handlung plakative Bilder von plündernden,
mordenden Siegern. Barockes Lustspiel, Leichtigkeit
und Komik finden sich in dieser Inszenierung eher in
den spielerisch eingesetzten Elementen des
Bühnenbilds bzw. dem sinnreichen Wortspiel von
Amor und Roma. Schillernde, prächtige Beleuchtung
unterstützt die folgende, revueartige
Aneinanderreihung von Rezitativen, kontrastiven Arien,
vielfältigen Ensembles sowie instrumentalen
Tanzeinlagen. Ausgestellt auf einer Drehbühne
finden Alle im Schlusschor "Amor, all deine Plagen
machen doch zuletzt vergnügt" zu rotem
Herzchenregen und einem Feuerwerk aus Wunderkerzen
zusammen. Eine Personenregie, die in den Namen
angedeutete barocke Stilisierungen oder musikalische
Affektüberzeichnung aufgreift, sucht man jedoch
vergeblich. Auch die gewählten Kostüme
geben hier wenig Anregung und Bothes dramaturgische
Akzentuierung des seelischen Spektrums der handelnden
Figuren beschränkt sich oft auf gezielt die Figur
herausleuchtendes Scheinwerferlicht. Zu selten wird
das kontrastreiche Affektspiel geistreich, witzig
geschweige denn grotesk übertrieben.
Auf der Bühne: die Eroberung Roms mit Eudoxia im Vordergrund.
Vor der Bühne: das
Orchester
Musikalisch ist die Einstudierung Michael Schneiders
ein Genuss: ein u. a. mit Basso Continuo-Gruppe,
Cembalo, deutscher Barocklaute, fellbespannten Dreh-
bzw. Kesselpauken und zahlreichen Holz- und
Blechbläsern angereichertes doppelchöriges
Orchesterensemble, das akzentbetont und leicht
schwingend eine affektbetonte, dramatisch lebendige
Klangrede vor Augen führt. Hinzu kommt ein
passend ausgewähltes Solistenensemble.
Arien und Duette erklingen in verschiedensten
farblichen Schattierungen. Wie sich barocke Komik
stimmlich interpretieren lässt, zeigen besonders
gelungen Eva Schneidereit als Honoricus und Astrid
Kessler als Placidia, die in atemlosen Tontrauben,
schneidend und dramatisch meckernd ihr "Ich will dich
verfolgen mit wütenden Trieben" schmettert.
FAZIT
Eine vor allem musikalisch
überzeugende Barockrevue.