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Könige sind auch nicht mehr, was sie mal waren
Von Joachim Lange /
Fotos von Martina Pipprich
Dass ein Regisseur wie Tilman Knabe Wagners Tristan und Isolde in die ästhetisierte Abstraktion treiben würde, wie es Willy Decker gerade in der Jahrhunderthalle vorexerziert hat (unsere Rezension), das war in Mainz nicht im Ernst nicht zu erwarten. Schon eher ein atemberaubender Opernkrimi. Dass allerdings sogar ein Hauch des sogenannten arabischen Frühlings auf die Bühne wehen würde, war dann doch überraschend. Und auch, dass es am Ende funktioniert und sich Knabe, wie schon bei seinem atemberaubenden Mannheimer Lohengrin, noch aus jeder Falle, in die er kühn hineingestürmt war, auch wieder mit einem subversiven Gedanken oder einem verblüffenden Effekt heraus zu winden verstand.
Daran hat die Bühne von Beatrix von Pilgrim mit den klaustrophobischen Unterdeckkabinen eines modernen Kriegsschiffs, einem hochoffiziellen Versammlungsraum und einem heruntergekommen Bunker mit seiner latenten Militanz ihren Anteil. Für schwache Puristen-Nerven ist das zugegebenermaßen eine schwere Prüfung und zum musikalischen Nulltarif gibt es solche szenische Hochspannung natürlich auch nicht.
Und vom gütigen König Marke, der heilfroh ist, dass er am Ende die Braut, die er sich erst aufschwatzen ließ, um sie dann, na ja: kaufen?, entführen?, jedenfalls herbeischaffen zu lassen, dem entlasteten Freund offerieren kann, bleibt nichts übrig. Knabe glaubt den balsamischen musikalischen Selbstbekenntnissen Markes kein Wort und keine Note. Er stellt diese Figur (etwa so radikal wie Katharina Wagner ihren Hans Sachs) ins Gegenlicht des Zweifel und macht aus ihm einen Muammar al-Marke, einen despotischen Machthaber, der Operettenuniformen und den großen Auftritt, einschließlich verschleierter Frauen mit MPs in seiner Garde, liebt. Das muss man erst einmal schlucken. (Wobei es ja tatsächlich nicht die feine englische Art ist, wenn ein tributpflichtiger Herrscher statt der Zinsen den Kopf des Steuereintreibers nach Hause schickt, wie wir aus der von Isolde referierten Vorgeschichte erfahren.) Beim Eklat am Ende der Liebesnacht erniedrigt er den offenbar verachteten Tristan und verpasst Isolde genüsslich eine Schnittwund im Gesicht. Die deklarierte Güte wird bei Knabe erst durch das zynische Lachen seiner Soldaten gebrochen und dann im dritten Aufzug als rein politische Show für die mitgebrachte Presse denunziert. Überhaupt wird auf der Bühne an diesem Abend viel dazwischen gelacht. Anfangs auch von Tristans Männern. Die benehmen sich auf der Überfahrt wie die letzten Machos gegenüber den Frauen, die sie wie Geiseln unter Deck gefangen halten und per Video in ihrer Kabine offen dauerüberwachen. Zwischen Überwachungsraum und Wache vor der Gefängniskabine verständigt man sich natürlich mit einem laut klingelnden Handy. Isolde und Tristan greifen oft zur Zigarette. Beim sterbenden Tristan wird so lautstark wie vergeblich der Defibrillator eingesetzt. Dass jede Menge geschossen wird, versteht sich von selbst. Das Ende der Überfahrt: Links wird schon geputzt, in der Mitte Isolde, Brangäne, Kurwenal und Tristan und rechts Melot und Marke Und doch sind das szenische Ingredienzien, die sich hier zu einer spannenden Neubefragung von Wagners Werk fügen. Knabe hört nämlich sehr genau auf den Text, und zwar auch da, wo er metaphorisch abhebt und kaum jemand jeden Halbsatz bis ins Detail ohne Mühe erläutern könnte. Bei Knabe ist Isolde die Frau der Stunde und die mit dem Durchblick. Sie, die offenbar an den Hof eines zumindest muslimisch angehauchten Despoten verfrachtet wird, reißt sich ziemlich schnell das Kopftuch herunter. Im Unterschied zu Brangäne, die daran nicht einmal denkt. Sie lehnt sich auf, will erst Rache, tauscht dann aber doch selbst in letzter Sekunde das Sühnegift gegen Leitungswasser aus. Sie sucht in der Begegnung mit Tristan (genau im Zentrum der Macht, nämlich in der großen Versammlungshalle des Despoten) nicht nur die Liebesnacht, sondern auch den Diskurs, die Aufarbeitung und eine Liebe aus den richtigen Gründen. Sie will, dass Tristan (und das Publikum gleich noch mit) sie versteht und liebt. Hinter der scheinbar plakativen politischen Oberfläche hat man das selten so klar und an der vertrakten Wagnerpoesie orientiert gesehen! Isolde und Marke ein Despot greift zum MesserZiemlich kühn (aber im Grunde nur tatsächlich bis zum Katastrophen-Ende gedacht) auch die Bebilderung der Habet Acht-Rufe Brangänes. Da führen in einer alptraumartigen Sequenz Soldaten muslimische Frauen herein, lassen sie knien und erschießen sie. Erwischt werden als Todesurteil. Wenn die Utopie der Liebe auflodert, dann erheben sich die Frauen wieder und machen mit Laptop und kopierten Flugblättern Revolution, bis sie dann wieder erschossen werden. Knabe treibt damit das entgrenzend Utopische dieser herniedersinkenden Nacht für zwei Liebende auf die metaphorische Spitze einer ganz grundsätzlichen Infragestellung, vielleicht gar der patriarchalischen Grundfesten der Zivilisation. Am Ende überlebt nur Isolde, von Tristan allein gelassen und verwundet. Noch während des Liebestodes tauchen viele (mit MP bewaffnete) von ihrer entschlossenen Art auf und geistern durch den Raum. Sie aber flieht mit dem Laptop als Waffe unter dem Arm durch den Zuschauerraum zu uns. Ob sie da wirklich besser aufgehoben ist, ist nur eine der weiter rumorenden Fragen, die Tilman Knabe hier gestellt hat. Tristan stirbt in Isoldes Armen Eine Hochspannung wie in diesem ungewöhnlichen Tristan lässt sich natürlich nur mit Sängerdarstellern von Format erzielen. Und die hat Mainz parat. In der Reihe der jüngsten Tristan-Bemühungen, von Lyon über Bayreuth bis Bochum, ist Alexander Spemann mit seiner mühelosen Strahlkraft und klaren Artikulation der mit Abstand überzeugendste! Und auch Ruth Staffa gehört in die Gruppe der erstklassigen Isolden, in Mainz jedenfalls ist von einer Krise des Wagnergesangs nichts zu spüren. Noch dazu wo vor allem Patricia Roachs Brangäne und Heikki Kilpeläinens Kurwenal alsbald auf Augenhöhe mithalten. Wäre der Marke von Jürgen Rust nicht so angestrengt geraten, wäre das Sängerglück perfekt. Auch für den neue Mainzer GMD Hermann Bäumer war dieser Abend ein Alles in Allem gelungener Operneinstieg in seinem Haus. Da es bei diesem Tristan eh' nicht um esoterische Entrückung ging, setzte er passend zur Diesseitigkeit dieser Inszenierung auf einen klar zupackenden Orchesterklang und akzentuierte dramatisch. Die Pro- und Contra Schlacht für die Regie war zu erwarten und ist legitim. Der Jubel für die Protagonisten hochverdient.
Tilman Knabes Tristan und Isolde Thriller in Mainz ist nichts für schwache Nerven. Mit seiner Inszenierung zieht er die Zuschauer völlig in den Bann einer radikalen Neubefragung, zu der man sich so oder so - ins Verhältnis setzen muss. Höchsten Respekt verdient die musikalische Seite des Abends. Um Mainz jedenfalls hat die vielbeschworene Krise des Wagnergesangs einen großen Bogen gemacht. Vor allem Alexander Spemann muss als Tristan-Interpret niemanden fürchten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Solisten
Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirte
Ein Steuermann
Ein junger Seemann
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