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Panta Rhei oder die Zeit
fliegt Experimentelles Musiktheater zum Thema Zeit Von Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Michael
Hörnschemeyer hängende Zick-Zack-Projektionsfläche im Zuschauerraum Kunstvoll der
Entstehungszeit entrückt ist dieser Lampenhimmel
das Erste, was dem Theaterbesucher der erstmals
aufgeführten Musiktheaterproduktion TIMESHIFT oder die Zeit
ist ein Vogel begegnet. Zusammen mit
Jazzklängen eines im Parkett spielenden Trio im
Dialog mit zart aufspielenden Musikern aus dem
Orchestergraben füllen diese Lampenschirme
mehrfach zerteilt, vervielfacht, kunstvoll stilisiert
und zu bewegten kreisenden und linearen Formen
zusammengefügt, Bühne und Zuschauerraum
gleichermaßen. Sie sind Hauptgegenstand der live
zugespielten Videoprojektionen, einer der
Kunstbereiche, die in Münster bei normalen
Musiktheaterproduktionen eher selten anzutreffen sind.
Timeshift, was
man mit "Zeitverschiebung" übersetzen
könnte, ist das 9., vom Fond Experimentelles
Musiktheater geförderte Projekt, für dessen
Ausführung die Städtischen Bühnen den
Zuschlag erhielten. Ausgehend von Alan
Lightmans Buch Und
immer wieder die Zeit (Einstein's Dreams) entwickelten
die neue musikalische Leiterin des Studentenorchester
Münster Susanne Blumenthal, die freischaffende
Künstlerin Kerstin Ergenzinger, die Regisseurin
Recha la Doux und die Komponisten Sören Nils
Eichberg, Niels Klein, Vassos Nicolaou und Steingrimur
Rohloff sechs Einzelszenen mit instrumentalem
Prolog, Epilog und Zwischenspielen zum Thema Zeit. Die
von Vassos Nicolaou vertonte Ereignislosigkeit
kontrastiert mit den Multiplen Zeiten von Steingrimur
Rohloff. Auf die Ortsgebundene
Zeit von Sören Nils Eichberg folgt die Mechanische/ physische
Zeit von Vassos Nicolaou. Die Unstete Zeit von
Steingrimur Rohloff bildet die 5. Szene, während
die Absolute Zeit
von Sören Nils Eichberg, wo die Menschen von der
Zeit beherrscht werden, den düsteren Abschluss
bildet. Niels Klein komponierte Vor- und Nachspiel
sowie die instrumentalen Zwischenspiele.
Impressionen
aus
der zweiten Szene
Zu den
anregenden und für mich überzeugend
wirkenden Leitgedanken dieses ästhetische
Formprinzipien in den Vordergrund rückenden
Projektes gehört die Idee, sich auf wenige
Farben und Formen zu beschränken, diese zu
verändern und zu verselbstständigen.
Fließende, entrückte Illusionsräume
entstehen dabei nicht nur in den Videoprojektionen.
Die Schönheit paralleler Wirklichkeiten wird
uns auch in der Personenregie vor Augen geführt
mittels Schattenrisstechniken oder der begehbaren
Lampe in der zweiten Szene, wo Licht, Projektion und
Figurenbewegungen zu einem Gesamtkunstwerk
verschmelzen. Entrückte
Verwandlung und witzige, fantasievolle, aus
unterschiedlichen Kulturen und historischen Epochen
bestehende Kunstwelten sind auch Assoziationen, die
die entweder orange oder türkis farbenen
Kostüme der vier Solisten und des Chores
wecken.
Trotz allem
bleibt die Gesamtwirkung in großen Teilen zu
steril und emotionslos. Solisten oder Chor scheinen
keine menschlichen Charaktere darzustellen. Die
Stimm- und Textbehandlung der Komponisten orientiert
sich an bekannten Instrumental- und
Vokalkompositionstechniken des 20. Jahrhunderts, wo
Sprachmaterial zergliedert, zerlegt, permutiert und
variiert wird, Sinn und Bedeutung durch Klanggesten
und verschiedene stimmliche und instrumentale
Aktionen ersetzt werden. Immer wieder -
z.B. wenn sich Jazzband und Orchester oder Solist
und Orchester im Call-Response-Prinzip der
Improvisation begegnen, Motive oder Klangmuster
gegenseitig aufgreifen - wird die im Ansatz
entstehende Kommunikation unterbrochen, scheinen
sich musikalische Muster, Zeichensysteme ohne
Bedeutungsabsicht zu verselbstständigen. Hierzu
gehört auch der witzige Dialog der beiden
Body-, bzw. Tischperkussionisten mit dem
Orchester.
Spätestens
in der 5. bzw. 6. Szene, wo - trotz nicht
vorhandener Übertitelung - eine düstere
Bedeutungsabsicht jenseits differenzierter
Lichtregie und anderer Formexperimente erkennbar
wird, überwiegt jedoch das Bedürfnis, sich
mit den zugrunde liegenden Texten der Komponisten
und ausgewählten Dichter auseinander zu setzen.
Schade, dass man sich dieser inhaltlichen
Ausrichtung nicht stellt. Auch im Programmheft kommt
man diesem Bedürfnis nach Vertiefung nicht
nach.
FAZIT Ein in
vielen ästhetischen Bereichen anregendes,
fantasievolles Experiment, dessen Szenen jedoch eine
intendierte dramatische Ausrichtung und inhaltliche
Verknüpfung fehlt. Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam Inszenierung Bühne Bühne und Kostüme Video Produktionsleitung und Dramaturgie Dramaturgie (Städtische
Bühnen Münster) Chorleitung
Sinfonieorchester Münster SolistenSopran Alt Tenor Bariton Saxophon Bass
Schlagzeug
Tisch-Perkussion
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- Fine -