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Bewegende Liebestragödie in Münster
Charles Gounods Vertonung der berühmten Shakespeare-Tragödie kann als einer der frühesten Versuche in der Operngeschichte bezeichnet werden, in der das Libretto sich nah am Ablauf eines Standardwerkes der klassischen Literatur orientiert. So halten sich die Librettisten nicht nur an den fünfaktigen Aufbau des Dramas, sondern beginnen wie Shakespeare mit einem Prolog, der den tragischen Ausgang der Geschichte bereits vorwegnimmt. Um einerseits diese Nähe zum Schauspiel zu dokumentieren, andererseits aber auch durch die Unterschiede zwischen den beiden Werken die Besonderheiten der Kunstformen Oper und Schauspiel einander gegenüberzustellen, haben sich die Städtischen Bühnen Münster in dieser Spielzeit entschieden, Shakespeares Tragödie mit Gounods Vertonung dramaturgisch zu verknüpfen, indem sie beide Inszenierungen in demselben von Manfred Kaderk konzipierten Bühnenraum stattfinden lassen. Maskenball bei den Capulets (Chor). Dabei verzichtet Kaderk auf eine aufwendige Kulisse und arbeitet bei der nach hinten schräg ansteigenden Bühne, in der sich vorne eine drehbare Scheibe befindet, nur mit einzelnen Requisiten oder Lichteffekten, die den jeweiligen Handlungsort andeuten. So reicht für die Ballszene des ersten Aktes ein riesengroßer Lüster, der aus dem Schnürboden herabhängt, und die berühmte Balkonszene des zweiten Aktes wird mit einer hohen schwarzen Stellwand angedeutet, in deren Mitte sich ein großes Fenster befindet, in dem Juliette erscheint und durch das ein weißes Licht-Karree auf den schwarzen Bühnenboden vor der Wand geworfen wird. Die Kirche, in der sich Roméo und Juliette von Frère Laurent trauen lassen, besteht lediglich aus einem großen schwarzen Kreuz und zwei Betstühlen. Der Platz, auf dem es zur fatalen Eskalation zwischen Roméo und Tybalt kommt, ist mit roten Stühlen auf der rechten und linken Seite ausgestattet, die auch in der letzten gemeinsamen Nacht des Liebespaars übereinander gestapelt Juliettes Schlafzimmer darstellen. Abgetrennt wird letztere Szene durch einen dunklen Gaze-Vorhang, durch den im blassen Schein noch der Duc de Vérone sichtbar ist, der Roméo die Verbannung als Strafe auferlegt hat. Zu Juliettes geplanter Hochzeit mit dem Comte Pâris wird ein lichtdurchflutetes weißes Kreuz aus dem Schnürboden herabgelassen, vor dem Juliette nach Einnahme des Giftes in einen todesähnlichen Schlaf fällt. Umgeben von kleinen Grablichtern liegt Juliette dann im letzten Akt in ein weißes Tuch eingehüllt, bevor Roméo in der falschen Annahme ihres Todes den tödlichen Trank zu sich nimmt und anschließend nach einem letzten Duett gemeinsam mit Juliette, die sich mit seinem Dolch ersticht, auf der drehbaren Scheibe stirbt. Die Kostüme von Ute Frühling sind für die Gäste der Capulets und das Gefolge der Montagues recht dunkel gehalten. Das Jägergrün bei Juliettes Vater und der Amme Gertrude sind dabei Geschmacksache. Ansprechender hingegen wirkt schon das lilafarbene Kostüm Stéfanos, der sich als naiver Jüngling ein wenig von den restlichen Montagues unterscheidet. In starkem Kontrast zu diesen recht dunklen Farben steht das im ersten Akt gelbe, in den weiteren Akten weiße Kleid Juliettes, die sich mit ihrer wilden Lockenmähne nicht in die gesellschaftlichen Konventionen drängen lassen will, auch wenn das hell gehaltene Kostüm des Comte Pâris suggeriert, dass er der für sie bestimmte Gemahl ist. Da steht ihr Frère Laurent mit seiner hellen Kutte durchaus näher, zumal er sie ja auch mit Roméo verheiratet und einen Plan schmiedet, wie sie der Ehe mit Pâris entkommen kann. Erstes Zusammentreffen auf dem Ball der Capulets: Juliette (Henrike Jacob) und Roméo (Youn-Seong Shim). Regisseur Igor Folwill hält sich in seiner Inszenierung eng an die Vorlage und verzichtet auf etwaige Neudeutungen oder Aktualisierungen, was ihm das Premierenpublikum mit frenetischem Applaus dankt. Der Prolog des Chors wird in der Inszenierung nicht gestrichen. Folwill trennt den Chor als dunkle Masse durch den Gaze-Vorhang vom vorderen Teil der Bühne ab und lässt dort während des Prologs die anderen Figuren des Stückes auftreten, die Capulets auf der rechten und die Montagues auf der linken Seite. Roméo und Juliette betreten dabei die drehbare Scheibe, die die beiden Liebenden jeweils auf die andere Seite transportiert, was vielleicht die spätere Aussöhnung der beiden Familien nach dem Tod der beiden Liebenden andeuten soll. Bei ihrem gemeinsamen Tod lässt Folwill die beiden zwar auch auf dieser Scheibe sterben, ihre Hände berühren sich dabei jedoch nicht. So changiert die Inszenierung häufig zwischen Momenten in denen die Liebenden sich sehr nahekommen, und Augenblicken, in denen die Musik zwar eine gewisse Innigkeit suggeriert, die von den Protagonisten jedoch nicht umgesetzt wird. Vielleicht soll damit die Unerfüllbarkeit dieser Liebe zum Ausdruck gebracht werden. Schließlich ist es Interpretationssache, ob die Liebenden im Tod wirklich zueinander finden werden. Für den Schlussapplaus lässt Folwill Roméo und Juliette erneut die Anfangsposition auf der Scheibe einnehmen, um so die Klammer zu schließen. Liebesschwüre im Garten: Roméo (Youn-Seong Shim) und Juliette (Henrike Jacob) (am Fenster: Gertrude (Suzanne McLeod)). Neben dieser stimmigen Inszenierung ist es vor allem Gounods Musik, die die Herzen des Publikums höher schlagen lässt und bei deren Eingängigkeit und lyrischer Tiefe man sich fragt, wieso dieses Werk in Deutschland nicht dem wesentlich häufiger gespielten Faust schon längst den Rang abgelaufen hat. Das Sinfonieorchester Münster setzt unter der Leitung von Hendrik Vestmann die Vielschichtigkeit der Partitur in differenzierten Klangfarben um und findet für die innigen lyrischen Momente sehr zarte Töne, wohingegen die Ballszene pralle Lebensfreude ausdrückt. Auch die dramatischen Momente bewegen in ihrer tiefen Emotionalität. Der Chor unter der Leitung von Karsten Sprenger begeistert vor allem in dem größtenteils A-capella-Gesang des Prologs. Bei der Ballszene des ersten Aktes präsentiert er sich zumindest in der Premiere noch nicht ganz sattelfest, was die korrekten Tempi betrifft. In den kleineren Partien überzeugt vor allem Tijana Grujic als Stéfano, die mit ihrer Darstellung und ihrer Interpretation der Arie "Que fais-tu, blanche tourterelle", in der sie Juliette als weiße Taube bezeichnet, die von den Capulets in einem Nest von Geiern gefangen gehalten wird, jugendlichen Charme versprüht. Jeong-Kon Choi zeigt als Juliettes Vetter Tybalt in den Fechtszenen große Beweglichkeit und bodenturnerisches Talent, während sein Tenor zumindest im ersten Akt noch ein wenig blass bleibt. Olaf Plassa als Comte Capulet, Roman Grübner als Mercutio, Plamen Hidjov als Frère Laurent und Suzanne McLeod als Gertrude bewegen sich musikalisch auf gutem Niveau, ohne in ihren Rollen besondere Akzente zu setzen. Gemeinsamer Tod in der Gruft: Juliette (Henrike Jacob) und Roméo (Youn-Seong Shim).
Henrike Jacob gibt
die Juliette als einen zügellosen Wildfang und macht in ihrer
Darstellung deutlich, dass sie nicht gewillt ist,
sich in die von ihrem Vater festgelegten Strukturen einzupassen.
Während ihr jugendliches Spiel in ganzer Linie überzeugt, klingt ihr
Sopran stellenweise etwas belegt und nicht beweglich genug für
die Flatterhaftigkeit der Rolle. So singt sie die perlenden
Koloraturen ihrer berühmten Auftrittsarie "Je veux vivre dans ce
rêve" nicht ganz sauber aus. Im Zusammenspiel mit Youn-Seong Shim
als Roméo gelingen ihr aber im berühmten Duett des zweiten Aktes "O
nuit divine! Je t'emplore" und in der "Lerchen"-Szene des vierten
Aktes innige Momente. Auch wenn sie sich
entschließt, vor der drohenden Vermählung mit dem Comte Pâris den
Schlaftrunk zu sich zu nehmen, weiß Jacob stimmlich und
darstellerisch in vollem Umfang zu überzeugen. Star des Abends ist
der Tenor Youn-Seong Shim, der die Rolle des Roméo mit großen
lyrischen Bögen anlegt, ohne dabei zu forcieren. Die große Arie des
zweiten Aktes "Ah! Lève-toi soleil!", in der Roméo den Aufgang der
Sonne mit dem Erscheinen Juliettes gleichsetzt, präsentiert er als
Bravourarie erster Güte, wobei er zwischen zarten Tönen und
lyrischen Ausbrüchen hervorragend changiert. So lässt sich der
Premierenabend als rundum gelungen betrachten, den das Publikum in
jeder Beziehung mit lang anhaltendem und verdientem Applaus belohnt. FAZIT
Diese Inszenierung lohnt auf jeden Fall eine Fahrt nach Münster. Spannend könnte
vor allem auch der Vergleich mit der Schauspielproduktion im gleichen Bühnenraum
sein. (Weitere Aufführungen: 6. Mai um 18.00 Uhr, 10. und 18. Mai um 19.30 Uhr,
20. Mai um 17.00 Uhr, 20. Juni und 6. Juli wieder um 19.30 Uhr)
Ihre
Meinung |
Produktionsteam Musikalische Leitung
|
- Fine -