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Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Musik und Text von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 6h (zwei Pausen)

Premiere am 30. Juni 2012 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Der Tanz auf dem Euro

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

Fast schien es, als habe Andreas Kriegenburg seine entscheidende Ring-Idee, nämlich den Mythos als kollektives Gedächtnisereignis zu beschwören, in der Götterdämmerung vergessen. Oder den Bewegungschor, der bislang so stilbildend mitgemischt hatte, hinter dem Bretterverschlag entsorgt, in dem nun die ganz klassisch weiß verhüllten, langhaarigen Nornen zwischen einer Gruppe von Flüchtlingen oder Überlebenden einer Katastrophe umhergeistern. Man sieht jedenfalls nur noch die Hände, die die drei Dutzend Bretter halten. Eine kleine Truppe in Schutzanzügen misst die Strahlung, entsorgt Papiere und kontrolliert gleich noch die Pässe. Stumme Schreie bei diesen Überlebenden, die dann in einem Zelt entgiftet werden, und die orakelnden Urgestalten, die optisch etwas an die Jacob Sisters erinnern (und wenn man es mit den anderen Protagonisten vergleicht, auch fast so singen) - das ist die erste der Überraschungen im abschließenden Ring-Teil, in dem die Götter schon nur noch per Hören Sagen vorkommen.

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Siegfrieds Rheinfahrt

Wenn etwa die derangierte Waltraude auftaucht und der verstoßenen Schwester Brünnhilde von der Endzeitstimmung in Walhall berichtet. Das ist bei Michaela Schuster besonders überzeugend, weil sie nicht nur mit eindrucksvoller Eloquenz singt, sondern eine geradezu traumatische Angst vor dem drohenden Ende auch darstellerisch vermittelt. Hier trifft der Schauspielregisseur Kriegenburg auf eine überzeugende Sängerdarstellerin als Partnerin. Auch die attraktive Gutrune von Anna Gabler hat dieses Format. An ihr demonstriert die Regie obendrein am konsequentesten die Entwicklung einer (bzw. zu einer) Persönlichkeit. Wenn sie das erste Mal auftaucht, ist sie das verwöhnte, blonde Luder schlechthin. Arrogant zum Personal, gänzlich ohne Distanz zum Bruder, dem sie offenbar bei seinen diversen Übergriffen aufs Personal assistiert. Den in ihre Welt tollpatschig herein stolpernden, mit dem ganzen bürgerlichen Drumherum so unvertrauten Siegfried, der weder mit einem Handschlag, noch mit einer Zigarre oder einem Cocktailglas was anzufangen weiß, nimmt sie belustigt als Zeitvertreib in Kauf. Beginnt sich dann aber doch für ihn zu interessieren, ist schließlich vom Mordkomplott, das sie noch mit beschlossen hatte, entsetzt. Schließlich ist sie über den Tod Siegfrieds ehrlich und den ihres Bruders bis ins Mark erschüttert. Sie schreit ihre Verzweiflung heraus, als alles in Flammen aufgeht. Am Ende ist es diese sehr unvollkommene, aber durch die Verluste gereifte Frau, die überlebt. Umringt von den aus dem lodernden Hintergrund nach vorn strebenden Menschen in hoffnungsvollem Weiß, die sie zu den letzten Klängen des Orchesters schützend umringen.

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Siegfrieds Ankunft bei den Gibichungen

Der alle anderen noch überragende Star des Abends ist freilich die Brünnhilde von Nina Stemme. Deren Präsenz und Faszination kommen weniger aus dem eher sparsamen äußeren Spiel, als vielmehr aus einem fulminant gestaltendem Gesang, der heute live kaum überwältigender und ergreifender zu erleben ist. Mit strahlender Höhe und reicher Mittellage vermag die Schwedin an ihre großen skandinavischen Brünnhilden-Vorgängerinnen zu erinnern. Ohne das wehmütige „ach ja“ mit herauf zu beschwören, mit dem die Brünnhilden oder Siegfriede von heute beim Vergleich mit den Erinnerungsgespenstern der Vergangenheit sonst unfairerweise immer kämpfen müssen.

Ihr Siegfried Stephen Gould hat es da nicht so gut. Denn schon der Jung-Siegfried aus dem vorangegangenen Ring-Teil, Lance Ryan, stellt ihn in den Schatten. Gleichwohl wird er zu recht für eine tadellose Kondition bis zum Schluss, Strahlkraft in der Höhe und vor allem sein überzeugend gestaltetes Erinnern im Sterben gefeiert. Auch Ian Peterson als Gunther darf sich voll entfalten. Er ist der Protagonist in einer mehretagigen Hochglanzwelt mit gläsernen Gängen und Hubbrücken, der Bar und dem Euro-Zeichenschaukelpferd als selbstironischem Accessoire einer Upperclass, die blind für den nahenden Untergang ist und ihn selbst beschleunigt.

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Hagens Mannen mit dem Handy als Waffe

Dass Eric Halverson, der buchstäblich erst am Tag der Premiere, als Einspringer für den Einspringer, aus Wien eingeflogen kam, einen stimmlich fulminanten Hagen ablieferte, ist das eine. Ob er aber oft nicht über die Position des Beobachters der Katastrophe hinauskam, die er ins Werk gesetzt hat, weil Kriegenburgs Personenregie in Falle dieser Figur mit Feinarbeit gegeizt hatte, das ganze so gemeint war, oder eben der nicht vorhanden Zeit zum Einarbeiten geschuldet war, muss beurteilen, wer auch noch die einstudierten Besetzungen als Vergleich sieht. Diese hochprofessionelle Einspringerleistung freilich verdient als solche höchsten Respekt.

Dass Eric Halverson, der buchstäblich erst am Tag der Premiere, als Einspringer für den Einspringer, aus Wien eingeflogen kam, einen stimmlich fulminanten Hagen ablieferte, ist das eine. Ob er aber oft nicht über die Position des Beobachters der Katastrophe hinauskam, die er ins Werk gesetzt hat, weil Kriegenburgs Personenregie in Falle dieser Figur mit Feinarbeit gegeizt hatte, das ganze so gemeint war, oder eben der nicht vorhanden Zeit zum Einarbeiten geschuldet war, muss beurteilen, wer auch noch die einstudierten Besetzungen als Vergleich sieht. Diese hochprofessionelle Einspringerleistung freilich verdient als solche höchsten Respekt.

Wobei der Tanz auf dem Vulkan, den diese Schickeria-Gibichungen hier aufführt, einer auf einem goldenen €-Tisch stattfindet. Noch weiter in die Gegenwart und unmittelbare Zukunft kann man eigentlich kaum vordringen. Bei dem Münchner Ringproduktionstempo von fünf Monaten ist es auszuschließen, dass das ein Zugeständnis Kriegenburgs an jene Stimmen ist, die nach den ersten Teilen mehr Gegenwart angemahnt hatten, sie aber jetzt, wo sie auf der Bühne einbricht, zu platt finden.

Auch den Bewegungschor gibt es natürlich noch. Er gehört zu den Händen, die die Bretter zum Verschlag für die Nornenszene und das Liebesnest von Siegfried und Brünnhilde formen und dann auf offener Szene die Verwandlung in den Gibichungenschick bewerkstelligen. Er stellt natürlich auch wieder die jetzt dunkel wogenden Wellen bei Siegfrieds Rheinfahrt und bevölkert dann immer geschäftig wuselnd die Gänge und Computerarbeitsplätze bei den Gichichungen. Beim Trauermarsch gerät das ganze Uhrwerk von Handy-vernetzten Informationsverarbeitern in Aufregung, bricht in eine Börsencrash Panik aus, vernichtet Akten und löscht Dateien. Da ist der große Zusammenbruch mit Händen zu greifen und der goldene Eurotisch zerbrochen.

Foto

Gunther, Brünnhilde, Siegfried und Gutrune auf dem Eurotisch

Was an Massenbewegung auf der Bühne diesmal im Vergleich zu den drei vorangehenden Ringteilen fehlte, war übrigens in einer großen Aktion aus einer ganzen Reihe von Nikolaus Bachlers Eventzutaten kurz vor der Premiere auf dem Opernvorplatz inszeniert worden. Dort hatte nämlich der durch seine Fotosessions mit nackten Menschenmassen bekannte Spencer Tunick einen Beitrag mit 1700 Münchnern geliefert, die nur mit goldener oder roter Ganzkörperschminke bekleidet, ihre Ring-Version auf dem Opernvorplatz nachstellten. Für ein Foto und ein besonderes Ringerlebnis.

Für den scheidenden Münchner GMD Kent Nagano und das Bayerische Staatsorchester wurde dieser Ring im Ganzen zu einem Erfolg. Die Götterdämmerung jedenfalls hatte ein souveränes Fundament im Graben, sie knüpfte an das packende Siegfried-Finale an und machte das Schwächeln in der Walküre vergessen. In der Nornenszene wurden die orakelnden Motivfäden wenigstens im Graben zu einem stimmigen Ganzen gewebt. Siegfrieds Rheinfahrt dann geriet zu einem Orchesterprachtstück und der Trauermarsch entfaltete ohne blinden Überwältigungsfuror seine Wucht. Ausgewogenen mit den exzellenten Protagonisten verwoben die Planung und Ausführung der Intrige, die Siegfried zu Fall bringt, und, eine Klasse für sich, das Finale mit dieser Brünnhilde.

FAZIT

Der Münchner Ring hat durchaus seine brüchigen Stellen, aber er bietet große Bilder, die Archaisches heraufbeschwören, aber auch exemplarisch den Anschluss an die Gegenwart suchen. Wer den Welterklärungsentwurf erwartet hatte, mag enttäuscht sein, er hätte dann aber von Kriegenburg und Nagano mehr erwartet, als von der politischen Klasse oder der Wissenschaft zusammengenommen. Diskussionswürdig sind die Angebote und offenen Fragen allemal. Musikalisch sind, wie schon in den vorangegangenen Teilen, hohes Niveau und vokale Großtaten zu vermelden. Das Orchester liefert alles in allem eine runde Gesamtleistung, die der Habenseite dieses Ring-Projektes Gewicht verleiht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Andreas Kriegenburg

Bühne
Harald B. Thor

Kostüme
Andrea Schraad

Licht
Stefan Bollinger

Choreographie
Zenta Haerter

Dramaturgie
Marion Tiedtke
Miron Hakenbeck



Statisterie der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Siegfried
Stehen Gould

Gunther
Iain Paterson

Hagen
Eric Halfvarson

Alberich
Wolfgang Koch

Brünnhilde
Nina Stemme

Gutrune
Anna Gabler

Waltraude
Michaela Schuster

Woglinde
Eri Nakamura

Wellgunde
Angela Brower

Floßhilde
Okka von der Damerau

Erste Norn
Jill Grove

Zweite Norn
Jamie Barton

Dritte Norn
Irmgard Vilsmaier


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)


Zu unseren Rezensionen von
Das Rheingold, Die Walküre
und Siegfried



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