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Premiere im Opernhaus
Kassel am 6. April 2012 Parsifal-Premiere
am Karfreitag in Kassel. Auf der Besetzungsliste
liest man fettgedruckt: „Wir bitten, auf Applaus nach
dem ersten Aufzug
zu
verzichten“. Das klingt nach Tradition, alter
Tradition, einer
Tradition, die
in Bayreuth daselbst oft schon nicht mehr gepflegt
wird. Wer nun aber
weihevolles Schreiten, heilige Erhabenheit, pastos
bebilderte
Frömmigkeit und
pathetische Klänge erwartet oder befürchtet,
wird angenehm
überrascht.
Regisseurin Helen Malkowsky gelingt es, die Geschichte
mit Tiefgang in
ästhetischen Bildern zu erzählen, sie aber
auch zu
hinterfragen, Gedanken
szenisch zu formulieren und auch zuweilen durch ein
Gegen-den-Strich-Bürsten
besondere Sichtweisen deutlich zu machen. Sicher gibt
es Punkte, die
man anders
sehen kann oder die den einen oder anderen
stören, aber das
gehört zu einer
mutigen Regiearbeit dazu, deren Mut nicht daraus
besteht, Traditionen
brutal zu
zerstören, sondern sie detailgenau zu analysieren
und dann als
Gedanken und
Assoziationsflächen, die aus dem Werk
hervorgehen, dem Publikum
anzubieten. Und
das in einer optischen Form, die den Betrachter
anspricht und ihm Lust
auf die
geistige Auseinandersetzung macht. Alles das, ohne dem
Werk Gewalt
anzutun,
ohne eine Idee allzu künstlich in den Vordergrund
zu drängen,
sondern als
Bereicherung – und auf eine Weise, die sich dem
Zuschauer
erschließt, ohne sich
ihm anzubiedern. Diese leider viel zu selten gewordene
Kunst beherrscht
Helen
Malkowsky auf hohem Niveau und mit großer
Musikalität.
Harald B. Thor und Tanja
Hoffmann haben ein großartiges Bühnenbild
und ebenso
aussagekräftige wie schöne
Kostüme
dazu beigesteuert. Die
Regisseurin
nimmt den
Zuschauer nicht nur mit, sie macht ihn zum Teil der
Handlung, zum
maßgeblichen
Teil sogar. Gelangweilt sitzt ein wohl situierter
Zuschauer, die
Jahresvorschau
des Staatstheaters lesend, in seinem Theatersessel,
während er auf
die Bühne
gefahren und des Schwanenmordes beschuldigt wird. Ein
Bogen wird ihm
aufgezwängt
– aber er weiß von nichts. Auf Gurnemanz’ Fragen
hin wird er
nachdenklich und
beginnt sich zu erinnern, was er war, was er sein
wollte…Hinter Rittern
in
Rüstung ist er einst hergelaufen – und sitzt nun
im schwarzen
Anzug mit roter
Krawatte im Parkett. Das kommt den weisen Gralsrittern
in ihrer
marmorweißen
Tempelwelt töricht vor – aber als reiner Tor
kommt er ihnen gerade
recht. Der
hehr
erhabene Bau wird ebenso
wie die reine Weißheit der Gralsritterschaft von
Amfortas’
einstigem Fehltritt
mit Kundry gestört. Das Blut seiner nicht
heilenden Wunde besudelt
Fußboden und
Türrahmen und man ahnt beim ersten Anblick, wie
sich der blutende
Leidende
Hilfe suchend an ihnen festgehalten hat. Entsprechend
viel ist für
die
Reinigungskräfte in Schutzkleidung zu tun und
Amfortas’ Pfleger
tragen
vorsorglicher- und notwendigerweise an Metzger
erinnernde
Schürzen. Drastische
Bilder, aber nicht unangemessen. Kundry (Ursula
Füri-Bernhard)
Gurnemanz’
weiße
Kleidung, der
beige Gehrock und das Gralssymbol an der Kette
könnte auch einem
Sarastro Ehre
machen. Ein möglicherweise nicht
unbeabsichtigter Hinweis auf
Parallelen der
Bruderschaften. Ganz plastisch wird durch ein
relativ geringes, aber
effektvolles Verschieben der Wände Parsifals
Eindruck „Ich
schreite kaum, doch
wähn ich mich schon weit“ deutlich gemacht. Der
Beginn des
zweiten Aktes
zeigt das gleiche Gebäude, die gleiche
Öffnung – nur
symbolhaft von der anderen
Seite. Links auf der Bühne erhebt sich ein
gewaltiges Kleid gen
Schnürboden, das
nebst dazugehörigem Koffer Mathilde Wesendonck
gehört haben
könnte. Assoziationen
zu Parallelen sind nicht ausgeschlossen. Klingsor im
Matrosendress
bleibt als
fadenziehender Kontrollfreak die ganze Zeit auf der
Bühne. Sein
Zauber besteht
in erster Linie aus einem Koffer
mit
unerschöpflichem Inhalt. Eindrucksvoll, wie er zu
den Namen, die
Kundry schon
trug, jeweils ein anderes Kleid herauszieht.
Verblüffend, wie sich
die
Blumenmädchen bunte Kleider herausnehmen, die sie
über ihre
schwarzen Unterkleider
ziehen. Verwirrend, warum
7 (!) Speere
aus ihm gezogen werden – wo der echte doch von ganz
allein zu Parsifal
findet.
Vom dunklen Kleid wechselt Kundry zum hellen, bevor
ihr von Klingsor
gewaltsam
dessen Reifrock ausgezogen wird und sie im schwarzen
Unterkleid wie der
Gekreuzigte an einem der falschen Speere die letzten
halbherzigen
Verführungsversuche unternimmt – denn ihre Liebe
und ihre Lust
gelten Amfortas,
der zwischendurch als lebendes Bild im Hintergrund mit
ihr
Zärtlichkeiten
austauscht. Nun blutet auch Klingsors Hand. Den
Schwachen zu Fall zu
bringen
ist eine Schuld dessen vermeintlichen Erlöser
eliminieren zu
wollen, eine
ungemein größere. Er wollte Parsifal auf
seine Ebene ziehen
– auch deshalb
haben ihn die Blumenmädchen zum Matrosenjungen
umkostümiert,
in gleicher
Einigkeit wie sie ballettartig das Überschlagbein
beim Sitzen
wechseln. Kundry
(Ursula Füri-Bernhard)
Zurück auf der anderen Seite
zeigt sich rundum eine Blutspur, durch Amfortas’
Verweigerung der
Gralsenthüllung nach Titurels Tod sind die
Gralsritter
geschwächt. Keiner macht
mehr sauber, keiner hat noch Kraft. Tote Äste
sind in die
Gralsburg gefallen. Parsifal
erscheint im Reisemantel, Gurnemanz ist schwach,
heruntergekommen,
gealtert und
kriecht auf einen Quader gestützt knieend immer
näher zu
Parsifal. Er, nicht
Kundry, wäscht ihm die Füße und
Kundry salbt sie ihm. Zum
Karfreitagszauber
sammelt Kundry die Äste zusammen und verbrennt
sich auf diesem Scheiterhaufen. Das lebende Bild
wird in die Projektion
eines
riesigen Feuers überblendet. Während
Parsifal und Gurnemanz
aus der Szene
getreten sind und wie Proszeniumsfiguren das Bild
begrenzen, sieht man,
wie der
brennende Scheiterhaufen auf einer Hand von einer
anderen Hand
gelöscht wird,
sich die Hände zum Beten falten und nun in
umgekehrter Weise wie
beim Vorspiel
das Dürer-Bild ergeben. Der unbehagliche
Gedanke an eine
Hexenverbrennung
drängt sich auf, die Opferung der Unheil
bringenden
verführerischen Frau. Aber
auch
Brünnhildes weltrettender Tod
schleicht sich in die Gedanken. Nur ein Aschehaufen
bleibt zurück und darüber schwebt,
aus gleichen Ästen wir zuvor, ein an Christi
Dornenkrone
gemahnender Holzring.
Es öffnet sich erneut ein weites Feld für
Gedanken und
Assoziationen. Nachdem
die
Gralsritter mit
letzten Kräften Titurels gut verschnürten
Leichnam
hereingetragen haben und
Amfortas die Gralsenthüllung verweigert,
erscheint zunächst
wie schwebend der
heilige Speer zwischen den Rittern. Amfortas
stürzt sich voller
Sehnsucht
hinein, Parsifal proklamiert sich selbst als neuen
Gralskönig und
geht den
Rittern mit Speer und Gral voran. Amfortas bleibt
allein zurück.
Er ist mit
seiner Heilung überfordert, findet sich nicht
nur als gesunder
Mensch, sondern
auch als abgesetzter Gralskönig nicht mehr
zurecht. Den leeren
Glasschrein
füllt er mit den Resten von Kundrys
Scheiterhaufen. Parsifal
trägt mit Speer
und Gral das Feuer weiter, während Amfortas die
Asche anbetet. Kassels
GMD
Patrik Ringborg hält
die musikalische Seite der Produktion in
bewährten Händen. Er
bevorzugt einen
samtigen, weichen, aber nicht pathetischen
Orchesterklang, aus dem
einzelne
dynamische Ausbrüche effektvoll, aber nicht
Effekt heischend
hervorstechen
dürfen. Seine oft recht langsamen Tempi sind
dabei sehr dynamisch
und keiner
der großen Bögen
droht zu zerfallen.
Mit
dem Staatsorchester, das bis auf wenige verwackelte
Einsätze und
kleinere
Ausrutscher gut disponiert ist, bildet er den
Sängern einen
angenehmen
Klangteppich, der zuweilen mit etwas schnelleren Tempi
noch bequemer
wäre. Christian
Elsner
ist ein
stimmlich nicht zu schwerer Heldentenor, verfügt
über eine
satte Mittellage,
lässt zuweilen zwar auch leicht nasale Töne
hören,
begeistert aber restlos,
wenn er im dritten Akt
frei und
wundervoll aussingend strahlenden Stimmglanz
verbreitet. Espen Fegran
empfiehlt
sich erneut als ein echter Wagner-Bariton. Er ist ein
großartiger
Amfortas, der
seine Stimme im angemessenen Maße strömen
lässt und
dabei auch die leidenden
Töne, die die Partie fordert, immer wohlgeformt
gestaltet. Ein
Gralskönig, der
keinen kalt lässt – szenisch und sängerisch
restlos
überzeugend. Das
ist von
Ursula Füri-Bernhard nur
bedingt zu sagen. Sie gibt mit vielen unschönen
brüchigen
Tönen und
Sprechgesang dem Ausdruck zu viel Vorrang vor dem
Gesang, gestaltet die
Figur
szenisch äußerst intensiv, aber man
möchte die Kundry
doch auch gesungen hören.
Besonders im zweiten Akt lässt sie da einiges
vermissen, ist von
der Regie aber
auch eher als Furie denn als Verführerin
gezeichnet. Marc-Oliver
Ötterli bleibt
dem Klingsor stimmlich dagegen die dämonische,
bösartige
Seite schuldig und singt
ihn viel zu brav und uncharismatisch. Mario Klein
bewegt immer wieder
mit
balsamischen, ausdrucksvollen Tönen, auch wenn
ein Gurnemanz gern
ein bisschen
mehr Stimmvolumen haben darf. Krzysztof Borysiewicz
ist ein
adäquater Titurel und
sowohl Knappen als auch Gralsritter und
Blumenmädchen lassen keine
Wünsche
offen. Mächtig, aber kultiviert und homogen
klingen Chor und
Kinderchor. Ganz
exzellentes Musiktheater.
Eine Inszenierung, die das Publikum im wahrsten
Sinne des Wortes
mitnimmt, klug
und sehr musikalisch Gedanken und Ideen bebildert,
die dem Werk keine
Gewalt
antun, sondern es bereichern. Auch musikalisch lohnt
sich der Besuch in
Kassel
- vor allem wegen des alten und des neuen
Gralskönigs. Musikalische
Leitung Inszenierung Bühnenbild Kostüme Chor Kinderchor Dramaturgie Staatsorchester
Kassel Opernchor, Extrachor Statisterie
des Amfortas Titurel Gurnemanz Parsifal Klingsor Kundry 1. Gralsritter 2. Gralsritter Vier Knappen Blumenmädchen Stimme
aus
der
Höhe Weitere
Informationen
Parsifal
Bühnenweihfestspiel
in
drei
Aufzügen
von Richard Wagner
Dichtung vom Komponisten
Aufführungsdauer: ca. 5
Stunden 30 Minuten (zwei
Pausen)
Staatstheater
Kassel
(Homepage)
Wenn
der
Zuschauer zum Erlöser wird
Von Bernd
Stopka / Fotos: N. Klinger
Parsifal
(Christian Elsner, rechts außen)
Opern- und Extrachor, Statisterie
Durch eine kreisrunde Öffnung
drängt der Wald in den Raum, Kundry gewinnt einen
neuen Balsam aus
Baumsaft,
tauscht dann heimlich mit dem zweiten Knappen
vorübergehend die
Kleider und
behandelt Amfortas selbst. Folgerichtig darf sie die
Passage „Dem
Balsam wich
das Weh“ singen, die Wagner eigentlich der
Sängerin des Knappen
zugedacht hat.
Vor den Wänden der Burg
verabschieden sich tränenreich Adepten, die
ihre schriftliche Einberufung
zur Gralsritterschaft erhalten
haben. Die Andeutung eines Initiationsrituals ist
mit dem Einzug der
Ritter
verbunden, die Stimmen aus der mittleren Höhe
werden von den
zurückgelassenen
Angehörigen gesungen, der Kinderchor für
die höchste
Höhe bleibt im Off. Es gibt keine klassische
Abendmahlsszene. Mit Portalschleier und vielen
Zwischenvorhängen
wird
einerseits ein enthüllter Gral gezeigt,
andererseits wird
projiziert, wie sich
das Blut Kontinent für Kontinent über die
ganze Welt verteilt
– als erlösende
Lehre oder Ergebnis von Kreuzzügen bleibt dabei
offen. Hier wird
die
Bebilderung des Vorspiels aufgegriffen, die die
Entstehung der Wunde
zeigt, die
aus Dürers betenden Händen reale,
blutbefleckte Hände
werden lässt. Christi
Wundmale drängen sich in Gedanken auf. Dann
werden Bilder von
Menschen
unterschiedlicher Religionen, politischer und
unpolitischer
Gesellschaften
projiziert.
Nach dem Ritual wälzt sich Amfortas am Boden,
doch Titurel ist
gestärkt
und zeichnet verdiente Mitglieder mit Orden aus,
symbolische
Gegenstände, die –
wie so vieles hier – an Freimaurer erinnern, werden
herein getragen,
die Ritter
rücken ihre Wände gemeinsam wieder zurecht
und aus einer
ovalen Öffnung, die
vielerlei Assoziationen erlaubt, singt Kundry, die
Verheißung der
Stimme aus
der Höhe selbst.
Klingsor
(Marc-Oliver Oetterli)
Amfortas
(Espen
Fegran)
Gideon Poppe (3.
Knappe), Jürgen
Appel (1.
Gralsritter), Tomasz Wija (2. Gralsritter),
Amfortas (Espen Fegran), Kundry (Ursula
Füri-Bernhard), Gurnemanz
(Mario Klein)
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Meinung
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Produktionsteam
Patrik Ringborg
Helen Malkowsky
Harald
B. Thor
Tanja Hofmann
Albert Geisel
Video
Helen Malkowsky,
Karl-Walter Heyer
Wasilis Papanikolau
Marco Zeiser Celesti
Merle
Clasen
Dorothee Hannappel
und Kinderchor CANTAMUS
des Staatstheaters Kassel
Staatstheaters Kassel
Solisten
Espen Fegran
Krzysztof Borysiewicz
Mario Klein
Christian Elsner
Marc-Oliver Oetterli
Ursula Füri-Bernhard
Jürgen Appel
Tomasz Wija
Nina Bernsteiner
Maren Engelhardt
Gideon Poppe
Jürgen Appel
LinLin Fan
Nina Bernsteiner
Maren Engelhardt
Ingrid Frøseth
Runette Botha
Ulrike Schneider
Ursula
Füri-Bernhard
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Kassel
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