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Musiktheater
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Krieg und Frieden

Oper in dreizehn Bildern
Libretto vom Komponisten und Mira Mendelson
nach dem gleichnamigen Roman von Lew Tolstoi
Musik von Sergej Prokofjew


in russischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 25' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 16. September 2011

 



Oper Köln
(Homepage)

Und immer wieder Walzer!

Von Thomas Molke / Fotos: Karl und Monika Forster

Es war Prokofjews sehnlichster Wunsch, seine Oper Krieg und Frieden, die er weit über alle seine anderen Schöpfungen stellte, in der endgültigen Fassung auf der Bühne zu erleben. Auf keine andere Oper hatte er so viel Zeit, Energie und Liebe verwandt, sie sich viele Male wieder vorgenommen, um sie umzuarbeiten. Seine erste Beschäftigung mit dem Sujet begann 1941 kurz vor Hitlers Überfall auf die Sowjetunion. Durch diese militärische Katastrophe einte Patriotismus das ganze russische Volk wie einst 1812, als Napoleons Truppen die russische Grenze überschritten hatten. Und schon folgte aufgrund der Parallelität dieser Ereignisse eine ideologische Instrumentalisierung des Werkes durch den sowjetischen Staatsapparat, die so von Prokofjew eigentlich gar nicht intendiert war. Die Erweiterung der Oper durch zusätzliche Bilder machte eine Teilung in zwei Abende erforderlich, von denen nur der erste im Leningrader Kleinen Opernhaus zur Aufführung gelangte. Nach dem Krieg wandte sich Prokofjew erneut seinem Werk zu, erhöhte zum einen die ariosen Anteile, während er zum anderen eine ganze Reihe von Kürzungen vornahm, um die Oper wieder auf einen einzigen Abend zu begrenzen. Noch kurz vor seinem Tod 1953 war er großer Hoffnung, dieses mit der Unterstützung des Dirigenten Samuil Samossud nun abgeschlossene Opus bald auf den russischen Opernbühnen erleben zu dürfen. Doch er starb am 5. März 1953, am gleichen Tag wie Stalin, und auch wenn man bereits ein Jahr nach seinem Tod forderte, Prokofjews Traum Wirklichkeit werden zu lassen und dieses monumentale Werk in seiner endgültigen Fassung auf die Bühne zu bringen, sollte es bis 1959 dauern, bis diese Version der Oper in Russland das Licht der Welt erblickte.

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Erste Annäherung beim h-Moll-Walzer: Andrej (Johannes Martin Kränzle) und Natascha (Olesya Golovneva) (mit Chor und Statisterie).

Die Oper Köln hat sich nun in ihrer letzten Spielzeit vor der Renovierung des Opernhauses der Herausforderung gestellt, dieses als nahezu unaufführbar geltende Werk um die junge russische Adlige Natascha Rostowa, die von dem traumatisierten Fürsten Andrej Bolkonski und dessen Freund Graf Pierre Besuchow geliebt wird, beide aber zunächst durch ein Techtelmechtel mit Pierres Schwager, dem Lebemann Anatole Kuragin, enttäuscht, bevor Napoleons Einmarsch in Russland private Probleme in den Hintergrund drängt und Natascha am Elend des Krieges reifen lässt, auf die Bühne zu bringen. Bemerkenswert ist, dass man neben einem riesengroßen Chor, der einerseits das russische Volk, andererseits die französische Armee darstellt, und einer sehr umfangreichen Statisterie auch noch dreißig Gesangssolisten auf der Bühne präsentiert, so dass schon allein der verdiente Schlussapplaus für alle Beteiligten den Abend gewaltig verlängert. Solche Menschenmassen auf der Bühne erfordern nicht nur eine sehr ausgeklügelte Personenregie, sondern auch sehr viel Platz. In letzterem Punkt wird in Köln aus der Not eine Tugend gemacht, da kurz vor der Renovierung der normalerweise übliche Repertoire-Betrieb nicht aufrechterhalten wird, somit also die komplette Bühnentiefe von 40 Metern genutzt werden kann, um zum einen die Weite der russischen Landschaft spürbar zu machen und zum anderen die Menschenmassen positionieren zu können, ohne dabei gedrängt oder statisch zu wirken. Dem Regieteam um Nicolas Brieger gelingen beim Umgang mit dieser Bühnentiefe sehr eindrucksvolle Bilder, wenn zum Beispiel nach der Pause erst die leeren Straßen Russlands nach dem Einmarsch der Franzosen gezeigt werden, durch die eine einsame Frau von den Soldaten gejagt wird, und später ein Schlachtfeld, auf dem die ganze Bühne mit Leichen gefüllt ist, den Schrecken des Krieges überdeutlich macht..

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Napoleon (Miljenko Turk) grübelt über seine Taktik im Russlandfeldzug.

Musikalisch weist die Oper ein Spektrum aus, das weit über die anderen Werke Prokofjews hinausgeht. Für Natascha und Andrej baut Prokofjew einen h-Moll-Walzer ein, der sich als Leitmotiv durch das ganze Stück zieht und alles hörbar macht, was die beiden in ihrem Leben nicht auszusprechen oder einzulösen vermögen. Dabei drückt dieser Walzer zum einen in typischer Tschaikowski-Tradition die schwermütige Sehnsucht Andrejs aus, der von seinen Erfahrungen des Krieges gezeichnet ist und sich wünscht, genauso unbeschwert und lebensfroh wie Natascha sein zu können, zum anderen aber auch durch sehr lebensbejahende Einschübe Nataschas Vitalität und Begeisterungsfähigkeit beim ersten gemeinsamen Tanz. Wenn Andrej am Ende der Oper in Nataschas Armen schwer verwundet stirbt, erklingt erneut dieses Walzermotiv, wobei Natascha durch die Erfahrung des Elends Andrej zwar nun wesentlich näher ist, ihre Lebensfreude jedoch eingebüßt hat. Brieger gelingt in dieser Szene ein sehr eindringliches Bild, indem er schwarze Gestalten als nahender Tod Andrejs Bett umlagern lässt, die ihm zunächst die weiße Decke entreißen, um ihn im Tod einzuhüllen. Noch einmal gelingt es Natascha, zu Andrej vorzudringen, ihn im Bett aufzurichten, und gemeinsam versuchen sie, im Bett einen letzten Walzer zu tanzen, der jedoch sehr erstarrt wirkt. Nun greifen die schwarzen Gestalten wieder ein und rauben Natascha den Geliebten.

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Pierre (Matthias Klink, vorne) bangt mit Platon (Manfred Fink, links) um sein Leben (Herrenchor und Statisterie als französische Soldaten).

Auch Nataschas Seitensprung wird von einem Walzer begleitet, der sich aber ganz anders als der h-Moll-Walzer präsentiert. Anatole präsentiert eine Art Zigeunerkapelle, mit der er Nataschas Herz erobern will, und so klingt der Walzer auch wesentlich oberflächlicher und wie einer seichten Operette entlehnt. Doch da Natascha zu Beginn noch von einer gewissen Oberflächlichkeit gezeichnet ist, lässt sie sich auf den Verführer ein und zerstört - zumindest für den Moment - die glückliche Beziehung zu Andrej. Auch im nachfolgenden Streitgespräch mit ihrer Patentante Achrossimowa, die über Nataschas Verhalten empört ist, gelingt es Prokofjew, das Keifen der Tante in der Musik lautmalerisch hörbar zu machen. Während die Musik in den Gesellschaftsszenen vor dem Einmarsch der Franzosen sehr üppig und schwelgerisch klingt und somit die Leichtlebigkeit und Gedankenlosigkeit der russischen Hautevolee charakterisiert, wechselt sie mit dem Einmarsch der Franzosen zu einem sehr martialischen Ton. In diesem Ton wird die Oper auch eröffnet, da Andrej ja zu Beginn mit gewissen Kriegserfahrungen aus seiner Vergangenheit auftritt, bevor er durch Natascha neuen Lebensmut entwickelt. Besonders eindringlich wird der Rückzug der Franzosen aus dem winterlichen Russland musikalisch untermalt. Man kann die Schneestürme und den beschwerlichen Weg, den die Soldaten durch die endlosen Weiten zurücklegen müssen, sehr gut vor dem inneren Auge sehen.

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Pierre (Matthias Klink, links) und Denissow (Matias Tosi, rechts) inmitten der Opfer des Krieges (Statisterie und Chor).

Das Bühnenbild von Raimund Bauer stellt in seiner ganzen Tiefe einen großen Ballsaal dar. In der Mitte der Bühne ist zu Beginn eine leicht durchsichtige Leinwand heruntergelassen, auf die ein vom Krieg zerstörter Raum projiziert ist. Diese Leinwand steht vielleicht für die Kriegserfahrungen, die Andrej traumatisiert haben. Wenn der Krieg erneut in das Bühnengeschehen Einzug erhält, beginnt diese Leinwand zu schwingen. Im Vordergrund werden auf in den Bühnenboden eingelassenen Schienen riesige Stellwände mit großen Durchgängen häufig hin- und hergeschoben, die zeigen, dass die Gesellschaft zwar ständig in Bewegung ist, was aber nur auf festgelegten Bahnen geschieht. Des Weiteren ermöglichen diese verschiebbaren Bühnenelemente natürlich auch zügige Szenenwechsel. Während bei den Feierlichkeiten der russischen Partygesellschaft diese Elemente so wie die Gäste ständig verschoben werden, quasi wie die Gäste zu tanzen scheinen, sind die Elemente bei Andrejs Vater, dem Fürsten Nikolaj Bolkonski, regelrecht erstarrt. Selbst die Dienstboten scheinen sich dort nicht zu bewegen. Alles ist dort in Konventionen festgefahren. Andrejs Vater akzeptiert Natascha nicht als Partie für seinen Sohn, weil sie aus verarmtem Adel stammt. Nach dem Einmarsch der Franzosen werden die Fassaden dieser Elemente teilweise heruntergerissen und die dahinter befindlichen Gerüste angezündet. So wird der Brand Moskaus sehr bildlich dargestellt. Ansonsten reichen sehr wenige Requisiten wie ein Sofa oder Stühle und historisierende Kostüme (Andrea Schmitt-Futterer), um die Geschichte recht librettonah zu erzählen.

Die Franzosen wirken mit ihren clownesk geschminkten Gesichtern wie Karikaturen. Da sie alle mit einem Napoleon-Hut ausgestattet sind, scheint sich jeder einzelne von ihnen für einen Eroberer zu halten. Dieser ironisierende Blick wird durch die Musik vor allem bei den Szenen zwischen Capitaine Ramballe und Leutnant Bonnet unterstützt, die als ein komisches Intermezzo in der Kriegstragödie auftreten. Da wirken die aufmarschierenden russischen Zivilisten schon wesentlich entschlossener. Auch in der Musik werden hier leicht patriotische Anklänge hörbar. Dennoch wird die Gewalt, die von den Franzosen ausgeht, weder in der Musik noch in der Inszenierung heruntergespielt. In einem Bild von Gewalt, in dem die russischen Plünderer erschossen werden und Pierre nur aufgrund seiner adligen Abstammung dem Tod entgeht, geht die eigentlich sehr innige Szene, in der der einfache Bauer Platon mit Pierre seinen spärlichen Proviant teilt und die Standesunterschiede zwischen Arm und Reich in Zeiten der Not aufhebt, musikalisch und szenisch leider ein bisschen unter.

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Auch Natascha (Olesya Golovneva) verliert Andrej (Johannes Martin Kränzle). Er stirbt schwer verletzt in ihren Armen.

Musiziert wird auf sehr hohem Niveau. Michael Sanderling filtert mit dem hervorragend disponierten Gürzenich-Orchester Köln das vielschichtige Spektrum der Partitur sehr detailliert heraus und zeigt, welche Qualitäten in diesem nahezu unbekannten Werk schlummern. Auch der Chor unter der Leitung von Andrew Ollivant leistet stimmlich und szenisch Gewaltiges. Mit großer Spielfreude stellt er die ausgelassene russische Partygesellschaft vor dem Einmarsch der Franzosen dar und zeigt sich entschlossen in den Kriegswirren. Wenn er als russisches Volk aus dem Zuschauersaal singt, während ein paar französische Soldaten über die ansonsten leere Bühne irren, bekommt man durch den fulminanten Klang eine Gänsehaut. Von den Solisten, die ebenfalls durchweg sehr überzeugende Leistungen erbringen, seien an dieser Stelle nur ein paar genannt. Olesya Golovneva stattet Natascha mit einem sehr mädchenhaften Sopran aus, der stets leicht klingt und besonders am Anfang die Flatterhaftigkeit dieser Figur charakterisiert. Johannes Martin Kränzle verfügt als Andrej über einen sehr lyrischen Bariton, der die leidende Grundstimmung der Figur spürbar macht. Matthias Klink stattet Pierre mit einem sehr kräftigen Tenor aus, der auch in den Höhen über genügend Durchschlagskraft verfügt und nie angestrengt klingt. Gleiches gilt für Mirko Roschkowski, der den gewissenlosen Verführer Anatole glaubhaft darstellt. Dalia Schaechter gefällt als Patentante Achrossimowa mit recht scharfem Mezzo, der die Wut auf ihre Nichte über deren Verhalten ausdrückt. Miljenko Turk stattet Napoleon mit kräftigem Bariton aus und gefällt durch ein intensives Rollenportrait. So gibt es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus ohne Einschränkungen für alle Beteiligten.


FAZIT

Diese Inszenierung sollte man sich nicht entgehen lassen, zumal man das Werk sicherlich selten irgendwo anders geboten bekommen dürfte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Sanderling

Inszenierung
Nicolas Brieger

Bühne
Raimund Bauer

Kostüme
Andrea Schmitt-Futterer

Licht
Alexander Koppelmann

Chorleitung
Andrew Ollivant

Choreographische Mitarbeit
Otto Pichler /
Athol Farmer

Dramaturgie
Regine Palmai


 

Chor und Herren des
Extrachors der Oper Köln

Statisterie der
Bühnen Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Fürst Andrej Bolkonski
Johannes Martin Kränzle

Natascha Rostowa
Olesya Golovneva

Sonja / 2. französische
Schauspielerin
Adriana Bastidas Gamboa

Gastgeber / Iwanow
Alexander Fedin

Achrossimowa
Dalia Schaechter

Peronskaja / 1. französische
Schauspielerin
Kathleen Parker

Graf Ilja Rostow /
Marschall Davout
Wilfried Staber

Graf Pierre Besuchow
Matthias Klink

Gräfin Hélène Besuchowa
Katrin Wundsam

Anatole Kuragin
Mirko Roschkowski

Leutnant Dolochow /
Capitaine Jacqueau
Daniel Golossov

Kammerdiener
Werner Sindemann

Prinzessin Marja Bolkonskaja
Regina Richter

Fürst Nikolaj Bolkonski /
General Belliard
Magnus Baldvinsson

Matrjoscha
Sandra Janke

Doktor Métivier /
Marschall Berthier
Johann-Werner Prein

Denissow
Matias Tosi

Napoleon
Miljenko Turk

Ordonnanzoffizier des Fürsten
Andrej
Philipp Hoferichter

Adjutant des Generals Compans
Jeongki Cho

Adjutant des Generals Murat
Gustavo Quaresma Ramos

Adjutant des Fürsten Eugène /
Gérard
Ralf Rachbauer

de Beausset
Martin Koch

Capitaine Ramballe
Dennis Wilgenhof

Leutnant Bonnet
John Heuzenroeder

Ein französischer Offizier
Sévag Serge Tachdjian

Platon Karatajew
Manfred Fink

Gawrila
Anthony Sandle

Mawra Kusminitschna
Barbara Ochs

Matwejew
Avram Sturz



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)





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