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Susannah

Oper in zwei Akten
Libretto und Musik von Carlisle Floyd

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 17. März 2012
(rezensierte Aufführung: 23.März 2012)

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Kann denn Nacktbaden Sünde sein?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)

Carlisle Floyds Oper Susannah, komponiert 1955, gehört in den USA zu den populärsten Werken des Repertoires überhaupt - der Hagener Dramaturg Jan Henric Bogen spricht in seiner hörenswerten Kurzeinführung, die es vor jeder Aufführung im Theatercafé gibt, von rund 300 Produktionen (die Pressemitteilung etwas vorsichtiger von rund 250). In Deutschland dagegen ist diese Hagener Inszenierung erst die vierte überhaupt. Ein Grund dafür ist natürlich die tonale, nur moderat durch Dissonanzen aufgepeppte Musik, die sich in extremen Gegensatz zur deutschen Nachkriegsavantgarde stellt und bei der deutschen Erstaufführung 1957 als denkbar unzeitgemäß empfunden worden sein dürfte. Dafür muss man nicht einmal der Avantgarde angehören; so wie Floyd in der Eingangsszene einen volkstümlichen Square Dance ungebrochen vorführt (was den weiteren musikalischen Tonfall des Werkes festlegt), das hat am ehesten Parallelen etwa zu Smetanas Verkaufter Braut, die komplexe Tanz- und Wirtshausszene aus Bergs Wozzeck (entstanden zwischen 1914 und 1921) sind dagegen ist unvorstellbar weit weg; aber selbst der Gebrauch von Chorälen in den Andachtsszenen ist in Wagners konsequent romantisierenden Meistersingern letztendlich weitaus moderner als hier, wo sie nichts anderes als authentische Gebrauchsmusik sind (von den musikalisch geschilderten sexuellen Exzessen der Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch braucht man in diesem Zusammenhang erst gar nicht zu reden.) Floyds wirkungsvolle, aber eben auch sehr plakative Musik funktioniert offenbar sehr viel besser, wenn sie außerhalb der europäischen Musiktradition gehört wird. Immerhin eröffnet ihr eine eher pragmatisch orientierte Rezeptionsphase, wie wir sie derzeit erleben, neue Chancen auch an deutschen Bühnen.

Vergrößerung in neuem Fenster Klare Geste: Susannah wird wegen angeblich unmoralischer Verhaltensweisen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen

Problematisch ist aber auch die dramaturgische Anlage des Werkes. Natürlich hat Bogen recht, wenn er Susannah als sehr gut gemachtes Theaterstück würdigt. Die Titelfigur ist eine attraktive junge Frau in tiefster amerikanischer Provinz, die in einer lähmenden Atmosphäre dogmatischer Religiösität beim (unbekleideten) Baden in einem Bach beobachtet und fälschlich der Unkeuschheit bezichtigt wird. Die Situation eskaliert, als sie vom Wanderprediger Blitch sexuell missbraucht wird und ihr Bruder Sam den Prediger darauf hin tötet. Das Ende ist offen: Susannah steht mit dem Gewehr vor der zur Lynchjustiz entschlossenen Dorfgemeinschaft. Die Geschichte basiert auf der Erzählung von „Susanna im Bade“ aus einem apokryphen Buch der Bibel, was den Stoff natürlich überhöht. Carlisle, der das Textbuch selbst verfasst hat, komponiert das fast durchgehend in braven viertaktigen Perioden, deren Puls vom metrisierten Rhythmus des Textes bestimmt ist – es geht also gerade nicht darum, die Dialoge „natürlich“ klingen zu lassen, sondern trotz der volkstümlichen, idiomatischen Sprache etwas besonders Kunstvolles, Würdevolles daraus zu machen.

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Fest im Glauben: Prediger Blitch an der Spitze der Gemeinde

Dieser Kunstanspruch zwischen Natürlichkeit und Pathos schlägt bis auf das Sujet durch: Dem Geschehen haftet etwas Schicksalhaftes, Unabänderliches an, hinter dem individuelle Schuld zurück steht. Selbst der Akt der Vergewaltigung (der sich zwischen zwei Szenen unsichtbar und unhörbar abspielt) wird dadurch abgemildert, dass dem Prediger zunächst ein großes Lamento über seine Einsamkeit auf Erden, später über seine Schuld als reuiger Sünder zugestanden wird (seine - nicht vertonte - Ermordung ausgerechnet im Taufbach ist prompt die herbei gesehnten Reinwaschung von dieser Sünde ), und Susannah setzt seinen Übergriffen offenbar keinen Widerstand entgegen, aus psychischer Erschöpfung, wie sie deutlich verkündet. Da schwingt unterschwellig das zynische Argument mit, „das Opfer habe sich ja nicht gewehrt“.

Vergrößerung in neuem Fenster Markige Worte: "Slut" (zu deutsch: Schlampe)

Das kann man als (wenn auch etwas plumpen) Versuch der Psychologisierung der Figuren verstehen, aber es ermöglicht eben auch eine Akzentverschiebung: So wie Blitch in der vorletzten Szene der Oper von der Schuld der Gesellschaft predigt, ohne auf seine eigene ganz konkrete Schuld einzugehen, kann man die Oper als eine große Predigt aufnehmen, die von der Anfechtbarkeit des sündigen Menschen spricht, aber im Unbestimmten bleibt. Somit kann man die Oper also sowohl aufklärerisch-anklagend wie auch konservativ-reaktionär rezipieren. Die Musik bedient beide Sichtweisen gleichermaßen. Wenn Susannah beim Baden beobachtet wird, dann kreischen die Blechbläser entsetzt auf – ob dieser Aufschrei das Signal für eine bigotte Hetzjagd ist oder doch dem „Skandal“ des Nacktbadens gilt, kann jeder nach eigenem Gusto entscheiden. (Dabei würde ja eigentlich nahe liegen, die Situation musikalisch ironisch zu kommentieren - immerhin ist ja selbst ein Publikumsrenner wie der im Schlafzimmer beginnende Rosenkavalier um ein Vielfaches obszöner als diese Susannah).

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Schicksalhafte Begegnung: Blitch und Susannah

Vielleicht müsste sich die Regie klar positionieren, um dieser Unbestimmtheit entgegen zu wirken. In Hagen geht das Team um Regisseur Roman Hovenbitzer den entgegengesetzten Weg und erzählt die Geschichte schnörkellos und ohne große Regiezutaten. Das ist natürlich legitim, macht es doch unverstellt die Begegnung mit diesem hierzulande quasi unbekannten Werk möglich und traut dem Publikum das Denken zu. Erstaunlich bleibt aber, warum Hovenbitzer ausgerechnet das zentrale Thema Sexualität in geradezu prüde anmutender Manier umschifft. Zwar wirbt das Theater Hagen mit einem sehr erotischen Plakatmotiv für die Produktion, die Inszenierung gesteht ihrer Titelfigur aber so gut wie gar keinen sexuellen Reiz zu. Ob der Regisseur zeigen will, dass Ausgrenzung jeden, auch diese unscheinbare Frau, treffen kann? Dadurch wird dem Stück jedenfalls eine wesentliche Dimension genommen.

Ausstatter Jan Bammes reduziert die Bühne auf eine schräg gestellte Platte aus Holzbohlen, auf der eine zweite, ebenso gestaltete quadratische Fläche gekippt oder in die Senkrechte gedreht sowohl den Tanzboden, die Bachlandschaft als auch die Wand von Susannahs Haus andeutet. Damit ist die Story fest genug im einfachen, dörflichen Milieu verankert, entgeht aber recht gut der Gefahr einer allzu folkloristischen Sichtweise. Die Kostüme sind authentisch, die Requisiten ansonsten auf die nötigsten reduziert. Alles weitere ist der (soliden) Personenregie überlassen. Hovenbitzer und Bammes gelingen mit Sinn für die Atmosphäre der Oper ein paar eindrucksvolle Tableaus.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Ende

Jaclyn Bermudez kann vieles, nicht alles einlösen, was die umfangreiche Titelpartie sängerisch einfordert. Mit ihrem metallisch kühlen Sopran kann sie sich gut gegen das (unter der Leitung von Bernhard Steiner zwar dem rustikalen Tonfall angemessen derb, aber oft deutlich zu laut spielende) Orchester behaupten. Das sehr mechanische, kaum variierbare Vibrato und die fehlenden warmen Farbbeimischungen lassen die Stimme aber gerade in den lyrischen Passagen angestrengt, auch ein wenig unnatürlich klingen. Im Rahmen dieser Möglichkeiten gestaltet die Sängerin die Rolle durchaus eindrucksvoll und ausdrucksstark, vor allem in den exponierten Ausbrüchen. Bariton Rainer Zaun verleiht ihrem Gegenspieler, dem Prediger Blitch, kraftvolle vokale Statur, gibt ihm aber auch die nötigen Zwischentöne. Charles Reid singt Susannahs Bruder Sam mit sicheren tenoralen Höhen, Jeffery Krueger legt Susannahs jugendlichen Verehrer „Little Bat“ arg überzogen als stotternden Tollpatsch an. Die diversen Nebenrollen sind mit den Ensemblemitgliedern durchweg ordentlich besetzt, Chor und Extrachor singen überzeugend.


FAZIT

Zweifellos ist es verdienstvoll, Floyds hierzulande weitgehend unbekannte Oper zur Diskussion zu stellen – damit setzt das Theater Hagen seine bemerkenswerte Reihe mit amerikanischen Opern engagiert und auf ordentlichem musikalischem wie szenischem Niveau fort. Das sicher nicht unproblematische Werk an sich hinterlässt freilich zwiespältige Eindrücke, denen sich die Regie dann doch deutlicher stellen müsste.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bernhard Steiner

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Ausstattung
Jan Bammes

Choreographie
Andre Baeta

Licht
Ulrich Schneider

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Jan Henric Bogen


Chor und Extrachor
des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Susannah Polk
Jaclyn Bermudez

Sam Polk, ihr Bruder
Charles Reid

Olin Blitch, ein Prediger
Rainer Zaun

Little Bat McLean
Jeffery Krueger

Mr. McLean
Raymond Ayers

Mr. Gleaton
James Wood

Mr. Hayes
Richard van Gemert

Mr. Ott
Orlando Mason (spielt)
Rolf A. Scheider (singt)

Mrs. McLean
Marilyn Bennett

Mrs. Gleaton
Dagmar Hesse

Mrs. Hayes
Tanja Schun

Mrs. Ott
Rena Kleifeld


Weitere Informationen
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Theater Hagen
(Homepage)




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