Grausamer
Realismus
Von Bernd Stopka
/ Fotos von Thomas
M. Jauk
Krysztof
Pendereckis
Oper Die
Teufel von Loudon gehört nicht zu
den modernen Standardwerken des Opernbetriebes. Dabei
ist die Geschichte packend und die Musik höchst
vielfältig, nicht durchgängig atonal,
sondern immer wieder mit lyrischen Kantilenen
gewürzt. Auch sind die Klangschichtungen, Cluster
und expressiven Ausbrüche kein die Ohren
provozierender Selbstzweck, sondern Mittel zum
Ausdruck, zur Eindringlichkeit, zur
Leidenschaftlichkeit. Penderecki verlangt ein
großes Orchester, lässt es aber nur selten
gewaltig erklingen. Viel intensiver arbeitet er mit
Kombinationen einzelner Instrumentengruppen in
zuweilen minimalistischen Klangbildern. Dieses Werk
lässt niemanden kalt, der sich darauf
einlässt, was auch daran liegt, dass es sich dem
interessierten Besucher durchaus erschließt und
nicht in elfenbeinturmerhabener
Unverständlichkeit vom Boden des Erleb- und
Anhörbaren abhebt - sowohl musikalisch als auch
inhaltlich. Aber irgendwie hat diese "moderne"
Musik aus dem Jahr 1969 in ihrer Art auch schon etwas
Antiquiertes - nach dem Motto: "Ach ja, das war damals
das Moderne..."
Jeanne (Khatuna
Mikaberidze)
Jeanne, die Priorin des
Ursulinenklosters von Loudon. ist zwischen
Leidenschaft und Glauben hin- und hergerissen.
Das Objekt ihrer fleischlichen Begierde ist der
Priester Grandier, der seinerseits die
Keuschheitsregeln nicht besonders
ernst nimmt. Doch er bleibt für sie
unerreichbar und frustriert beschuldigt sie
ihn der Unkeuschheit und des Umgangs mit dem
Teufel.
Weltliche Herrscher, Bewohner der Stadt und die
Kirche, insbesondere in Form der Inquisition,
verfolgen ihre Interessen, bekämpfen ihre
Ängste, bemühen sich um Machterhalt und
Ordnung und geraten dabei ausnahmslos in einen
Strudel von Gewalt und Schuld. Obwohl von oberster
weltlicher Seite die scheinbare Besessenheit der
visionsgeplagten Jeanne zum Betrug erklärt
wird - und damit genauso wenig auf einen oder
mehrere Teufel zurückzuführen ist wie die
Fleischeslust des von den Frauen umschwärmten
Priesters - verlangen Welt und Kirche ihre Opfer.
Priorin und Nonnen werden zum Zwecke der
Teufelsaustreibung geschändet, Grandier grausam
gefoltert und getötet. Auf nachdrückliches
Geheiß des Kardinals Richelieu, gegen den
Widerstand der Stadtväter, werden die
Stadtmauern Louduns schlussendlich doch abgerissen.
Innerlich und äußerlich angreifbar und
schutzlos steht die Stadt am Ende da.
Grandier (Brian
Davis), Adam (Ivan Tursic), Manoury
(Jin-Ho Loo)
Regisseur Balázs
Kovalik hat mit Bühnenbildner Florian Parbs
als äußeren Rahmen Baugerüste auf
die Bühne gestellt, erklärtermaßen
als Hinweis auf den geplanten Abriss der
Stadtmauern. Ein Bild, das sich nicht zwingend
aufdrängt, aber doch ein mögliches
Umfeld für die Geschichte darstellen kann. Angelika
Höckner
gelingt
es,
mit aktuellen Kostümen für den
Chor und klassischer Kleidung für Priester
und Nonnen, die Geschichte, die eigentlich im 17
Jahrhundert spielt, zeitlos wirken zu lassen. In
einer Art Container werden immer wieder Jeannes
Visionen als lebende und zuweilen auch sehr
lebendige Bilder dargestellt. Zumeist in der Art
von realistischen, leicht angekitschten
südländischen Heiligenbildern in
üppigster Kostümausstattung oder
lustvoller Nacktheit. Zuweilen tritt sie selbst in
diese Bilder und lässt damit Vision und
Wirklichkeit verschwimmen. Im krassen Kontrast
dazu stehen die höchst realistischen Szenen
grausamster Seelen- und Folterqualen.
Statistin, Grandier (Brian Davis),
Baron de Laubardemont (John Pickering)
Einige Szenen bleiben besonders tief im
Gedächtnis, insbesondere die Seelenqualen
der Jeanne und ihre gespielte Besessenheit, die
zu den ausgesprochen brutalen
Zwangsvaginalspülungen führt, mit denen der
Inquisitor den Teufel aus den scheinbar besessenen
Nonnen herauszuspülen versucht (natürlich
mit geweihtem Wasser). Sicher auch, weil darin - noch
stärker als beim im Libretto stehenden Klistier -
die ganze Verachtung, Erniedrigung und
Unterdrückung der weiblichen Sexualität
durch die "Heilige Inquisition" im Auftrag der
Katholischen Kirche deutlich wird. Und auch, weil hier
alle Nonnen gleichermaßen geschändet
werden, nicht nur Jeanne.
Wenn Philippe dem Priester
Grandier sehr anschaulich ihre Leidenschaft für
ihn gesteht und er dann mit klerikaler Attitüde
formuliert "Komm, Kind, ich will dir helfen" bleibt
ohne Zweifel (und nicht ohne Folgen), dass er ihre
Wünsche erfüllt anstatt in seiner
Priesterrolle zu bleiben. Da zeigt sich, das
Grandier eben
nicht nur Opfer ist. Sowas nennt man
heutzutage "Tätersprache". Aber er ist eben
trotz allem Sympathieträger. Und seine
Folterung, bei der die weltlichen Helfershelfer ihm
die Fingernägel ausreißen - grausam und
ganz erschreckend realistisch -, geht dem Zuschauer
durch und durch. Ebenso wie seine Ermordung, wenn
er ans Kreuz gebunden und darauf liegend in
Beton lebendig begraben wird. (Der Beton ist hier
das passende Material zum baustellenartigen
Bühnenbild). Auf ganz andere Weise beeindrucken
die geschändeten Nonnen, die mit ihrer Not
umgehen, in dem sie sich gegenseitig erzählen,
dass sie schon immer ihre Probleme mit dem
Klosterleben hatten und in der Kapelle oft genug an
andere, höchst weltliche und sündhafte
Dinge gedacht haben.
Vater Barré
(Tobias Schabel), Jeanne (Khatuna Mikaberidze)
Viel zu oft sieht man Sex und
Brutalität auf der Opernbühne - und das
oft genug dort, wo es nicht hingehört. Hier
gehört es hin, es steht im Libretto und man
hört es aus der Partitur. Kovalik setzt dies
adäquat beklemmend, bedrückend,
höchst eindringlich, auf alles andere als
billige Weise schockierend um. So scheint das
Geschehen eine erschreckende Wirklichkeit zu
bekommen und in vielerlei Momenten eine
erstaunliche Aktualität. Dieses Werk strotzt
vor Emotionalität - und zwar in alle
Richtungen!
Und diese Emotionalität
und Leidenschaft hat alle Sängerinnen und
Sänger gepackt. Allen voran Khatuna
Mikaberidze, die die Jeanne mit größter
Expressivität und schonungslosem Stimm- und
Körpereinsatz darstellt. Brian Davis als
Grandier steht ihr nicht nach und hat in seiner
Partie auch genügend Gelegenheit, seinen
klangschönen Bariton erklingen zu
lassen.Tobias Schabel als Vater Barré,
Albert Pesendorfer als Vater Ragnier und John
Pickering als Baron de Laubardemont
überzeugen schauspielerisch und stimmlich mit
besonderer Intensität und Ausdruckskraft.
Ivan Tursic als Adam und Jin-Ho Yoo spielen das
skrupellos geschäftstüchtige Gespann
zweier intriganter Elendsgewinnler mit einer
Mischung aus Widerwärtigkeit und Komik, die
im Halse stecken bleibt. Chor und Orchester
bewältigen ihren Part bravourös. Stefan
Klingele ist der musikalische Motor am Pult, der
die musikalischen Fäden sicher in der Hand
hält und die anspruchsvolle Partitur mit
hörbarem Engagement in einer wahrhaften
Meisterleistung zum vielfarbigen Klingen bringt.
FAZIT
Eine tief beeindruckende
und bewegende Produktion. Bestes modernes,
leidenschaftliches Musiktheater.
Ihre
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Stefan Klingele
Inszenierung
Balázs Kovalik
Bühnenbild
Florian Parbs
Kostüme
Angelika Höckner
Chor
Dan Ratiu
Licht
Elena Siberski
Dramaturgie
Katja Leclerc
Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover
Chor der Staatsoper
Hannover
Statisterie
der Staatsoper
Hannover
Solisten
Jeanne
Khatuna Mikaberidze
Claire
Neele Kramer
Gabrielle
Ania Vegry
Louise
Julie-Marie Sundal
Philippe
Ina Yoshikawa
Ninon
Mareike Morr
Grandier
Brian Davis
Vater Barré
Tobias Schabel (1.5.)
Michael Dries (4.5.)
Baron de Laubardemont
John Pickering (1.5.)
Latchezar Pravtchev (4.5.)
Vater Rangier
Albert Pesendorfer
Vater Mignon
Edward Mout
Adam
Ivan Tursic
Mannoury
Jin-Ho Yoo
D'Armagnac
Roland Wagenführer
De Cerisay
Frank Schneiders
Prinz Henri de Condé
Christopher Tonkin
(1.5., am 4.5.:
gespielt)
Matthias Flohr
(4.5.: gesungen)
Vater Ambrose
Peter Michaelov
Bontemps
Daniel Eggert
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper
Hannover
(Homepage)
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