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Musiktheater
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Die Teufel von Loudun

Oper in drei Akten (1969)
Text von Musik von Krysztof Penderecki
nach The Devils of Loudun von Aldous Huxley
in der Dramatisierung von Kohn Whiting
unter Benutzung der deutschen Übertragung des Dramas von Erich Fried


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunden 37 Minuten (keine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 24. März 2012
besuchte Aufführungen: 1. und 4. Mai 2012


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Staatsoper Hannover
(Homepage)

Grausamer Realismus

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Krysztof Pendereckis Oper  Die Teufel von Loudon  gehört nicht zu den modernen Standardwerken des Opernbetriebes. Dabei ist die Geschichte packend und die Musik höchst vielfältig, nicht durchgängig atonal, sondern immer wieder mit lyrischen Kantilenen gewürzt. Auch sind die Klangschichtungen, Cluster und expressiven Ausbrüche kein die Ohren provozierender Selbstzweck, sondern Mittel zum Ausdruck, zur Eindringlichkeit, zur Leidenschaftlichkeit. Penderecki verlangt ein großes Orchester, lässt es aber nur selten gewaltig erklingen. Viel intensiver arbeitet er mit Kombinationen einzelner Instrumentengruppen in zuweilen minimalistischen Klangbildern. Dieses Werk lässt niemanden kalt, der sich darauf einlässt, was auch daran liegt, dass es sich dem interessierten Besucher durchaus erschließt und nicht in elfenbeinturmerhabener Unverständlichkeit vom Boden des Erleb- und Anhörbaren abhebt - sowohl musikalisch als auch inhaltlich.  Aber irgendwie hat diese "moderne" Musik aus dem Jahr 1969 in ihrer Art auch schon etwas Antiquiertes - nach dem Motto: "Ach ja, das war damals das Moderne..."

SzenenfotoJeanne (Khatuna Mikaberidze)

Jeanne, die Priorin des Ursulinenklosters von Loudon. ist zwischen Leidenschaft und Glauben hin- und hergerissen.  Das Objekt ihrer fleischlichen Begierde ist der Priester Grandier, der seinerseits die Keuschheitsregeln nicht besonders  ernst nimmt. Doch er bleibt für sie unerreichbar und frustriert beschuldigt  sie ihn  der Unkeuschheit und des Umgangs mit dem Teufel.
Weltliche Herrscher, Bewohner der Stadt und die Kirche, insbesondere in Form der Inquisition, verfolgen ihre Interessen, bekämpfen ihre Ängste, bemühen sich um Machterhalt und Ordnung und geraten dabei ausnahmslos in einen Strudel von Gewalt und Schuld. Obwohl von oberster weltlicher Seite die scheinbare Besessenheit der visionsgeplagten Jeanne zum Betrug erklärt wird  - und damit genauso wenig auf einen oder mehrere Teufel zurückzuführen ist wie die Fleischeslust des von den Frauen umschwärmten Priesters - verlangen Welt und Kirche ihre Opfer. Priorin und Nonnen werden zum Zwecke der Teufelsaustreibung geschändet, Grandier grausam gefoltert und getötet. Auf nachdrückliches Geheiß des Kardinals Richelieu, gegen den Widerstand der Stadtväter, werden die Stadtmauern Louduns schlussendlich doch abgerissen. Innerlich und äußerlich angreifbar und schutzlos steht die Stadt am Ende da. 

SzenenfotoGrandier (Brian Davis), Adam (Ivan Tursic), Manoury (Jin-Ho Loo) 

Regisseur  Balázs Kovalik hat mit Bühnenbildner Florian Parbs als äußeren Rahmen Baugerüste auf die Bühne gestellt, erklärtermaßen als Hinweis auf den geplanten Abriss der Stadtmauern. Ein Bild, das sich nicht zwingend aufdrängt, aber doch ein mögliches Umfeld für die Geschichte darstellen kann. Angelika Höckner gelingt es, mit  aktuellen Kostümen für den Chor und klassischer Kleidung für Priester und Nonnen, die Geschichte, die eigentlich im 17 Jahrhundert spielt, zeitlos wirken zu lassen. In einer Art Container werden immer wieder Jeannes Visionen als lebende und zuweilen auch sehr lebendige Bilder dargestellt. Zumeist in der Art von realistischen, leicht angekitschten südländischen Heiligenbildern in üppigster Kostümausstattung oder lustvoller Nacktheit. Zuweilen tritt sie selbst in diese Bilder und lässt damit Vision und Wirklichkeit verschwimmen. Im krassen Kontrast dazu stehen die höchst realistischen Szenen grausamster Seelen- und Folterqualen.


Szenenfoto Statistin, Grandier (Brian Davis),
Baron de Laubardemont (John Pickering)

Einige Szenen bleiben besonders tief im Gedächtnis, insbesondere die  Seelenqualen der Jeanne und  ihre gespielte Besessenheit, die zu den ausgesprochen brutalen Zwangsvaginalspülungen führt, mit denen der Inquisitor den Teufel aus den scheinbar besessenen Nonnen herauszuspülen versucht (natürlich mit geweihtem Wasser). Sicher auch, weil darin - noch stärker als beim im Libretto stehenden Klistier - die ganze Verachtung, Erniedrigung und Unterdrückung der weiblichen Sexualität durch die "Heilige Inquisition" im Auftrag der Katholischen Kirche deutlich wird. Und auch, weil hier alle Nonnen gleichermaßen geschändet werden, nicht nur Jeanne.

Wenn Philippe dem Priester Grandier sehr anschaulich ihre Leidenschaft für ihn gesteht und er dann mit klerikaler Attitüde formuliert "Komm, Kind, ich will dir helfen" bleibt ohne Zweifel (und nicht ohne Folgen), dass er ihre Wünsche erfüllt anstatt in seiner Priesterrolle zu bleiben. Da zeigt sich, das Grandier eben nicht nur Opfer ist. Sowas nennt man heutzutage "Tätersprache". Aber er ist eben trotz allem Sympathieträger. Und seine Folterung, bei der die weltlichen Helfershelfer ihm die Fingernägel ausreißen - grausam und ganz erschreckend realistisch -, geht dem Zuschauer durch und durch. Ebenso wie seine Ermordung, wenn er ans Kreuz gebunden und darauf liegend in Beton lebendig begraben wird. (Der Beton ist hier das passende Material zum baustellenartigen Bühnenbild). Auf ganz andere Weise beeindrucken die geschändeten Nonnen, die mit ihrer Not umgehen, in dem sie sich gegenseitig erzählen, dass sie schon immer ihre Probleme mit dem Klosterleben hatten und in der Kapelle oft genug an andere, höchst weltliche und sündhafte Dinge gedacht haben.

Szenenfoto

Vater Barré (Tobias Schabel), Jeanne (Khatuna Mikaberidze)

Viel zu oft sieht man Sex und Brutalität auf der Opernbühne - und das oft genug dort, wo es nicht hingehört. Hier gehört es hin, es steht im Libretto und man hört es aus der Partitur. Kovalik setzt dies adäquat beklemmend, bedrückend, höchst eindringlich, auf alles andere als billige Weise schockierend um. So scheint das Geschehen eine erschreckende Wirklichkeit zu bekommen und in vielerlei Momenten eine erstaunliche Aktualität. Dieses Werk strotzt vor Emotionalität  - und zwar in alle Richtungen!

Und diese Emotionalität und Leidenschaft hat alle Sängerinnen und Sänger gepackt. Allen voran Khatuna Mikaberidze, die die Jeanne mit größter Expressivität und schonungslosem Stimm- und Körpereinsatz darstellt. Brian Davis als Grandier steht ihr nicht nach und hat in seiner Partie auch genügend Gelegenheit, seinen klangschönen Bariton erklingen zu lassen.Tobias Schabel als Vater Barré, Albert Pesendorfer als Vater Ragnier und John Pickering als Baron de Laubardemont überzeugen schauspielerisch und stimmlich mit besonderer Intensität und Ausdruckskraft. Ivan Tursic als Adam und Jin-Ho Yoo spielen das skrupellos geschäftstüchtige Gespann zweier intriganter Elendsgewinnler mit einer Mischung aus Widerwärtigkeit und Komik, die im Halse stecken bleibt. Chor und Orchester bewältigen ihren Part bravourös. Stefan Klingele ist der musikalische Motor am Pult, der die musikalischen Fäden sicher in der Hand hält und die anspruchsvolle Partitur mit hörbarem Engagement in einer wahrhaften Meisterleistung zum vielfarbigen Klingen bringt.


FAZIT

Eine tief beeindruckende und bewegende Produktion. Bestes modernes, leidenschaftliches Musiktheater.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Klingele

Inszenierung
Balázs Kovalik

Bühnenbild
Florian Parbs

Kostüme
Angelika Höckner

Chor
Dan Ratiu


Licht
Elena Siberski

Dramaturgie
Katja Leclerc


Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor der Staatsoper
Hannover

Statisterie der Staatsoper
Hannover


Solisten

Jeanne
Khatuna Mikaberidze

Claire
Neele Kramer

Gabrielle
Ania Vegry

Louise
Julie-Marie Sundal

Philippe
Ina Yoshikawa

Ninon
Mareike Morr

Grandier
Brian Davis

Vater Barré
Tobias Schabel (1.5.)
Michael Dries (4.5.)

Baron de Laubardemont
John Pickering (1.5.)
Latchezar Pravtchev (4.5.)

Vater Rangier
Albert Pesendorfer

Vater Mignon
Edward Mout

Adam
Ivan Tursic

Mannoury
Jin-Ho Yoo

D'Armagnac
Roland Wagenführer

De Cerisay
Frank Schneiders

Prinz Henri de Condé
Christopher Tonkin
(1.5., am 4.5.: gespielt)
Matthias Flohr
(4.5.: gesungen)

Vater Ambrose
Peter Michaelov

Bontemps
Daniel Eggert



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)






Da capo al Fine

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