Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Alessandro Stradella

Romantisch-Komische Oper in drei Akten

Libretto von Friedrich Wilhelm Riese

Musik von Friedrich von Flotow

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 28. Januar 2012



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Die Macht des Gesangs

Von Thomas Molke / Fotos von Dietmar Janeck

Am 27. April 1812 wurde Friedrich von Flotow geboren. Um dem bald anstehenden 200-jährigen Jubiläum Tribut zu zollen, hat sich das Stadttheater Gießen entschlossen, diesen Komponisten zu ehren, der den meisten heute nur noch durch die Oper Martha ein Begriff ist. Doch da man in Gießen seit Jahren bekannt dafür ist, versunkene Schätze zu heben, hat man sich für ein Werk entschieden, dessen Uraufführung Flotow 1844, also drei Jahre vor Martha, zum Durchbruch in Deutschland verhalf. Genauso vergessen wie diese Oper ist auch die Titelfigur Alessandro Stradella, der zu den größten Komponisten des Hochbarocks in Italien zählte und mit seinen zahlreichen amourösen Abenteuern zu einem Mythos des Lebemanns stilisiert wurde, so dass er zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Kunst, der Musik, der Literatur und auf den Bühnen eine regelrechte "Stradellamanie" auslöste. Dass diese Geschichten nicht unbedingt auf wahren Begebenheiten beruhten, tat der Begeisterung für diese Figur keinen Abbruch. So dürfte die Tatsache, dass Stradella mit einer begnadeten Tenorstimme Frauenherzen zum Schmelzen brachte, beispielsweise der Fantasie des 19. Jahrhunderts entstammen, da zu Stradellas Zeit die Stars der Opernszene Kastraten waren und der Tenorstimme keine besondere erotische Ausstrahlung zugeschrieben wurde.

Bild zum Vergrößern

Alessandro Stradella (Corey Bix) liebt Leonore (Anna Gütter) und entführt sie in sein Haus (außen: Damen der Showtanzgruppe "Soul System" Hungen).

Flotow beschränkt sich in seiner Oper um den Frauenschwarm Alessandro Stradella auf eine einzige Affäre. So entführt Stradella gleich zu Beginn der Oper im Trubel des Karnevals die schöne Leonore, die zum einen für den charismatischen Sänger schwärmt, zum anderen darin die Gelegenheit sieht, einer Hochzeit mit ihrem Vormund Bassi, einem reichen Venezianer, zu entfliehen. Letzterer will diese Demütigung natürlich nicht hinnehmen und heuert zwei Gauner, Malvolino und Barbarino, an, die den Sänger ermorden und Leonore zurückbringen sollen. Als die beiden Gauner Stradella jedoch singen hören, sind sie von seiner Stimme derart hingerissen, dass sie ihren Auftrag nicht ausführen und sich stattdessen der Fangemeinde des Genies anschließen. Bassi unternimmt einen letzten Versuch, Stradella zu liquidieren, indem er das Kopfgeld erhöht. Der Anschlag auf Stradella wird ausgeführt, misslingt jedoch und Bassi muss einsehen, dass er gegen diese Stimme machtlos ist.

Bild zum VergrößernAlessandro Stradella (Corey Bix, Mitte) mit Leonore (Anna Gütter) und seiner Fangemeinde (Chor) beim "Hochzeitsbankett" auf der Bühne.

Roman Hovenbitzer stilisiert die Titelfigur zu einer Art Pop-Ikone. So glitzert im Zuschauerraum eine Disco-Kugel und hängen im dritten Akt in Stradellas Wohnung goldene CDs und Noten als Zeichen für die großen Erfolge des Sängers und Komponisten. Die Macht der Noten wird auch dadurch unterstrichen, dass die Mäntel und Umhänge mit Notenzeilen bedruckt sind. Selbst Leonore hat auf dem Rücken ein Tattoo, das aus einer Notenzeile besteht und die junge Frau somit nicht nur zur Geliebten und zum Fan, sondern auch zur Muse des begnadeten Künstlers macht. Stradella erinnert mit seiner weißen Perücke an ein Genie à la Mozart. Sein glamourös glitzerndes Kostüm wird von einem goldenen Brustpanzer mit einem leuchtend roten Herzen in der Mitte gekrönt. Dieses rote Herz trägt auch Leonore auf ihrem weißen Kleid, so dass bereits optisch unterstrichen wird, dass die junge Frau zu Stradella und nicht zu dem älteren Bassi gehört, der in seinem langen Morgenmantel und den glatt frisierten Haaren wie ein Fremdkörper in dieser Glitzerwelt wirkt. Die beiden Gauner wirken mit den Geigenkästen, in denen sie ihre Waffen verbergen wie Mafiosi aus Filmen der Fünfziger Jahre. Dabei fehlt Barbarino ein Auge, und auch Malvolino ist im Gesicht durch scheinbar frühere Auseinandersetzungen gezeichnet.

Bild zum Vergrößern

Stradella (Corey Bix, Mitte) hat die beiden Gauner Malvolino (Matthias Ludwig, links) und Barbarino (Wojtek Halicki-Alicca, rechts) seinen Fans eingemeindet. Leonore (Anna Gütter, im Hintergrund) und der Chor freuen sich darüber.

Beim Chor, der Stradella als Fangemeinde umgibt, schöpft Kostümbildner Bernhard Niechotz aus dem Vollen, indem er ihn mit bunten Gewändern und weißen Rokoko-Perücken ausstattet. Besonders erwähnenswert sind an dieser Stelle die vier Damen der Showtanzgruppe "Soul System" Hungen, die den Sänger mal als Blumen mit Notenblättern, Schmetterlinge mit Notenflügeln, Putten und in Gold gekleidete Starlets umgeben. Auch das Bühnenbild von Herrmann Feuchter beweist sich als sehr wandlungsfähig. So ermöglicht im zweiten Akt der Einsatz der Drehbühne, Stradellas Wohnung, die mit einem großen roten Bett ausgestattet ist und an deren Wänden neben Rokokofiguren große Poster des Stars prangen, durch gleichzeitiges Verschieben der Wandelemente in eine Show-Bühne zu verwandeln, auf der Stradella große Auftritte feiert. Im dritten Akt ermöglicht dieser Aufbau zum einen einen Blick in Stradellas Künstlerkabine, sein Schlafzimmer und auf die Bretter, die die Welt bedeuten. In einem großen Rahmen, der aus dem Schnürboden herabgelassen wird, schwebt Stradella am Ende mit seiner Angebeteten in den Bühnenhimmel.

Bild zum Vergrößern

Barbarino (Wojtek Halicki-Alicca, links) und Malvolino (Matthias Ludwig, rechts) rätseln, ob sie bei einer höheren Prämie Bassis (Stephan Bootz) Auftrag doch ausführen sollen.

Neben dem Starkult, den Stradella in der Inszenierung betreibt - so betritt er vor Beginn der Oper unter dem Applaus für den Dirigenten den Zuschauerraum, beginnt scheinbar die Ouvertüre und vergnügt sich mit seiner Geliebten Leonore in Kisten, Betten und an Wänden - fügt Hovenbitzer aber noch eine religiöse Komponente ein, indem einer Madonnafigur große Bedeutung zukommt. Während diese Figur zunächst im zweiten Akt noch beinahe blasphemisch wirkt, weil sie unter ihrem weißen Gewand ein nacktes Bein hervorstreckt, wird im weiteren Verlauf bald klar, dass Stradella Leonore zu dieser Madonna stilisiert. So verwandelt Stradella im dritten Akt während seines großen Gebetes Leonore durch eine leuchtende Krone auf dem Kopf und einen blauen Umhang in eben diese Ikone, wobei Leonore selbst dieser Wandel ein wenig unheimlich erscheint. In diesen Momenten verschwindet bei Stradella die scheinbare Leichtlebigkeit und er wird zu einem ernsthaft Liebenden. Dass seine Musik eine göttliche Komponente hat, unterstreicht Hovenbitzer, wenn er bei einem Hochzeitsbankett an einer Tafel mit zwölf Chormitgliedern Stradella wie Jesus beim Abendmahl Brot und Wein verteilen lässt. Dabei wird deutlich, dass Malvolino und Barbarino nicht in der Lage sind, den Mordauftrag auszuführen. Des Weiteren gelingt Hovenbitzer damit die Begründung, warum Stradella nach dem vollzogenen Anschlag nicht tot ist, sondern sich wieder erhebt und in einer Art Apotheose emporsteigt.

Bild zum Vergrößern

Selbst ein Anschlag kann Stradellas (Corey Bix) Stimme nicht zum Verstummen bringen (hinter ihm: Leonore (Anna Gütter), Damen der Showtanzgruppe "Soul System" Hungen und der Chor).

Musikalisch bietet die Oper einen Mix aus deutscher romantischer Oper im Stil von Weber und französischer komischer Oper, für die Flotow vorher komponiert hatte. Jan Hoffmann führt das Philharmonische Orchester Gießen souverän durch diesen Stilmix, auch wenn zu Beginn der Ouvertüre das Blech noch ein wenig unsauber intoniert, was vielleicht der Nervosität vor der Premiere geschuldet wird. Gesungen wird auf hohem Niveau. Der Chor und Extrachor des Stadttheaters Gießen unter der Leitung von Jan Hoffmann meistern die Herausforderungen gut, obwohl es stellenweise noch kleine Probleme mit den richtigen Tempi gibt. Matthias Ludwig und Wojtek Halicki-Alicca glänzen als Malvolino und Barbarino mit textverständlichen, kräftigen Stimmen und begeistern durch ihr komödiantisches Spiel. Stephan Bootz stattet den unsympathischen Bassi mit einem dunklen Bass aus und gefällt in der Rolle des betrogenen reichen Vormunds. Anna Gütter verfügt als Leonore über einen strahlenden Sopran und meistert die zahlreichen Koloraturen mit Bravour. Auch spielerisch überzeugt sie mit ihrem frischen, kecken Spiel auf ganzer Linie. Die anspruchsvollste Rolle fällt der Titelpartie zu, für die man den US-Amerikaner Corey Bix engagiert hat. Bix zeichnet den egomanen Stradella überzeugend und verfügt über einen großen Tenor mit enormer Strahlkraft. Dennoch wirkt er an einigen Stellen stimmlich mit der Partie überfordert. So trifft er zwar die hohen Töne sauber, die von Flotow mit diesem Gesang angestrebte Gänsehaut stellt sich allerdings nicht ein. Auch im eindringlichen Gebet des dritten Aktes wirkt Bix ein wenig überfordert. Aber auch diese kleinen Abstriche schmälern die Begeisterung des Publikums nicht, das die Musiker und das Regieteam mit verdientem und lang anhaltendem Applaus belohnt.

FAZIT

Wer die deutsche Spieloper mag und mal etwas anderes als Martha von Flotow kennen lernen möchte, sollte sich diese Gelegenheit in Gießen nicht entgehen lassen, zumal sie musikalisch und szenisch überzeugt. (Nächste Termine: 9.2.2012, 9. und 24.3.2012 und 14.4.2012 jeweils um 19.30 Uhr und 26.2.2012 um 15.00 Uhr)


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jan Hoffmann

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Bühne
Hermann Feuchter

Kostüme
Bernhard Niechotz

Licht
Manfred Wende

Choreographie
Tarek Assam

Chor

Jan Hoffmann

Dramaturgie
Christian Steinbock

 

 

Chor und Extrachor
des Stadttheater Gießen

Mitglieder der Showtanzgruppe
"Soul System" Hungen

Philharmonisches Orchester
Gießen



Solisten

*rezensierte Aufführung

Alessandro Stradella
Corey Bix

Bassi, ein reicher Venezianer
Stephan Bootz

Leonore, dessen Mündel
Odilia Vandercruysse /
*Anna Gütter

Malvolino
*Matthias Ludwig /
Tomi Wendt

Barbarino
Wojtek Halicki-Alicca

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -