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Tscharodeika (Die Zauberin)

Oper in vier Akten
Libretto von Ippolit Wassiljewitsch Schpaschinski nach seinem gleichnamigen Theaterstück
Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski


in russischer Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 20'  (eine Pause)

Koproduktion der Vlaamse Opera Antwerpen/Gent mit dem Theater Erfurt

Premiere in der Vlaamse Opera Gent am 30. Oktober 2011
(rezensierte Aufführung: 06.11.2011)




Vlaamse Opera
(Homepage)
Russische Femme fatale

Von Thomas Molke / Fotos von Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)

Nachdem der Tschaikowski-Zyklus an der Vlaamse Opera 2009 mit dem eher selten gespielten Werk Mazeppa begonnen hat, was neben der Übernahme im Theater Bremen aber auch an anderen deutschen Bühnen wie zum Beispiel Karlsruhe und Aachen wiederentdeckt worden ist, und in der letzten Spielzeit das gängige Repertoire-Stück Eugen Onegin als Fortsetzung folgte, gibt es in dieser Spielzeit in Koproduktion mit dem Theater Erfurt eine Rarität des großen russischen Komponisten, die selbst in Russland selten im Repertoire zu finden ist. In Belgien handelt es sich dabei sogar um eine Erstaufführung. In Deutschland war das Werk zum letzten Mal 2005 bei den Sommerfestspielen des Mariinsky-Theaters St. Petersburg unter der Leitung von Valery Gergiev in einer Inszenierung von David Pountney zu erleben. In Gent und Antwerpen inszeniert wie schon bei den bisherigen Tschaikowski-Produktionen im Rahmen dieses Zyklus erneut die neue Operndirektorin des Staatstheaters Mainz, Tatjana Gürbaca.

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Nastasja (Tatjana Pavlovskaya, Mitte hinten) in ihrer Taverne inmitten ihrer Gäste (Chor und Foka (Jevgeni Polikanin, ganz rechts)).

Dass Tscharodeika, was sich inhaltlich fast besser mit "Die Bezaubernde" als dem deutschen Titel Die Zauberin übersetzen lässt, nicht den Sprung in die Riege der berühmten Opernwerke Tschaikowskis geschafft hat, mag mit der unbekannten und inhaltlich recht kruden literarischen Vorlage zusammenhängen. In der Nähe von Nischni Nowgorod betreibt Nastasja eine Taverne, in der sich Männer aus allen Gesellschaftsschichten einfinden und ihrem Unmut über die politischen Verhältnisse Luft machen können. Mamirov, dem Schreiber des Fürsten Nikita, ist dieser konspirative Ort ein Dorn im Auge, und er versucht, den Fürsten zu überreden, die Taverne zu schließen. Nikita erliegt allerdings selbst Nastasjas Reizen und ist sogar willens, die Fürstin für sie zu verlassen. Doch Nastasja liebt Nikitas Sohn Joeri und beschließt, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Allerdings hat sie die Rechnung ohne die Fürstin gemacht, die ihr am vereinbarten Ort auflauert und sie vergiftet. Joeri verflucht seine Mutter und wird im folgenden Streit von seinem Vater getötet, weil dieser glaubt, dass der Sohn ihm die Geliebte geraubt habe. Zu spät erkennt Nikita, was er getan hat, und verfällt dem Wahnsinn.

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Mamirov (Taras Shtonda) informiert die Fürstin (Irina Makarova) über die Untreue ihres Gatten.

Das Regie-Team um Tatjana Gürbaca hat die Handlung, die eigentlich in der Mitte des 15. Jahrhunderts spielt, in die Gegenwart verlegt. Klaus Grünberg hat für jeden Akt ein Bühnenbild konzipiert, das die Geschichte auch in der heutigen Zeit noch glaubhaft macht und gut mit Tschaikowskis Musik korrespondiert. Der erste Akt, der musikalisch recht volkstümlich gehalten ist, zeigt Nastasjas Taverne als großen Quader mit weißen Fliesen, die mit jede Menge Graffiti bemalt sind. In den Ecken türmen sich weiße Bierkästen auf. Dieser Raum suggeriert zum einen eine gewisse Freiheit, die auch durch die teilweise recht bunten Kostüme von Silke Willrett und Marc Weeger unterstützt werden, zeigt aber zum anderen auch eine gewisse Enge. Die Freiheit, die diese Andersdenkenden  genießen, ist also recht begrenzt. So wird dem Chor und den Statisten, die neben den Solisten in dem ersten Akt agieren, nicht viel Bewegungsspielraum gelassen. Warum ein Gast mit Fantomas-Maske nackt in der Taverne herumlaufen muss, bleibt unklar. Vielleicht will Gürbaca damit betonen, dass in diesem Rahmen alles erlaubt ist. Nastasja stakst mit hochhackigen Schuhen in einem kurzen schwarzen Kleid und einem ausladenden schwarzen Federhut zwischen ihren Gästen umher und setzt beim Fürsten ihre Reize gekonnt ein, um eine Schließung des Etablissements zu verhindern.

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Nikita (Valery Alexeev) bedrängt Nastasja (Tatiana Pavlovskaya).

Der zweite und dritte Akt, in denen musikalisch wesentlich romantischere Töne anklingen, konzentrieren sich auf die Welt der Fürstin beziehungsweise auf Nastasjas Gefühle. Während das Zimmer der Fürstin im zweiten Akt nur von grauen, recht steril wirkenden Vorhängen begrenzt und von einem riesigen runden Tisch in der Mitte dominiert wird, was zeigt, dass die Fürstin in ihrer Bewegung zwar keinerlei Einschränkungen hat, in diesem Ambiente bisweilen aber sehr einsam ist, ist Nastasjas Zimmer ein kleiner Kasten, der in der Mitte der Bühne auf einem hohen Podest steht. Dieser Kasten weist wie ihre Taverne weiße Fliesen auf, nur dass diese nicht mit Graffiti besprüht sind. In ihrem Privatleben scheint es also nicht so anarchistisch zuzugehen wie in ihrer Taverne. Inmitten dieses Raumes steht wie im Zimmer der Fürstin ein großer runder Tisch, der im Gegensatz zum zweiten Akt diesen kleinen Raum aber nicht dominiert, sondern nahezu erdrückt. Der Fürst scheint, sich bei Nastasja einrichten zu wollen, ohne dabei zu erkennen, dass er mit seiner Macht und seinem Einfluss diese kleine Welt zum Platzen bringt. So weist Nastasja ihn auch von sich. Doch auch mit Joeri kann sie in dieser Welt kein Glück finden. Hinter dem Raum werden zahlreiche Häuserfassaden sichtbar und Nastasjas Raum gerät in Schieflage.

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Paisi (Nikolai Gassiev, Mitte) belauscht Joeri (Dmitri Polkopin, rechts) und seinen Vertrauten Ivan (Igor Bakan, links) (rechts und links außen: Zwei Damen der Statisterie).

Eine Steigerung dieser symbolischen Deutung gelingt Gürbaca noch im vierten Akt. Dabei verzichtet sie ganz auf die Magie irgendeines Waldes, in dem die Fürstin die Nebenbuhlerin vergiftet, sondern lässt den Akt in einer Zirkusmanege mit zahlreichen Zaubertricks spielen. Paisi, der als Bettelmönch mittlerweile als Spitzel für die Fürstin dient, legt seine Kutte ab und verwandelt sich zunächst in einen feuerroten Teufel, der für die Fürstin den Todestrank braut, und später in den personifizierten Tod. Besonders eindrucksvoll gelingt der Auftritt der Fürstin, die mit Lichteffekten und Videoprojektionen als ein riesiger Raubvogel hinter dem Zirkusvorhang erscheint, um anschließend Nastasja den vergifteten Trank zu reichen. Nastasja selbst wirkt nun nicht mehr so mondän wie im ersten Akt, hat ihren Hut und die hochhackigen Schuhe abgelegt und scheint gewillt, mit Joeri ein neues Leben zu beginnen. Aber in einem magischen Zauberkasten wird sie in drei Teile zersägt, ohne dass diese Teile wieder zusammengesetzt werden. Der Fürst tötet seinen Sohn, mit der gleichen Schneide, die schon die Geliebte zerlegt hat, und so bricht er hinter dem Zirkusvorhang an einem schwarzen runden Tisch, an dem die beiden Toten wie zum Leichenschmaus sitzen, selbst zusammen.

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Nastasja (Tatjana Pavlovskaya) wartet auf Joeri. Doch im Hintergrund naht die Gefahr in Form der Fürstin.

Stimmlich stellt das Werk große Anforderungen an die vier Hauptpartien, die in Gent von den Solisten in vollem Maße erfüllt werden. Tatiana Pavlovskaya, die bereits in Mazeppa als Maria glänzte,  stattet die Titelpartie mit dramatischem Sopran aus und hält darstellerisch eine gute Balance zwischen lasziver Verführerin zu Beginn der Oper und leidenschaftlich liebendem Mädchen in den Szenen mit Joeri. So wird auch ihre Naivität, mit der sie den vergifteten Trank annimmt, glaubhaft dargestellt. Olga Savova begeistert mit vollem Mezzo als ihre Gegenspielerin, die in den Tiefen mit ihrer Stimme bedrohlich wirkt und sich in den Höhen zu einer rachsüchtigen Furie entwickeln kann. Auch darstellerisch zeichnet sie ein überzeugendes Rollenportrait dieser gedemütigten Frau. Dmitri Polkopin meistert die Partie des verliebten Joeri mit kräftigem Tenor, der in den Höhen über enorme Durchschlagskraft besitzt. Valery Alexeev verfügt als Fürst über einen kernigen Bass, der zum einen die Härte der Figur, zum anderen aber auch die Abhängigkeit von Nastasja glaubhaft darstellt.

In den kleineren Partien überzeugen vor allem Taras Shtonda als boshafter Mamirov mit profundem Bass und Nicolai Gassiev als Bettelmönch und Spitzel Paisi mit lebhaftem Spiel. Dmitri Jurowski bringt mit dem Symphonischen Orchester der Vlaamse Opera Tschaikowskis Musik regelrecht zum Blühen und arbeitet differenziert den volkstümlichen Charakter des ersten Aktes, die romantischen Melodienbögen in den nächsten beiden Akten und die düstere Stimmung des letzten Aktes in zahlreichen Schattierungen heraus. So gibt es am Ende berechtigten und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten. Wer diese Inszenierung bis zum 26. November in Antwerpen nicht mehr erleben kann, hat die Möglichkeit diese Produktion ab dem 2. Juni 2012 im Theater Erfurt zu erleben.


FAZIT

Dieses absolut unbekannte Werk Tschaikowskis kann musikalisch mit den bekannteren Opern durchaus mithalten und ist auch in Gürbacas schlüssiger Inszenierung einen Besuch in Gent / Antwerpen oder ab Juni 2012 in Erfurt wert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dmitri Jurowski

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühnenbild und Licht
Klaus Grünberg

Kostüme
Silke Willrett / Marc Weeger

Chor
Yannis Pouspourikas

Dramaturgie
Luc Joosten

 


Chor der Vlaamse Opera

Symphonisches Orchester der Vlaamse Opera


Solisten

*rezensierte Aufführung

Nastasja
*Tatiana Pavlovskaya /
Ausrine Stundyte

Fürst Nikita Danilitsij Koerljatev
Valery Alexeev

Fürstin Jevpraxija Romanovna
Irina Makarova /
*Olga Savova

Prinz Joeri
*Dmitri Polkopin /
Viktor Lutsiuk

Mamirov
Taras Shtonda

Paisi
Nikolai Gassiev 

Ivan Sjoeran
Igor Bakan

Foka
Jevgeni Polikanin

Polya
Anneke Luyten

Balakin
Vesselin Ivanov

Potap
Thomas Dear

Loekasj
Stephan Adriaens

Kitsjiga
Thomas Mürk

Nenila
Bea Desmet


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Vlaamse Opera
(Homepage)




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