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Zwei Arten von
Vergangenheit Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski
Die Wissenschaftler Eins (Irina Simmes) und Zwei (Hongjae Lim) machen eine Zeitreise. Die Handlung des 1896 in Paris uraufgeführten Dramas um den feigen, gefräßigen und machtbesessenen Ubu, der in einem imaginären Polen zunächst auf Anraten seiner Frau den polnischen König Venceslav ermordet, den Thron usurpiert, das Volk unterdrückt, die Adligen meuchelt, gegen den Zaren Alexei in den Krieg zieht, zwar vernichtend geschlagen wird, aber mit seiner Frau nach Frankreich fliehen kann, um dort weiter sein Unwesen zu treiben, hat Homem de Mello für die Oper auf Vater und Mutter Ubu und wenige Statisten reduziert. In Anlehnung an Jarrys Begeisterung für Science Fiction wird die Geschichte um Ubu in eine Zeitreise eingebettet, in der die beiden Wissenschaftler Eins und Zwei im imaginären Polen landen und Zeuge von Ubus Aufstieg zum polnischen Herrscher werden. Wie bereits Jarry in seinem Roi Ubu zahlreiche Bezüge zu anderen literarischen Werken, vor allem zu den Dramen William Shakespeares, schuf, kommentieren die beiden Wissenschaftler das Geschehen zwischen den einzelnen Szenen mit Zitaten aus Shakespeares Macbeth, Timon of Athens, Titus Andronicus und King Lear , werden aber auch selbst in die Geschichte hineingezogen. Dabei gerät die Zeitmaschine aus den Fugen. Die Toten stehen wieder auf und die Geschichte beginnt von vorn. Nur die Ubus machen sich aus dem Staub, um anderswo neue Schandtaten zu begehen. Mutter Ubu (Almuth Herbst) rät ihrem Mann (Michael Dahmen), den polnischen König Venceslav (Jürgen Zach, im Hintergrund) zu ermorden (im Hintergrund: Eins (Irina Simmes) und Zwei (Hongjae Lim)). Das Bühnenbild von Piero Vinciguerra besteht aus einem großen silbernen Quader, in dem die kreisrunde Deckenlampe Fans von Star Trek sicherlich an eine Vorrichtung zum Beamen erinnert und der wahrscheinlich als eine Art Transportraum zwischen den Zeiten fungieren soll. In der Rückwand befinden sich zwei kreisrunde Löcher oder auch Bullaugen. Durch diese erscheinen zu Beginn zum elektronischen Klang eines Herzschlags die Wissenschaftler Eins und Zwei als Astronauten, wobei Irina Simmes als Eins und Hongjae Lim als Zwei in ihren Bewegungen die scheinbare Schwerelosigkeit im All glaubhaft simulieren. Im Boden ist ein Gitter eingelassen, durch das König Venceslav auftritt und sich einen Thron aus Büchern baut, auf dem er Platz nimmt, bis er wieder hinabsteigt und von Ubu dort getötet wird. Ansonsten führen die Wege auf und von der Bühne durch das Orchester, das vor und neben dem Quader platziert ist. In diesem eher sterilen Raum bilden die Kostüme von Katharina Gault einen farbenfrohen Kontrast. Die barocken Kostüme des Kinderchors erinnern an elisabethanische Figuren. Ubu wirkt mit seiner Knollennase und den roten Wangen einerseits wie ein Clown, andererseits in seinem blutverschmierten weißen Generalskostüm wie ein grausamer Despot. Mutter Ubus weißes Hochzeitskleid steht im Kontrast zu ihrer Machtgier, die sie später in einem golddurchwirkten Abendkleid deutlich zur Schau trägt. Ubu (Michael Dahmen) wird von einem Eisbär (Ricardo Feldmann) bedroht. Alexander von Pfeil setzt die groteske Handlung des Stückes, das sich in seiner Absurdität nicht um Logik schert, in seiner Inszenierung ebenso verrückt um. So lässt er Vater und Mutter Ubu zunächst mit Klobürste und Nudelholz streiten. Bei aller Grausamkeit wirkt Ubu also stets lächerlich und das Publikum weiß, wie bei der Dramenvorlage, nicht genau, ob es mit dem eigentlich gutmütigen Tyrannen leiden oder den Clown demaskieren soll. Der Kinderchor ist ständig in Bewegung, beobachtet das Geschehen mal vom Rang, mal von den Eingängen zum Parkett aus, nimmt mal in der ersten Reihe Platz und erscheint erst im letzten Akt mit Totenkopfmasken auf der Bühne, wenn die Zeitreise zu scheitern droht und nur die Ubus entkommen. Corbetts Musik ist lautmalerisch, wenn zum Beispiel Ubus Angst vor dem Bären ausgedrückt wird. Für die einzelnen Figuren verwendet er musikalische Modelle, die Ubu mit Powerchords der Metal- und Hardrock-Musik als Grobian charakterisieren. Der Musikkenner dürfte auch Anklänge an Bartóks Judith aus Herzog Blaubart bei der Charakterisierung der Mutter Ubu, ferner auch Bezüge zu Alban Berg, Jimi Hendrix und sogar Mozarts Susanna aus Figaros Hochzeit feststellen.
Gesungen und gespielt wird auf
recht hohem Niveau. Michael Dahmen und Almuth Herbst geben im Zusammenspiel ein
überzeugendes Ehepaar Ubu ab, das besonders in den Staccato-Passagen ihrer
gegenseitigen Schimpftiraden amüsiert. Dahmen begeistert mit wandlungsfähigem
Bariton und großem Spielwitz, der die zahlreichen Facetten der dramatischen
Vorlage überzeugend einfängt. Herbst stattet die Mutter mit kräftigem Mezzo auf
und überzeugt einerseits als keifende Ehegattin mit Nudelholz, andererseits als
mondäne Herrscherin, die ihrem Gatten intellektuell stets überlegen ist. Irina
Simmes gefällt als Eins mit einem fülligen Sopran, wobei ihre
Textverständlichkeit etwas zu wünschen übrig lässt und man bei ihr häufig auf
die Übertitel zurückgreifen muss. Hongjae Lim stattet Zwei mit einem weichen
Tenor aus. Auch Simmes und Lim überzeugen im Zusammenspiel. Der von Manfred
Schulze-Aulenkamp einstudierte Kinderchor präsentiert sich homogen und präzise.
Gleiches lässt sich für das MiR Jugend-Orchester unter der Leitung von Clemens
Jüngling bescheinigen, so dass alle Beteiligten am Ende mit großem und
verdientem Applaus bedacht werden.
FAZIT Die Uraufführung in Gelsenkirchen ist
sicherlich ein Ereignis. Ob die Musik aber den Geschmack eines jungen Publikums trifft,
bleibt fraglich.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Einstudierung Kinderchor Licht
Dramaturgie
Gelsenkirchener Kinderchor MiR Jugend-Orchester
Neue Philharmonie Solisten*Besetzung der Premiere
Vater
Mutter
Eins Zwei 1.
Adliger 2. Adliger 3. Adliger König Venceslav
Bär
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