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Frau ist drüber weg, oder auch nichtVon Thomas Molke / Fotos von Maurice KorbelWeiblicher Vielfalt Ausdruck und Stimme zu verleihen und ein gerechteres und gleichberechtigteres Modell einer Welt zu entwickeln, war die Absicht, in der das Team um Regisseurin Viola Hasselberg alle interessierten Freiburgerinnen aufrief, einen fiktiven Planeten der Frauen zu erkunden. Und immerhin folgten 35 Frauen diesem Aufruf, erarbeiteten auf der Grundlage von Maxi Obexers Texten in Diskussionen und Improvisationen zur Musik von Bernadette La Hengst, die eigens zu diesem Zweck neue Lieder schrieb und einige alte Songs neu arrangierte oder umdichtete, eine Illusion, die in ihrer Plakativität und Kompromisslosigkeit einerseits zwar nicht ganz ernst zu nehmen ist, andererseits aber auch Missstände aufdeckt, die auch nach gut vierzig Jahren aktiver Frauenbewegung in Deutschland der angeblich so gleichberechtigten Republik immer noch anhaften. 23 Frauen blieben nach vier langen Wochenendworkshops übrig, um zusammen mit sechs Schauspielerinnen und Bernadette La Hengst als Fahrstuhlführerin mit dem Publikum eine Reise zu diesem fiktiven Planeten zu unternehmen und dabei - in jeder Hinsicht - die Bodenhaftung zu verlieren. "Rolling Role Models" (vordere Reihe: Nicole Reitzenstein, zweite Reihe von links: Lena Drieschner, Marie Bonnet, rechts mit E-Gitarre: Bernadette La Hengst, hinterste Reihe stehend ganz links: Stephanie Schönfeld, ganz rechts: Charlotte Müller, links daneben: Iris Melamed, zusammen mit den Mitspielerinnen). Nachdem Bernadette La Hengst als Fahrstuhlführerin, die mit blonder Bubikopfperücke durchaus sexistische weibliche Reize präsentiert, indem sie unter ihrer blauen Uniform nur einen knappen BH trägt, das Publikum auf den bevorstehenden Abflug in einem intergalaktischen Fahrstuhl zum Planeten der Frauen vorbereitet hat, treten die sechs Schauspielerinnen zu elektronischer Musik auf und verkörpern dabei zahlreiche stereotype Rollenmodelle: Da erscheinen Venus, die Schaumgeborene, in ihrer Muschel (Nicole Reitzenstein mit einem hautfarbenen Kostüm, bei dem die Brüste und der Schambereich zensiert sind, und langer rotblonder Perücke), die liebliche Braut in Weiß (Lena Drieschner), das sexhungrige Bunny, das wohl in der Art nur in Männerfantasien existiert (Charlotte Müller), die heilige Maria mit großem roten Herz der Liebe (Marie Bonnet), ein Ritter im Kettenhemd wohl als Anspielung auf Johanna von Orleans (Stephanie Schönfeld) und eine Außerirdische mit Spock-Ohren (Iris Melamed), da die Reise ja zu einem anderen Planeten führt. Nachdem diese sechs Figuren ihre Position auf der Bühne, über der ein riesiger Lüster schwebt, eingenommen haben, treten die Freiburgerinnen auf und stellen sich kurz vor. Dabei ist von der jungen Studentin bis zur Großmutter, der Rechtsanwältin und der Arbeitslosen wirklich ein absolut breites Spektrum an unterschiedlichen Frauentypen vertreten. Frauen in der Chefetage (von links: Charlotte Müller, Lena Drieschner, Nicole Reitzenstein, Iris Melamed, Stephanie Schönfeld und Marie Bonnet, rechts mit der E-Gitarre: Bernadette La Hengst, im Hintergrund: die Mitspielerinnen). Zu den Liedern, die Bernadette La Hengst entweder mit der E-Gitarre oder mit der Soundmaschine begleitet, und einzelnen Spielszenen bewegen sich die Frauen nun durch diverse Themen-Levels wie Mütter und Töchter, Frauen auf der Karriereleiter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Befreiung der Liebe, um zu einer Zukunft zu gelangen, die nicht unter männlichen oder weiblichen Vorzeichen steht, sondern einfach nur menschlich sein soll. Die Mitspielerinnen überzeugen dabei vor allem, wenn sie Biographisches aus ihrem Leben berichten, auch wenn man bei manchen Geschichten eher hofft, dass es fiktive Erlebnisse sind, weil man sich nicht vorstellen möchte, dass eine ältere Akteurin wirklich von ihrem damaligen Mann fast zu Tode geprügelt worden wäre, wenn ihre Tochter dies nicht verhindert hätte. In den Tanz- und Gesangsszenen hat der Auftritt der Freiburgerinnen dann doch eher Workshop-Charakter, auch wenn man ihnen die große Freude am Spiel und einen Hang zur Perfektion durchaus anmerkt. Die einzelnen Lieder schließen jedes Themen-Level mit jeweils einer Botschaft ab, die entweder dazu auffordert, von der Gesellschaft suggerierten Idolen nicht mehr zu folgen ("Kill your idols"), oder nahelegt, bestehenden Rollenvorstellungen einfach nicht mehr zu folgen ("Rolling Role Models"), bis frau zu der Erkenntnis kommt, dass sie eigentlich über die ganze Feminismus-Debatte "drüber weg ist". Frau zwischen Kind und Karriere (von links: Nicole Reitzenstein, Iris Melamed, Marie Bonnet, Stephanie Schönfeld, Lena Drieschner, Charlotte Müller, Bernadette La Hengst). Aber ist sie das wirklich? Reicht es zur Befreiung der Frauen, Platituden wie "Grundeinkommen für alle", "Abschaffung von Führungspositionen", "keine Männersitzungen in Saunas" oder "Studiengänge für Utopie, Glamour, Hedonismus, freie Liebe, Übertreibung, Humor, Dekadenz und Schönheit im weitesten Sinne" zu fordern, oder erreichen die Frauen mit diesen Forderungen nicht eher das Gegenteil, nämlich gerade nicht mehr ernst genommen zu werden? Durch diese recht naiven Wunschvorstellungen verlieren die durchaus berechtigten kritischen Momente des Abends leider ein wenig an Bedeutung. Wenn zum Beispiel Stephanie Schönfeld als Mutter und Iris Melamed als Vater in einer kurzen Sequenz einer glücklichen Beziehung vorführen, wie für die Frau häufig die Entscheidung für eine berufliche Karriere mit der Frage für oder gegen Kinder verbunden ist, und Nicole Reitzenstein und Marie Bonnet dabei als Kinder augenscheinlich deutlich machen, wie den Frauen ein schlechtes Gewissen suggeriert wird, wenn sie sich als Mutter für eine berufliche Karriere entscheidet, gewinnt der Abend durchaus psychologischen Tiefgang. Auch dass das Problem der fehlenden Gleichberechtigung der Frauen bereits mit dem Begriff "Wir Frauen" seinen Anfang nimmt, weil man sich quasi selbst als eine unterdrückte Minderheit begreift, ist in Ansätzen an dem Abend gut umgesetzt.
Das Publikum entwickelt großen Spaß beim Spiel der Frauen, so wie die
Freiburgerinnen auf der Bühne auch. Charlotte Müller fasziniert als
Energiebündel, das wie ein Irrwisch über die Bühne fegt und in ihrem
Bewegungsdrang bisweilen auch die Seitenwände emporklettert. Dabei lässt sie
sich noch nicht einmal vom Nasenbluten während des Songs "Rolling Role Models"
stoppen. Nicole Reitzenstein gefällt mit ihren Slapstick-Einlagen als Venus und
überzeugt als unterdrückte Frau, die stets zu irgendwelchen Randgruppen gehört.
Auch Marie Bonnet, Lena Drieschner, Iris Melamed und Stephanie Schönfeld
begeistern durch expressives Spiel. Bernadette La Hengst heizt als
Fahrstuhlführerin dem Publikum mächtig ein und animiert die Zuschauer dazu, bei
der Zugabe von "Rolling Role Models" mitzutanzen, wobei ein großer Teil des
Publikums dieser Einladung auch folgt. So erlebt man bei aller kritischen
Hinterfragung der Aussage des Stückes einen kurzweiligen und unterhaltsamen
Abend. Frauen-Power pur in Freiburg, wobei die Aussage leider nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar bleibt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Regie Musikalische Leitung Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
SolistenMarie Bonnet Mitspielerinnen
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- Fine -