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Musiktheater
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Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Musik und Text von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 45' (zwei Pausen)

Premiere an der Oper Frankfurt am 29. Januar 2012
(rezensierte Aufführung: 18.02.2012)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Weltenbrand mit Kerzenlicht

Von Thomas Molke / Fotos von Monika Rittershaus


Für den Monat Januar 2012 konnte die Oper Frankfurt mit einer sensationellen Platzauslastung von 99,44 % glänzen. Ein Zugpferd für die sämtlichen nahezu ausverkauften Vorstellungen des Monats dürfte auch der lang ersehnte Abschluss des Ring-Zyklus am 29. Januar 2012 gewesen sein. So waren zum Beispiel bereits eine halbe Stunde nach Beginn des Vorverkaufs beide zyklischen Aufführungen im Juni komplett ausverkauft, was bei aller Popularität und magischer Anziehungskraft der Tetralogie mit Sicherheit auch für die bisher erlebte Produktion und die Erwartungen spricht, die das Publikum in die musikalische Umsetzung und die Inszenierung setzt, die mit dem wandlungsfähigen Bühnenbild von Jens Kilian schon ähnlichen Kultstatus besitzt wie "The Machine" in der aktuellen Produktion der Met, für die Robert Lepage verantwortlich zeichnet. Die musikalischen Erwartungen erfüllt die Produktion in jedem Fall, was neben einem überragenden Sänger-Ensemble vor allem der Verdienst von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle sein dürfte, der mit dem herrlich disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchester Festspiel-Niveau erreicht. Doch in Vera Nemirovas Inszenierung, die nach eigenem Bekunden auf aktualisierende Analogien verzichtet, wird nicht jeder Regieeinfall nachvollziehbar, auch wenn es ihr im Großen und Ganzen gelingt, eine packende Geschichte zu erzählen.

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Die Nornen (von links: Claudia Mahnke, Meredith Arwady und Angel Blue) beobachten machtlos, wie Alberich (Jochen Schmeckenbecher) das Seil durchschneidet (am Rand der Scheibe: Statisterie als Lichtalben und Riesen).

Während des Nornenvorspiels steht auf der schrägen Bühnenscheibe, die im letzten Teil des Zyklus in farblosem Grau gehalten wird, nahezu das komplette Bühnenpersonal aus dem Rheingold, das in irgendeiner Form mit dem Gold oder dem daraus geschmiedeten Ring in Berührung gekommen ist. Um diese Figuren weben die drei Nornen (Meredith Arwady mit sattem Alt, Claudia Mahnke mit warmem Mezzo, mit dem sie auch später in der Waltraute-Erzählung glänzt, und Angel Blue mit kräftigem Sopran) in fantasievollen Gewändern von Ingeborg Bernerth während ihrer Erzählung die roten Schicksalsfäden, die sie sich zunächst aus ihren langen verfilzten Haaren ziehen. Während die Rheintöchter, Lichtalben und Riesen eindeutig an ihren Kostümen erkannt werden können, trägt der Schwarzalbe Alberich einen golden glitzernden Anzug, der zum einen ausdrückt, dass er sich für den rechtmäßigen Besitzer des aus dem Rheingold geschmiedeten Rings hält, zum anderen aber auch zeigt, dass er von dem Verlangen nach dem Ring beherrscht wird und an nichts anderes mehr denken kann. So ist es auch Alberich, der das Seil reißen lässt, indem er es durchschneidet.

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"Schläfst du, Hagen, mein Sohn?" Alberich (Jochen Schmeckenbecher, hinten) erinnert seinen Sohn Hagen (Gregory Frank, vorne) an seine Mission.

Überhaupt räumt Nemirova dieser Figur eine größere Präsenz in der Inszenierung ein als im Libretto vorgeschrieben. So lässt sie ihn mit einem Bärenfell im dritten Aufzug als den Alben auftreten, der laut Libretto den noch beutelosen Siegfried zum Rhein lockt. Auch die Augen, die via Bildschirm im ersten Aufzug das Geschehen am Gibichungenhof beobachten, mögen für Alberich stehen, der die ganze Zeit im Blick hat, ob sein Sohn Hagen seinen Auftrag wie vereinbart ausführt. Während diese Ideen noch mit dem Text in Einklang gebracht werden können, ändert Nemirova am Ende ihrer Inszenierung das Libretto ab, indem sie Alberich Hagens letzte Worte "Zurück vom Ring" rufen lässt. Allerdings wird er dabei nicht von den Rheintöchtern mit dem Ring in die Tiefen des Rheins gezogen, sondern kauert sich in eine Seitenloge auf der rechten Seite, während in der Seitenloge auf der linken Seite die Lichtalben erscheinen, alle anderen Figuren der Tetralogie gemeinsam mit dem Chor auf der Scheibe stehen und zu den letzten Klängen der Musik die Utopie eines neuen Zeitalters entsteht. Wie dieses aber mit dem ganzen Personal der Tetralogie realisierbar sein soll, ist fraglich, so dass gerade das Ende des Abends szenisch verwirrt.

Diskutabel ist auch, die Rheintöchter in einem Schlauchboot als eine Art Greenpeace-Aktivisten mit Megaphon und "Rettet den Rhein"-Plakat auftreten zu lassen, zumal es nicht sinnvoll scheint, sie bereits bei Siegfrieds Rheinfahrt im Übergang vom Vorspiel zum ersten Aufzug einzuführen. Vielleicht will Nemirova bereits vor dem Zusammentreffen mit Gutrune andeuten, wie empfänglich Siegfried für weibliche Reize ist und er eigentlich des magischen Trankes gar nicht bedarf, um seine Liebe zu Brünnhilde zu vergessen. Stimmlich jedenfalls begeistern Britta Stallmeister als Woglinde, Jenny Carlstedt als Wellgunde und Katharina Magiera als Flosshilde mit textverständlichem Gesang in harmonischem Dreiklang.

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Die Rheintöchter (von links: Katharina Magiera, Britta Stallmeister und Jenny Carlstedt) versuchen Siegfried (Lance Ryan) zu überreden, ihnen den Ring zu überlassen.

Gut gelingt es Nemirova, den Chor in Szene zu setzen. So schafft sie imposante Standbilder, wenn Hagen im zweiten Aufzug seine Mannen motiviert, den Göttern für die bevorstehenden Hochzeiten zu opfern. Gregory Franks mit fulminantem Bass vorgetragenen "Hoiho"-Rufe gehen beim Zuhörer durch Mark und Bein. Der Chor und die Herren des Extrachors der Oper Frankfurt unter der Leitung von Matthias Köhler beweisen, dass sie sowohl die fast bedrohliche Feierlaune im zweiten Aufzug als auch die leisen Töne des puren Entsetzens nach Siegfrieds Ermordung mit großer Textverständlichkeit und Homogenität beherrschen. Die ganze Gesellschaft auf der schrägen Scheibe auf dem Weg zur Hochzeit einfrieren zu lassen, während unter der Scheibe Hagen mit Brünnhilde und Gunther Siegfrieds Ermordung plant, zeugt von einer durchdachten Personenregie. Beim Weltenbrand allerdings den Chor und die Statisterie mit kleinen Kerzen auf die Scheibe treten und um das Loch in der Mitte kreisen zu lassen, in das der tote Siegfried hinabgelassen worden ist und in das Brünnhilde hinabsteigt, nachdem sie mit einem effektvollen Lichtflash ins Publikum Feuer an die Burg Walhall gelegt hat, wirkt diametral zur fulminanten Musik in dieser Passage.

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Gunther (Johannes Martin Kränzle) weint über Siegfrieds (Lance Ryan) Tod.

Eine große Herausforderung für jede Inszenierung stellt auch das Ende des ersten Aufzugs dar, in dem Siegfried in Gunthers Gestalt Brünnhilde überwältigt und ihr den Ring raubt. Während Siegfried als Naturbursche mit Brustpanzer und Walkürenhelm am Gibichungenhof auf Gunther als grauen Anzugträger trifft, findet die Verwandlung ansatzweise schon hier statt, so dass er vor seiner Fahrt zum Brünnhildefelsen ebenfalls einen grauen Anzug anlegt. Als Gunther braucht er dann nur noch dessen Brille aufzusetzen, um in dessen Gestalt bei Brünnhilde zu erscheinen. Wieso Brünnhilde erstarrt, nachdem sie ihm die Brille heruntergeschlagen hat, und ihm freiwillig den Ring übergibt, wirkt ein bisschen gegen die Musik inszeniert. Auch der weißen Pumps, die Siegfried in einer Plastiktüte mitgebracht hat und Brünnhilde zum Zeichen der Bezwingung anzieht, hätte es nicht bedurft. Dass er ihr hingegen mit einer Krawatte die Augen verbindet und sie diese Krawatte erst am Gibichungenhof ablegt, macht glaubhaft, dass Brünnhilde den Wechsel zwischen Gunther und Siegfried zunächst nicht wahrnimmt. Stimmlich überzeugen Susan Bullock als Brünnhilde mit voluminösem Sopran und Lance Ryan als Siegfried mit kräftigem Tenor ohne Ermüdungserscheinungen, auch wenn man sich bei Bullock bisweilen weniger Vibrato und bei Ryan nicht so starkes Forcieren in den Höhen wünschen würde.

Ein Höhepunkt der Aufführung ist das eindringliche Rollenportrait des 2011 vom Fachmagazin "Opernwelt" zum Sänger des Jahres gekürten Johannes Martin Kränzle als Gunther. Im Zusammenspiel mit Gregory Frank als Hagen verfügt er über eine ähnlich dunkle Stimmfärbung, so dass er stimmlich im Vergleich zu Hagen nicht die schwächere Figur abgibt. Bei Siegfrieds Tod zeigt Kränzle mit großem darstellerischen Talent, dass ihm allmählich bewusst wird, wie sehr er von seinem Halbbruder manipuliert worden ist. Gunthers Trauer, wenn Siegfried in seinen Armen stirbt und er sich anschließend an den Rand der Scheibe setzt und desillusioniert ins Leere steigt, wird von Kränzle emotional bewegend mit absoluter Bühnenpräsenz dargestellt. Anja Fidelia Ulrich überzeugt als seine Schwester Gutrune ebenfalls mit innigem Spiel und warmem Sopran.

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Brünnhilde (Susan Bullock, mit dem Chor und der Statisterie) kurz vor dem Weltenbrand.

Einen weiteren Höhepunkt stellt die Szene zwischen Jochen Schmeckenbecher als Alberich und Gregory Frank als Hagen dar, die von Sebastian Weigle mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester so düster begleitet wird, dass man als Zuhörer eine regelrechte Gänsehaut bekommt. Schmeckenbecher und Frank überzeugen dabei mit grandioser Schwärze in den Tiefen, die die Figuren in ihrem Handeln nachvollziehbar macht. In dieser Szene legt Alberich das golden glitzernde Sakko seinem Sohn über, um ihn an seine Mission zu erinnern. Doch dieser zieht es zunächst auf links, um seine Gier nach dem Ring nicht so offensichtlich zur Schau zu tragen, wie es sein Vater tut. Erst wenn Hagen mit dem gleichen Sakko Brünnhilde instrumentalisiert, um sie zum Verrat an Siegfried zu verlocken, zeigt es wieder die goldene Seite. Die Mission ist nun offenkundig. So überwiegen alles in allem die guten Regieeinfälle und lassen den Abend mit der großartigen musikalischen Umsetzung zu einem Ereignis werden, das die hochgesteckten Erwartungen erfüllt und vom Publikum mit lang anhaltendem und verdientem Applaus belohnt wird.


FAZIT

Ein würdiger Abschluss eines Ring-Zyklus, den man sich nicht entgehen lassen sollte, den man aber, wenn man noch keine Karten für die Zyklen im Juni hat, wohl erst im Jubiläumsjahr 2013 erleben kann.

Einen Kurzfilm von Thiemo Hehl zur Neuinszenierung der Götterdämmerung finden sie hier.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle

Regie
Vera Nemirova

Bühnenbild
Jens Kilian

Kostüme
Ingeborg Bernerth

Licht
Olaf Winter

Video
Vera Nemirova
Katja Gehrke

Chor
Matthias Köhler

Dramaturgie
Malte Krasting




Chor und Herren des
Extrachors der Oper Frankfurt

Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

Siegfried
Lance Ryan

Gunther
Johannes Martin Kränzle

Alberich
Jochen Schmeckenbecher

Hagen
Gregory Frank

Brünnhilde
Susan Bullock

Gutrune
Anja Fidelia Ulrich

Waltraute
Claudia Mahnke

1. Norn
Meredith Arwady

2. Norn
Claudia Mahnke

3. Norn
Angel Blue

Woglinde
Britta Stallmeister

Wellgunde
Jenny Carlstedt

Flosshilde
Katharina Magiera



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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