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Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Akten
Text nach Alexander S. Puschkin vom Komponisten und Konstantin S. Schilowskij
Musik von Peter I. Tschaikowsky

in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 25. Februar 2012
(rezensierter Aufführung: 28.02.2012)


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Theater Essen
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Duell mit russischem Roulette

Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Jung

So sehr Tschaikowsky von der Musik zu seinem Seelendrama Eugen Onegin emotional auch bewegt war, so wenig vertraute er, wenn man seinem Briefverkehr Glauben schenken darf, darauf, dass dieses Bühnenwerk jemals auf den Brettern der Opernbühne zu erleben sei. Zu groß waren die Vorbehalte seiner Zeitgenossen zur Dramaturgie der Handlung, die nicht die Tragödie einer einzigen Figur in den Mittelpunkt stellt, sondern mit Tatjana, Lenski und Onegin in jedem Akt das Unglück einer anderen Figur schildert. Auch wenn der Stilbruch, den man Tschaikowsky mit diesem ungewöhnlichen Opernkonzept vorwarf, letztendlich dazu führte, dass er sein Werk nicht als Oper, sondern als "lyrische Szenen" bezeichnete, zählt es wohl heute zu dem erfolgreichsten, was Tschaikowsky für die Opernbühne hervorgebracht hat. Ob man dabei die Geschichte als sentimentalen Kitsch empfindet oder sich auf die emotionale Achterbahn der Gefühle, die die Protagonisten durchleben, einlassen kann, hängt neben der musikalischen Gestaltung vor allem davon ab, welchen Zugang das Regieteam wählt.

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Tatjana (Victoria Yastrebova, links) bittet Filipjewna (Ildiko Szönyi, rechts), den Brief an Onegin weiterzuleiten.

Michael Sturminger hat in seiner Inszenierung die Handlung der Oper in die Gegenwart geholt, was in einzelnen Szenen nicht ganz unproblematisch ist. So atmet Larinas Landgut nicht mehr den Duft von pittoresker Einsamkeit vergangener Zeiten fern vom hektischen Treiben der Großstadt, sondern erinnert an einen heruntergekommenen Hof, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die besten Zeiten einer funktionierenden Planwirtschaft weit hinter sich gelassen hat. Auch Larinas Wohnhaus, in der im zweiten Akt Tatjanas Namenstag gefeiert wird, ist an hässlicher Spießigkeit in schrecklichen Brauntönen kaum zu übertreffen. Glaubhaft wird dabei, dass Tatjana in einer Traumwelt lebt, um diesem tristen Alltag zu entfliehen, und Olga ihren Sinn in Partys und Klamotten sucht. So hätte man das grandiose Quartett, mit dem die Oper von den vier Frauen nach der Ouvertüre eröffnet wird, durchaus eindringlich inszenieren können. Während Anja Schlosser sich als Wildfang Olga und Victoria Yastrebova als träumerische Tatjana auf einer Schaukel dabei recht glaubhaft präsentieren, meint es Sturmingers Personenregie nicht gut mit Marie-Helen Joël als Larina und Ildiko Szönyi als Filipjewna. Während die beiden älteren Frauen eigentlich gemäß Libretto Vergangenheitserinnerungen nachhängen, muss Szönyi den aus unerklärlichem Grund auf der Bühne befindlichen Chorsängern und Statisten ständig Alkohol einschütten und Joël völlig unmotiviert und übertrieben hin und her laufen, gerne dabei auch mal auf dem Schoß des einen oder anderen Herren Platz nehmen. Was Sturminger sich bei dieser Personenregie gedacht hat, bleibt völlig unklar. Auch der folgende Tanz der zurückkehrenden Landleute lässt nicht einmal den Ansatz einer beabsichtigten Choreographie erkennen. Jeder tanzt hier, wie er will und kann. Das mag vielleicht realistisch sein. Schön ist es jedenfalls nicht.

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Onegin (Heiko Trinsinger) erteilt Tatjana (Victoria Yastrebova) eine Abfuhr.

Onegin tritt, wenn er zu Larinas Landgut kommt, jeweils aus dem Zuschauerraum auf. Seine Garderobe wirkt wesentlich schicker als die der Landbevölkerung und keineswegs zeitgemäß. Optisch scheint Onegin aus einer adligen Vergangenheit in die Gegenwart zu reisen. Folglich fühlt er sich auch als Fremdkörper in der Landbevölkerung. Sturminger lässt ihn ständig über die Bühne laufen, was besonders störend wirkt, wenn er nach Erhalt des Liebesbriefes Tatjana erklärt, dass er kein Interesse an ihr habe. In dieser Szene umkreisen sich Heiko Trinsinger als Onegin und Yastrebova wie Raubtiere in einem Käfig. Diese Rastlosigkeit wird auch im Duett des zweiten Aktes kurz vor dem Duell mit Lenski gezeigt. Wenig glaubhaft wirkt auch, dass Lenski Olga bei der Begrüßung im ersten Akt leidenschaftlich küsst und Onegin als Fremder Tatjana umarmt und küsst. Natürlich kann man aus dem Text herausdeuten, dass Lenski und Olga schon weit über das Händchenhalten hinaus sind, und dass vielleicht gerade diese etwas forsche Art Onegins bei Tatjana den Mut auslöst, ihm ihr Innerstes zu öffnen. Die Musik suggeriert an dieser Stelle aber doch wesentlich mehr Zurückhaltung. Gerade Lenskis Liebeserklärung an Olga in erstem Akt macht deutlich, wie er sie anbetet, dabei aber auch erhöht. Auch an dieser Stelle scheint Sturminger seinem Drang nach mehr Realismus und weniger sentimentaler Verklärtheit nachzugeben.

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Triquet (Albrecht Kludszuweit, Mitte) präsentiert für Tatjana (Victoria Yastrebova, sitzend rechts) ein Ständchen. Onegin (Heiko Trinsinger, sitzend links) amüsiert sich (rechts: Olga (Anja Schlosser), im Hintergrund: Chor und Statisterie).

Das Bühnenbild von Andreas Donhauser und Renate Martin demonstriert in beeindruckender Weise, welche Möglichkeiten die Bühne des Aalto-Theaters für diese Produktion bietet. So können Larinas Wohnung und ihr Hof in verschiedenen Ebenen aus dem Bühnenboden empor- und herabgefahren werden und dahinter noch in einem Quader Tatjanas Schlafzimmer als Kinderzimmer eines pubertierenden Mädchens mit zahlreichen Postern an den Wänden zeigen. Während dieser Quader eindrucksvoll die Enge suggeriert, der Tatjana in ihren Träumen zu entfliehen sucht, ist der Computer auf ihrem Schreibtisch als Requisite eher unglücklich gewählt. So nimmt Sturminger der Briefszene ihre Glaubhaftigkeit. Auch das Duell zwischen Lenski und Onegin am Ende des zweiten Aktes findet nur auf einem großen Gemälde in Larinas Wohnzimmer statt. In Wirklichkeit spielen die beiden russisches Roulette. Auch hier versucht Sturminger, eine mögliche Art des Duellierens in die Gegenwart zu retten, wobei Onegins Gewissensbisse, den Freund getötet zu haben, hierbei nicht glaubhaft werden. Schließlich ist es Lenski selbst, der seinem Leben ein Ende setzt. Dieser Selbstmord wird übrigens nicht gezeigt, sondern findet hinter der hochgefahrenen Wohnung Larinas statt, in die Lenskis Leiche hineingetragen wird. Auch wenn die weite neblige Bühne in der Duell-Szene in ihrer Leere einen schönen Kontrast zu den engen Räumen des ersten Aktes darstellt, wird nicht klar, wieso auf die Rückwand Windräder projiziert werden oder welche Müllhalde auf der linken Seite vor sich hin dampft.

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Onegin (Heiko Trinsinger, links) und Lenski (Zurab Zurabishvili, rechts) beim russischen Roulette als Duell (im Hintergrund von links: Guillot (Enguerrand Cuisset) und ein Hauptmann (Michael Kunze)).

Während in den ersten beiden Akten das Stück jeglichen sentimentalen Kitsches beraubt wird, stellt Gremins Schloss im dritten Akt nach der Pause einen großen Kontrast zur realistischen, aber hässlichen Welt auf dem Lande dar. Riesige klassische Säulen mit Marmorpodesten werden auf einer großen Drehbühne fast unmerklich während der Polonaise zu Beginn des dritten Aktes aus dem Bühnenhintergrund nach vorne gefahren. In diesem Schloss herrscht Dekadenz, aber auch Kälte, was aus dem Schnürboden herabrieselnder Schnee während der Szene zwischen Tatjana und Onegin bildlich untermalt. Hier wirkt Onegins persönliche Tragödie durchaus glaubhaft. Interessant ist der Ansatz, Gremin den Schluss der Auseinandersetzung zwischen seiner Frau Tatjana und Onegin beobachten zu lassen. So wird er Zeuge der Treue seiner Frau und reicht Onegin zum Abschluss des Stückes einen Revolver, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Ob Onegin dieser Aufforderung folgen wird, bleibt unklar. Zunächst lässt er nur den Revolver fallen. So stimmt die Inszenierung nach anfänglichem Unbehagen am Ende doch wieder etwas versöhnlich.

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Tatjana (Victoria Yastrebova) als Fürstin Gremin.

Die musikalische Umsetzung folgt Sturmingers Regie-Ansatz. So klingen auch die Essener Philharmoniker unter dem Dirigat von Srboljub Dinić, der als potenzieller Nachfolger für Stefan Soltesz gehandelt wird, keineswegs so romantisch und sentimental, wie man es bei diesem Werk in zahlreichen CD-Aufnahmen hört. Gerade bei der Ouvertüre verzichtet Dinić auf einen extrem pathetischen Klang und erzeugt mit kleinen Pausen zwischen den Streicherbögen etwas mehr Realismus. Dabei geht die tiefe Emotionalität, die in der Musik liegt, nicht verloren. Heiko Trinsinger gibt mit kräftigem Bariton einen stimmlich überzeugenden Onegin, dessen Darstellung in den ersten beiden Akten beinahe zu freundlich wirkt. Andreas Hermann verfügt als Lenski über einen für die Rolle fast schon zu heldenhaften Tenor, der in den Höhen zwar extrem sicher, aber nicht sehr lyrisch klingt. So wirkt er für den Charakter des Lenski beinahe zu selbstbewusst. Victoria Yastrebova stattet Tatjana mit einem warmen Sopran aus, wobei die Übergänge zu den Höhen bisweilen etwas scharf sind. Überzeugend gelingt ihr die Wandlung von der verträumten grauen Maus zur edlen Fürstin. Almas Svilpa singt die berühmte Arie des Fürsten Gremin mit markanter Tiefe, wirkt in der Darstellung für den Fürsten trotz grauer Haare allerdings noch ein wenig zu jung. Anja Schlosser gefällt als lebenslustige Olga mit wohl-timbriertem Mezzo und keckem Spiel. Auch der von Alexander Eberle einstudierte Chor präsentiert sich homogen und stimmsicher, auch wenn er in der Personenregie der ersten beiden Akte nicht immer eine so glückliche Figur macht.

FAZIT

Trotz einiger diskutabler Regieeinfälle eine alles in allem stimmige Inszenierung, die das Prädikat "empfehlenswert" verdient.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Srboljub Dini
ć

Inszenierung
Michael Sturminger

Bühne und Kostüme
Andreas Donhauser
Renate Martin

Licht
René Dreher

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Ina Wragge



Statisterie
des Aalto-Theaters

Opernchor
des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Larina
Marie-Helen Joël

Tatjana
Franziska Devos /
*Victoria Yastrebova

Olga
Anja Schlosser

Filipjewna
Ildiko Szönyi

Eugen Onegin
Heiko Trinsinger

Wladimir Lenski
*Andreas Hermann /
Zurab Zurabishvili

Fürst Gremin
Roman Astakhov /
*Almas Svilpa

Ein Hauptmann
*Michael Kunze /
Thomas Sehrbrock

Saretzki
Michael Haas /
*Günter Kiefer

Triquet
Albrecht Kludszuweit

Ein Onkel
*Arman Manukyan /
Mario Tarvido

Guillot
Enguerrand Cuisset






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