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Die Entführung aus dem Serail

Singspiel in drei Aufzügen
Libretto von Johann Gottlieb Stephanie frei nach Christoph Bretzner
Neue Dialogfassung von Jetske Mijnssen
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 10. Juni 2012


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Partyschicksale und Chaos im Kopf

Von Stefan Schmöe / Fotos von Ben van Duin

Herzlich Willkommen zur Geburtstagsparty! Ein gewisser Bassa, ein lässiger Künstlertyp, wird 40. Seine Freunde überraschen ihn mit einer kleinen Feier - was ihm gar nicht so recht ist, denn er hat Beziehungsprobleme zu lösen. Sein aktueller Schwarm Konstanze kann sich nicht entscheiden, ob sie mit ihm oder mit dem biederen Belmonte gehen soll. Dann läuft da noch ein etwas tollpatschiger Typ 'rum, den sie „Osmin" nennen (komische Namen haben die Leute hier), der ist hinter einer gewissen „Blonde" her (die allerdings nicht blond, sondern dunkelhäutig ist und gleichzeitig noch etwas mit einem „Pedrillo" hat). Enddreißiger auf der Suche nach dem richtigen Lebensabschnittspartner (oder doch nur nach dem nächsten One-Night-Stand?) – besonders interessante Gestalten für das Theater sind das nicht gerade.

Vergrößerung in neuem Fenster Beziehungskrisen (1): Konstanze und Bassa

Wenn die Partygesellschaft dann ein merkwürdiges Ständchen präsentiert („Singt dem großen Bassa Lieder“) und dazu albern herum hüpft wie beim ersten Disco-Besuch, dürfte sich mancher Besucher beim Fremdschämen ertappen für eine Choreographie von bemerkenswerter Dümmlichkeit. Ansonsten ist fast drei Stunden Langeweile angesagt. Regisseurin Jetske Mijnssen möchte Mozarts Entführung aus dem Serail dem historischen Singspielgestus entreißen und ein total modernes „Lehrstück über die Liebe“ daraus machen. Das hört sich arg pädagogisch an, aber, keine Sorge, so weit kommt die Inszenierung gar nicht erst. Ziemlich schnell nämlich verliert die Regie den roten Faden, vergisst ihre Party-Geschichten und bewegt sich in abstrakten Räumen, in denen das Personal sinnfrei, aber mit andauernder Betroffenheit umherwandelt. Die originalen Dialoge sind durch neue ersetzt, die irgendwie zeitgemäß sein wollen, aber nichtssagend bleiben („es ist Chaos in meinem Kopf“). Da das Originallibretto nicht besser ist – schlechter allerdings auch nicht –, könnte man damit leben, wenn nicht die im Original belassenen Gesangstexte in diesem Kontext hochgradig albern wirken würden. Da ist pausenlos vom Tod die Rede, von existenziellen Nöten. Wer aber von pathetisch „Flucht“ redet, wenn er doch nur eine Party vor deren Ende verlassen möchte, den muss man nicht sonderlich ernst nehmen.

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Beziehungskrisen (2): (von links) Belmonte, Osmin und Pedrillo

Schlimmer noch: Auch die Musik passt nicht mehr, zumindest diejenigen Nummern, die der Singspielkonvention folgen (also die Mehrzahl). In guten Aufführungen bilden sie den konventionellen Rahmen, der dann, etwa durch die „großen“ Arien Konstanzes, gesprengt wird und dem Werk die überhöhte humanitäre Botschaft gibt. Hier ist es andersherum: Nur die Stücke, die der Sphäre der opera seria angehören, können das Konzept tragen (wenn auch wegen der Diskrepanz zwischen musikalischem Anspruch und der Banalität der Party-Situation nur ansatzweise); die Nummern im Singspielcharakter dagegen wirken hier vollends überflüssig und in ihrer Naivität deplatziert.

Sicher hat sich die Regisseurin eine Menge bei alledem gedacht. Die Entführung jenseits der zu Mozarts Zeiten gerade populären „Türkenoper“ als Drama der Beziehungskonflikte zu zeigen, das ist ja kein schlechter Ansatz. Nur müsste das auch in der Regie sichtbar werden - aber in fast jeder „klassischen“ Inszenierung wird mehr davon deutlich als hier. Nicht ohne Grund gehört es zu den ureigensten Mitteln des Theaters, den Beziehungskonflikt durch eine äußere Handlung zu verstärken. In dieser Inszenierung aber muss niemand für den Geliebten sterben, schlimmstenfalls verletzt man dessen Ego. Aber die Ausstattung (Sanne Danz) stellt genug Bierdosen bereit, um den Kummer wegzuspülen.

Vergrößerung in neuem Fenster Beziehungskrisen (3): vorne Konstanze und Belmonte, in der Mitte Pedrillo und Blonde, hinten der Bassa.

Zu diesem, man kann durchaus sagen: desaströsen Eindruck trägt sicher auch eine Sängerbesetzung im eher kleinen Singspielformat bei. Das betrifft Bernhard Berchtold als Belmonte und Roman Astakhov als Osmin, die zwar tadellos singen, aber mit kleinen, wenig charakteristisch eingefärbten Stimmen viel zu harmlos bleiben. Da fehlt dann auch der Schutz, den die komödiantische Singspielhandlung im Original bietet. Das betrifft abgeschwächt auch den Pedrillo von Albert Kludszuweit, der immerhin mit hübschem, nicht zu leichten Spieltenor seine Rolle komödiantisch ausfüllen kann. Christina Clark als Blonde mit dauerzwitscherndem Vibrato verliert jede stimmliche Kontur, sobald sie auch nur eine Spur über ein zartes Piano hinaus möchte. Bleibt als Pluspunkt die ganz ausgezeichnete Konstanze von Simona Saturova, die mit leuchtender, voller Stimme und stupende gesungenen Koloraturen imponiert (in den langen Noten dürfte sie noch zupackender sein, genauer artikulieren). Nur sie hat die vokale Statur, die Leerstellen der Regie musikalisch auszufüllen. Maik Solbach spielt einen flippigen Bassa, von dem keine sonderliche Gefahr ausgeht.

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Beziehungskrisen (4): (von links) Belmonte, Konstanze, Pedrillo und Blonde (vor dem liegenden Osmin)

Unter der Leitung von Christoph Poppen spielen die Essener Philharmoniker ausgesprochen klangschön auf dem gewohnt hohen Niveau. Poppen formt einen sehr weichen Klang, der die einzelnen Instrumente verschmelzen lässt – das klingt immer sehr edel, schleift aber die Ecken und Kanten ab. Aus der historischen Aufführungspraxis kennt man einen sehr viel stärker aufgefächerten, aufgerauten (und dadurch natürlich auch vielseitiger differenzierteren) Klang – hier ist alles edel, aber auch ziemlich gleich. Hat man Konrad Junghänels Kölner Entführung im Ohr (die auch nicht von einem Spezialensemble gespielt wurde), bei der jeder Ton ein Ereignis und keine Phrasierung ohne logische Notwendigkeit war, so ist diese Essener Interpretation vergleichsweise pauschal und auch neutral –. Da hilft auch der ausgezeichnet singende (in der Entführung sicher nicht übermäßig geforderte) Chor nichts.


FAZIT

Eine wohl ambitionierte, im Ergebnis aber belanglose Inszenierung auf (von der eindrucksvollen Simona Saturova abgesehen) ziemlich mäßigem musikalischem Niveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Poppen

Inszenierung
Jetske Mijnssen

Bühnenbild
Sanne Danz

Kostüme
Arien de Fries

Licht
René Dreher

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Niels Szczepanski



Opernchor
des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Selim Bassa
Maik Solbach

Konstanze
Simona Saturova

Blonde
Christina Clark

Belmonte
Bernard Berchtold

Pedrillo
Albrecht Kludszuweit

Osmin
Roman Astakhov






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Essen
(Homepage)




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