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Carmen

Opera comique in vier Akten
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach Prosper Mérimée
Musik von Georges Bizet
Rezitativfassung mit ergänzungen von Ernest Gziraud


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere am 15. Oktober 2011 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 30.Oktober 2011)


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Rheinoper
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Diese Bilder kommen einem spanisch vor

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel

Carmen sei die meistgespielte Oper der Welt und alle möglichen Interpretationen durchgespielt, schickt Carlos Wagner im Programmheft vorsorglich seiner Inszenierung für die Rheinoper in Koproduktion mit der Opéra National de Lorraine in Nancy (da ist sie im Februar 2011 bereits gespielt worden) vorweg. Dabei gibt es keinen Grund zur Entschuldigung, man muss schließlich Carmen nicht jedes Mal neu erfinden. Und Wagner hat durchaus Ansätze, die neu sein dürften. Zum einen möchte er das Stück „in einen Kontext stellen, der die Zeitlosigkeit der griechischen Tragödie hervorruft“, zum andern möchte er sich von den Bildwelten Francisco Goyas anregen und eine Gesellschaft im Kriegszustand zeigen. „Es handelt sich um eine zutiefst spanische Version, die nichts mit Klischee oder anekdotischer Folklore zu tun hat.“ Klingt gut, wenn man das liest, nur ist der Eindruck beim Ansehen der Aufführung genau umgekehrt: Die erscheint leider weitgehend genau so, wie es der Regisseur nicht haben wollte, nämlich als Ansammlung von Klischees und anekdotischer Folklore.

Foto kommt später

Konfliktträchtige Dreierbeziehungen: Micaëla (Anke Krabbe) und José (Sergej Khomov) werden von Carmen (Isabelle Druet) misstrauisch beäugt

Zunächst zum überzeitlichen Hintergrund: Auf die griechische Tragödie weist so sehr viel nicht hin in der Carmen. Zwar gibt es ein Orakel, das den Tod vorhersagt (antike Tragöden hätten freilich versucht, das Orakel zu überlisten, natürlich vergeblich, wogegen Carmen geradewegs der Ermordung durch José entgegen eilt). Aber die femme fatale, deren Inbegriff Carmen ist, trifft man gerade in der griechischen Tragödie eher nicht an. Auch das soziale Gefälle – die Zigeunerin und Fabrikarbeiterin Carmen zieht letztendlich den erfolgreichen Torero dem desertierten einfachen Soldaten vor – passt nicht recht in eine antikisierende Deutung. Vollends hanebüchen ist die Verbindung vom Stierkampf zum Minotaurus, und wenn José seine untreue Geliebte auf die Hörner eines abgeschlagenen Stierkopfes aufspießt, was das (schlecht inszenierte) Ende wohl zeigen will, so wirkt das ziemlich lächerlich. Auch das Einheitsbühnenbild (Rifail Ajdarpasic) – eine Art Bunker, der auch antiker Tempel oder Katakombe der Stierkampfarena sein könnte und leider ziemlich unansehnlich geraten ist – macht den gedanklichen Brückenschlag in die Antike nicht plausibel.

Spannender ist der Verweis auf die abgründigen Bildwelten Francisco Goyas. Der Oper mit einem drastischen Gesellschaftsskizze aus Kriegszeiten die Herz-Schmerz-Attitüde auszutreiben, ist an sich eine gute Idee und funktioniert in den Szenen, die ein plötzliches Erschrecken vermitteln – etwa die kaltblütige Ermordung des Leutnants Zuniga, das grausige Kinderspiel mit einer Puppe in genauer Anlehnung an Goyas (im Programmheft abgebildetes) Hampelmann-Bild. Unverständlich aber, warum Wagner dann mehrfach Velazquez' berühmtes Gemälde Las Meninas zitiert und damit in eine andere Zeit, nämlich den höfischen Barock, abdriftet. Dadurch wirken die Bildzitate insgesamt wie ein buntes Bilderrätsel ohne dramaturgische Funktion. Also doch „Hauptsache Spanien“? Ausgerechnet eines der zentralen spanischen Bildwerke schlechthin ohne erkennbaren Bezug einzubauen, das wirkt dann doch sehr nach Klischee. Das gilt in noch viel stärkerem Maße, wenn der Anfang des zweiten Aktes als hübsch anzusehende Folklore-Tanzshow an der Rampe gestaltet ist, wie überhaupt die Regie hier etwas Varietéhaftes bekommt. (Nebenbei: So spanisch einem das alles vorkommen soll - Carmen ist, bei Komponisten und Sprache genommen, eine französische Oper.)

Foto kommt später

Escamillo (Richard Šveda) erzählt Torero-Geschichten

Die Personenregie ist durchaus sorgfältig, aber entsetzlich bieder und konventionell. Micaëla, vom Libretto ja bereits als Heimchen vom Land überzeichnet, wird mit Strickzeug und Teddybär ausgestattet, das aber ohne erkennbare Ironie. Ein Glück, dass Anke Krabbe mit glutvoll vibrierendem Sopran dagegen hält und musikalisch ein ganz anderes, ungleich faszinierenderes Frauenportrait entwirft, nämlich das einer für Carmen ernst zu nehmenden Nebenbuhlerin. Der prägnant singende Kinderchor ist geradezu hyperaktiv beschäftigt (offenbar glaubt der Regisseur, dass Kinder permanent herum hüpfen müssen). Und mehr und mehr kippt das Stück dahin, noch so ein Klischee, dass alles Stierkampf ist, und jeder wirbelt irgendwie mit einem Tuch herum. Da ist viel unfreiwillige Parodie im Spiel. Und das berühmte Goya-Licht, das der Regisseur so sehr mag und in das er alles tauchen möchte, entpuppt sich als penetrant eingesetztes hartes Streiflicht mit sehr pathetischen plötzlichen Lichtwechseln. So endet diese Carmen als überdekorierter Ausstattungsschinken nicht frei von szenischen Peinlichkeiten.

Foto kommt später

Karten legen: Frasquita (Alma Sadé, l.), Carmen (Isabelle Druet) und Mercedes (Iryna Vakula). Im Hintergrund ein Hofzwerg, der wohl einem Bild von Velazquez entsprungen ist

Ganz anders sieht die musikalische Seite aus. Neben der schon erwähnten famosen Anke Krabbe glänzt Sergej Khomov als in der Höhe frei und unangestrengt strahlender Don José, der mit stimmlicher Beweglichkeit fast alles einlöst, was die Partie verlangt; kleine Abstriche muss man beim etwas matten Piano in der Mittellage machen. Eine mehr als ordentliche Carmen ist Isabelle Druet mit charmant abgedunkeltem Timbre, der für die dramatischen Spitzentöne noch etwas Kraft, für ihre Habanera etwas Präsenz fehlt (da kommt von der Regie leider wenig Unterstützung), die aber vom zweiten Akt an immer zupackender singt und von der Todesankündigung im Kartenspiel an auch die Mehrschichtigkeit der Figur plausibel macht. Richard Šveda ist ein etwas unausgeglichener, teilweise raubeiniger Escamillo, der seine an sich große Stimme nicht immer zur Geltung bringt, das mitunter durch kluge Gestaltung ausgleicht, aber noch besser in die Partie hineinwachsen muss. Souverän ist der Zuniga von Tiimo Riihonen. Mit der nötigen Leichtigkeit bei guter stimmlicher Präsenz ergänzen Johannes Preißinger (Dancaïro), Daniel Djambazian (Remendado), Alma Sadé (Frasquita) und Iryna Vakula (Mercédès) sowie Dmitri Vargin (Zuniga) ein doch sehr starkes Ensemble, zu dem sich der ausgezeichnete Chor (Einstudierung: Gerhard Michalski, Kinderchor: Karoline Philippi) gesellt.

Foto kommt später

Tödliches Ende: Carmen (Isabelle Druet) trägt schickes Torero-Outfit, José (Sergej Khomov) eine Metzgerschürze

GMD Axel Kober gelingt am Pult der sehr guten Duisburger Philharmoniker nicht alles, aber doch vieles. Er beginnt mit Furor, dem fast impressionistisch flüchtigen Chor der Fabrikarbeiterinnen fehlt es an Eleganz. Es dauert eine Zeit, die verschiedenen Sphären in Einklang zu bringen. Im dritten und vierten Akt stellt sich die Balance zwischen lyrischer Tragödie und knalligem Stierkampgetöse sehr gut ein, da werden dann auch viele Zwischentöne hörbar. Gespielt wird nicht Bizets originale (für die Pariser Opéra-Comique konzipierte) Fassung mit gesprochenen Dialogen, sondern die durchkomponierte Rezitativ-Fassung mit Ergänzungen von Ernest Guiraud, wie es der seinerzeitigen Wiener Opernkonvention entsprach. Das ist die wahrscheinlich leichter aufzuführende, aber auch konventioneller anmutende Lösung.


FAZIT

Musikalisch eine sehr beachtliche Carmen, die szenisch leider nicht über eine Aneinanderreihung von dekorativ arrangierten Klischees, nicht immer kitschfrei, hinaus kommt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Carlos Wagner

Bühne
Rifail Ajdarpasic

Kostüme
Patrick Dutertre

Choreographie
Ana García

Licht
Fabrice Kebour

Chor
Gerhard Michalski

Kinderchor
Karoline Philippi



Chor und Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Kinderchor am Rhein

Duisburger Philharmoniker


Solisten

Don José
Sergej Khomov

Escamillo
Richard Šveda

Remendado
Johannes Preißinger

Dancaïro
Daniel Djambazian

Zuniga
Timo Riihonen

Moralès
Dmitri Vargin

Carmen 
Isabelle Druet

Micaëla
Anke Krabbe

Frasquita
Alma Sadé

Mercédès
Iryna Vakula

Tänzerinen
Anna Roura-Maldonado
Michèle Lama
Carmen Mar Canas Salvador
Irina Castillo

Tänzer
Joeri Burger
Alexeider Abad Gonzales
Michael Schuldt
Jonas Tilly



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutschen Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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