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Musiktheater
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b.10

Drittes Klavierkonzert

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Alfred Schnittke (Konzert für Klavier und Streichorchester)

Tanzsuite

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Helmut Lachemann (Tanzsuite mit Deutschlandlied)

Symphony of Psalms

Ballett von Jiri Kyliàn
Musik von Igor Strawinsky (Psalmensymphonie für Chor und Orchester)

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (zwei Pausen)

Premiere am 29. Oktober 2011 im Theater Duisburg
(rezensierte Aufführung: 1. November 2011)


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Dem Fernsehtestbild entsprungen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt


Vergrößerung Drittes Klavierkonzert: Yuko Kato, Ann-Kathrin Adam, Martin Schirbel, Louisa Rachedi, Alexandre Simões (Foto © Gert Weigelt)

Um die großen Handlungsballette hat Martin Schläpfer immer einen Bogen gemacht. Wenn eines seiner Stücke tatsächlich eine kleine Geschichte erzählt, nicht zu genau natürlich und schon gar nicht mit konkreter Handlung, aber immerhin eine Anordnung von Ereignissen, die einen chronologischen Verlauf andeuten, ist das schon etwas besonderes. Eine Frau tanzt allein auf der Bühne. Ein Tänzer kommt hinzu, es entwickelt sich ein vorsichtig tastender Pas de deux. Dann wechseln sich nach und nach verschiedene Gruppierungen ab, von der Frau beobachtet. Gegenentwürfe mitunter, die sich in einer gewissen Distanz (oder in der Imagination der Frau?) abspielen. „Ein Lebensweg zwischen den Polen Abhängigkeit und Emanzipation, Miteinander und Gegeneinander, Bindung und Trennung, Aneinandergebundensein und Freiheit“, schreibt Schläpfer dazu im Programmheft. Es ist ein sehr klares, stringentes Tanzstück.


Vergrößerung

Drittes Klavierkonzert: Yuko Kato, Remus Sucheana( (Foto © Gert Weigelt)

Musikalische Grundlage ist das Konzert für Klavier und Streichorchester von Alfred Schnittke, das viele vertraute oder scheinbar vertraute Motive aufblitzen lässt und fast romantisch in Erinnerungen zu schwelgen scheint. Auf der leeren Bühne mit schwarzem Hintergrund werden die Tänzer, ebenfalls sehr sachlich und gleichzeitig elegant in Schwarz gekleidet (Bühne und Kostüme: Thomas Ziegler), mit geheimnisvoll blauweißem Licht angestrahlt, wodurch die unbedeckten Hautpartien hellweiß aufleuchten. Das erzeugt eine berückend schöne und ungemein faszinierende, in ihrer leicht unterkühlten Art auch distanzierende Atmosphäre. Yuko Kato tanzt die Hauptpartie des rund 25-minütigen Stücks, das Schläpfer 2000 für das ballettmainz schuf, äußerst charismatisch mit bestechender Präsenz und Energie.


Vergrößerung Tanzsuite: Ensemble (Foto © Gert Weigelt)

Auch die im Mittelteil des Abends aufgeführte etwas mehr als halbstündige Tanzsuite hat Schläpfer seinerzeit (nämlich 2005) als Chef des Mainzer Balletts choreographiert. Die musikalische Vorlage, nämlich die Tanzsuite mit Deutschlandlied von Helmut Lachemann, behält die klassische Suite-Form, eine Aneinanderreihung von barocken Tanzformen, im Prinzip bei, löst die Melodie und Begleitstimmen aber in kleine und kleinste Fragmente auf, wodurch die ursprünglichen charakteristischen Rhythmusmodelle nur noch „subkutan aufblitzen“ (so Dramaturgin Anne do Paco sehr treffend in ihrer Einführung). Heraus kommt ein ungemein dichtes, faszinierendes Orchesterwerk, seiner überaus großen Komplexität wegen nur von CD eingespielt (das aber in vorzüglicher Klangqualität). Ganz überraschend hat Schläpfer zu dieser sehr komplexen Musikstruktur außerordentlich handfeste Tanzformen gefunden. Zunächst sieht man auf einer bühnenfüllenden Leinwand nur das farbige Fernsehtestbild, dann erscheinen die Tänzerinnen und Tänzer quietschbunt wie diesem Testbild entsprungen – zwar trägt jeder ein einfarbiges (Ganzkörper-)Trikot, das aber in teils grellen Farben. Was folgt, ist eine Choreographie von irgendwie vertrauten Bewegungsabläufen: Ein bisschen Broadway-Musical, Show, nicht ganz ernst genommener „modern dance“, auch an Aerobic darf man denken, alles sehr gekünstelt – und immer wieder in völlig verkorksten Verrenkungen endend. Oft ist das sehr komisch. Da scheint eine schrill bunte Gute-Laune-Fernseh-Gesellschaft aufs tänzerische Glatteis geführt zu werden.


Vergrößerung

Symphony of Psalms: Ensemble (Foto © Gert Weigelt)

Natürlich parodiert Schläpfer nicht einfach. Es wird derart virtuos getanzt, dass auch in den bewusst „misslungenen“ Bewegungen noch eine große Ästhetik steckt – überhaupt ist das von Atem raubender Brillanz, wie das Ensemble mit größter Perfektion scheinbar „falsch“ tanzt. Dann gibt es eine kleine Sprechszene: Jörg Weinöhl, der Mann für die ausgefallenen Momente, betritt wie ein Guru die Bühne und alle scharen sich um ihn herum. Und was sagt er? „Gigogagie“ (oder so ähnlich). So landet die Spaßtruppe im fröhlichen Dada. Das kann nicht gut gehen, und es wäre allein wohl auch etwas dünn für eine autonome Choreographie. Dann aber tanzt Weinöhl mit Marlúcia do Amaral einen auf einmal viel ernsteren Pas de deux, und an dieser Stelle scheint das Stück zu kippen: Die Farben verblassen allmählich, die Trikots werden ausgetauscht, die Tanzsuite endet in dreifach abgestuften Grautönen (ob man darin die Schwarzweißversion der deutschen Flagge sehen darf, entsprechend dem praktisch unkenntlich in die Tanzsuite eingefügten Deutschlandlied?). Ein grandioses Stück, das raffiniert vor der Schablone eines oberflächlichen und auf Fassade getrimmten Fun-und-Fitness-Buisseness von der wahren Kraft des Tanzes erzählt, ohne sich auf diese Sichtweise zu verengen.


Vergrößerung Symphony of Psalms: Doris Becker, Bogdan Nicula, Nicole Morel, Alexandre Simões (Foto © Gert Weigelt)

Den Abschluss bildet Strawinskys Symphony of Psalms (Psalmensymphonie) für Chor und Orchester in der Choreographie von Jiri Kylián, 1978 am Nederlands Dans Theater entstanden. Acht Paare sind permanent auf der Bühne, die von einer Rückwand aus orientalischen Teppichen begrenzt ist – für Bühnenbildner William Katz Symbole spiritueller Reinheit. Geometrische Formen und Zahlenmystik sind die Grundlagen der Choreographie, die immer wieder fließend einzelne oder einzelne Paare aus der Gruppe heraus nimmt, aber nie für wirkliche Soli, sondern immer als Teil des Ensembles. Auch wenn nicht ganz die technische Perfektion der Tanzsuite erreicht wird, ist das ein außerordentlich packendes Werk, das in seiner zwar inzwischen über 30 Jahre alten, aber unverbrauchten Formensprache Elemente des klassischen Tanzes aufgreift und in die Moderne überträgt. Auch zeigt Schläpfer mit der Wahl solcher Stücke, auf welcher Tradition er aufbaut.

Zum Ärgernis gerät leider die musikalische Seite. Zwar war dem Schnittke-Konzert (mit dem ungemein farbig spielenden Pianisten Denys Proshayev) in der etwas romantisierenden Interpretation durch den Dirigenten Wen-Pin Chien manche Ecke und Kante abgeschliffen, aber doch sehr passabel musiziert worden. Strawinskys Psalmensymphonie aber wirkte unstrukturiert und in der Gesamtdisposition unausgegoren. Die in diesem Teil des Abends ohnehin undeutliche Orchesterintonation verschwimmt in wabernden Klängen, von Strawinskys Akkordrückungen bleibt wenig Wirkung. Der Chor der Rheinoper, zwei Tage zuvor noch in diesem Magazin für eine fulminante Carmen gelobt, enttäuscht hier sehr: Farb- und substanzlose Männerstimmen, übermäßiges Vibrato in allen Stimmen – dabei bräuchte es für den archaischen Gestus dieser Musik klare, gerade Stimmen.


FAZIT

Eine musikalisch dürftige Psalmensymphonie ist ein Wermutstropfen an einem ansonsten brillanten Ballettabend auf höchstem tänzerischen Niveau.


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Produktionsteam

Drittes Klavierkonzert

Choreographie
Martin Schläpfer (2005)

Klavier
Denys Proshayev

Dirigent
Wen-Pin Chien

Bühne und Kostüme
Thomas Ziegler

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Einstudierung
Kerstin Feig

Duisburger Philharmoniker

Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Ann-Kathrin Adam
Wun Sze Chan
Yuko Kato
Louisa Rachedi
Claudine Schoch
Sonny Locsin
Marcos Menha
Bruno Narnhammer
Martin Schirbel
Alexandre Simões
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Maksat Sydykov

Tanzsuite

Choreographie
Martin Schläpfer (1997)

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Video
Christoph Schödel
Keso Dekker

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Einstudierung
Mea Venema


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Wun Sze Chan
Christine Jaroszewski
Yuko Kato
Anne Marchand
Louisa Rachedi
Julie Thirault
Anna Tsybina
Christian Bloßfeld
Paul Calderone
Jackson Carroll
Helge Freiberg
Marquet K. Lee
Bogdan Nicula
Chidozie Nzerem
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Jörg Weinöhl

Symphony of Psalms

Choreographie
Jiri Kylián (1978)

Dirigent
Wen-Pin Chien

Einstudierung Chor
Gerhard Michalski

Bühne
William Katz

Kostüme
Joop Stokvis

Licht
Kees Tjebbes
nach Joop Caboort

Gesamtleitung Kylián Productions
Kees Tjebbes

Einstudierung
Brigitte Martin

Chor der Deutschen Oper am Rhein

Duisburger Philharmoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Doris Becker
Mariana Dias
Feline van Dijken
Christine Jaroszewski
Nicole Morel
Virginia Segarra Vidal
Julie Thirault
Paul Calderone
Martin Chaix
Florent Cheymol
Helge Freiberg
Sonny Locsin
Bogdan Nicula
Alexandre Simões
Remus Sucheana



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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