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Über dem Abgrund
Von Joachim Lange / Fotos von Matthias Creutziger Un ballo in maschera oder Ein Maskenball ist eine von den Verdi-Opern, in denen die große Staatsaktion und die ewige Opern-Geschichte von Freundschaft, Liebe, Leidenschaft und Verrat exemplarisch miteinander verwoben sind. Als das Werk 1859 fertig war, ließ die Zensur den Königsmord auf offener Bühne, in dem das alles mündet, nicht passieren und Verdi musste noch einmal an die Arbeit. Aus dem schwedischen König Gustav wurde irgendein „Conte Riccardo“, sicherheitshalber hat man den ganzen Plot noch in die Neue Welt, nach Boston, verlegt. Verdi war ein Komponist, der sich Zeit seines Lebens nicht aus der Politik heraus gehalten hat. Sicher wird das Politische bei ihm immer in den persönlichen Ambitionen und Beziehungen vermittelt, gibt es eine ausbalancierte, theaterwirksame Mischung aus Soli, Ensemble- und Chorpartien, entfaltet die Musik ihren eigenen Sog, der selbstironischen Witz ebenso einschließt wie das düsterste Schicksalsdräuen. Ulrica sagt das Unheil voraus
In dieser Hinsicht bleibt die Sächsische Staatskapelle im Graben kaum etwas schuldig, auch wenn dem Dirigenten Carlo Montanaro der völlige Schulterschluss mit der Bühne beim exzellenten Chor noch besser gelingt, als beim an sich ausgewogenen Protagonisten-Ensemble. Regisseurin Elisabeth Stöppler konzentriert sich mit ihrem Ansatz auf das beziehungs- und handlungstechnische Gerüst des Maskenballs und verzichtet bewusst auf jede Art von historischer oder räumlicher, also politischer Konkretisierung. Was dabei herauskommt, ist allerdings nicht mal der halbe Verdi. Mit dem immer noch bedeutenden Rest, der dann übrig bleibt, erwecken vor allem Rebecca Ringst und Annett Hunger die Bühnentechnik der Semperoper nicht nur zu einem erstaunlichen Eigenleben, sondern machen sie zu einer Hauptsache. Riccardo inmitten der maskierten Gesellschaft
Es ist verblüffend, was da ohne Prospekte und Kulissen geboten wird und welchen Effekt man damit erzielen kann. In diesem Bühnenbild könnten man aber fast jede Verdi-Oper spielen: Alle Hubpodien sind in Bewegung und bilden verschiedene Raumillusionen. Bis hin zum metaphorischen Abgrund. Wenn sich die Scheinwerferbatterien, die gerade noch eine prachtvolle Saalbeleuchtung abgaben, herab senken, dann wird deren schwebendes Haltegerüst zu einem gespenstischen Labyrinth darüber. Hier müssen sich Amelia und Riccardo sogar anseilen, damit sie sich bei ihrem Opern-Rendezvous auf dem Friedhof nicht ihre realen Sängerknochen brechen. Über dem Abgrund: Renato und Amelia
Diese gefährliche nächtliche Begegnung buchstäblich über dem Abgrund gehört zu den atmosphärischen Höhepunkten, die diese faszinierende, quasi autonome Bühnenästhetik zu bieten hat. Neben dem ständigen Auf und Ab, dem stets schwankenden Grund der Lebenstatsachen, den Täuschungen einer sich nur über ihre (Ver-)Kleidungen und Maskierungen definierenden Gesellschaft (Kostüme: Frank Lichtenberg). Diese Masken fallen, wenn der Tod zur buchstäblichen nackten Tatsache für Alle wird. Wobei diese Demaskierung bis auf die nackte Haut am Ende mehr spielerischer Selbstzweck bzw. konzeptionelle Behauptung bleibt. Am Ende fällt jede Maskierung
Ein so apolitischer Verdi wie jetzt in Dresden ist wohl doch eher ein Missverständnis. Immerhin sieht das Ganze aber nicht nur hochästhetisch aus, sondern ist in vokale und Orchesternoblesse verpackt. Neben dem fabelhaft konditionsstarken tragischen Paar, Riccardo (Wookyung Kim) und Amelia (Marjorie Owens), liefern Marco Vratongna als scheinbar betrogener Renato ein Musterbeispiel von Verdischer Jago-Düsternis, Tichina Vaughn eine fulminante Wahrsagerin Ulrica und Carolina Ullrich einen koloraturleichten Pagen Oscar. Auch mit den übrigen Rollen wird hohes Semperopern-Niveau geboten.
Musikalisch ist die Semperoper mit diesem Maskenball auf der Höhe ihrer Möglichkeiten und serviert Verdi als vokalen und orchestralen Genuss. Szenisch spielt das Bühnenbild die Hauptrolle in einer stimmungsvollen, aber apolitischen Interpretation. Die unter den Beifall gemischten Buhs am Ende beschränkten sich denn auch auf das Regieteam. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Riccardo
Renato
Amelia
Ulrica
Oscar
Silvano
Samuel
Tom
Erster Richter
Diener
Kind
Tod
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