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Musiktheater
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Götterdämmerung

Dritter Tag aus dem Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Musik und Text von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 6h (zwei Pausen)

Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt am 16. Oktober 2011
 

 

 



Staatstheater Darmstadt
(Homepage)

Götterdämmerung als Atomexplosion

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller

Zwei Wochen ist es her, dass Jung-Siegfried Brünnhilde aus ihrem fast 20 Jahre andauernden Dornröschen-Schlaf erweckt hat, und schon präsentiert Intendant John Dew den Abschluss seiner Ring-Tetralogie, die im Juni mit der Rheingold-Premiere begonnen hat und im Vergleich zu anderen Ring-Produktionen außerhalb Bayreuths in verhältnismäßig kurzer Abfolge komplettiert worden ist. Aber nicht nur die relativ zügige Produktion ist in Darmstadt erwähnenswert. Dew macht mit seiner sehr stringenten Erzählstruktur und engen Bezügen zu den vorangegangenen Teilen deutlich, dass er seinen Ring-Zyklus als Einheit sieht, der sich in großen Teilen nur erschließt, wenn man alle vier Episoden gemeinsam betrachtet, einem Konzept, dem man andernorts, wo man die einzelnen Teile jeweils von unterschiedlichen Regisseuren erarbeiten lässt, überhaupt nicht folgt und ohne das viele Aspekte, die sich nur im Zusammenhang des kompletten Zyklus vermitteln lassen, regelrecht verschenkt werden.

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Noch ist Siegfrieds (Craig Bermingham) und Brünnhildes (Katrin Gerstenberger) Welt in Ordnung.

So führt Dew die den Schicksalsfaden führenden Nornen bereits in der Erda-Szene des Rheingolds ein. Während Urmutter Erda dort inmitten einer Erdkugel erscheint und ein rot leuchtendes Seil durch ihren Bauchnabel zu den darüber stehenden Nornen führt, sieht man im Vorspiel der Götterdämmerung auf einer nahezu dunklen Bühne nur die in verschiedene Stränge des rot leuchtenden Schicksalsfadens eingewickelten Nornen, wobei die drei Enden zum Schnürboden hinaufführen, die Verbindung des Seils zu Erda also nicht mehr besteht. So wird deutlich, dass mit dem Reißen des Seils und dem Herabfallen der drei Schnüre alles Wissen der Nornen zu Ende ist und sie sich nur noch hinab zu Erda begeben können. Ob eine Verflechtung der drei Schnüre im Schnürboden beabsichtigt oder eher zufällig passiert, lässt sich aus der Darstellung der Szene nicht eindeutig erkennen.

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Doch Hagen (Thomas Mehnert, rechts) plant schon, mit Gunther (Oleksandr Prytolyuk, links) und Gutrune (Susanne Serfling) das junge Glück zu zerstören.

Brünnhildes Felsen unterscheidet sich im Stil des Mobiliars kaum von der Gibichungenhalle, wobei für Brünnhilde der Farbton Rot (für die Liebe?) gewählt wird und bei den Gibichungen ein eher kalter blauer Farbton für die Sofaecke bzw. ein durchsichtiger, recht steril wirkender Schreibtisch gewählt werden. Die Küchenzeile, auf der Brünnhilde als brave Ehefrau ihrem Siegfried die Bütterchen schmiert und den Aktenkoffer packt, könnte aus dem Tower stammen, von dem aus die Walküren im dritten Aufzug der Walküre die Ankunft der gefallenen Helden koordiniert haben. So erscheint auch Waltraute im ersten Aufzug noch in der Fliegermontur, die die Walküren bereits zwei Abende zuvor getragen haben. Warum Siegfried, den es zu neuen Heldentaten drängt, diese mit feinem Anzug, Aktenkoffer und Regenschirm antritt und Brünnhilde ihm für ihr Ross Grane die Autoschlüssel überreicht, mag ein Gag sein, vielleicht aber auch bereits andeuten, in welche Welt sich der Held begibt. So zeigen die auf eine rückwärtige Leinwand in der Gibichungenhalle projizierten Wolkenkratzer, dass der Gibichungenhof eine Schaltzentrale des Managements einer großen Firma ist.

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Alberich (Olafur Sigurdarson, rechts) mahnt seinen Sohn Hagen (Thomas Mehnert, links), an die Rache zu denken und überreicht ihm die Hälfte von Wotans zerbrochenem Speer.

Dass optisch gewisse Parallelen zwischen Brünnhilde und Gutrune erzeugt werden und beide beispielsweise in einem Modemagazin blättern, mag Absicht sein, da Dew die Wirkung des Vergessenheitstranks dramaturgisch für sehr problematisch hält. Deshalb lässt es sich vielleicht leichter motivieren, wieso Siegfried Brünnhilde beim Anblick Gutrunes wirklich vergisst, zumal die Erinnerung an Brünnhilde im dritten Aufzug bei ihm auch schon einsetzt, bevor Hagen ihm das Gegenmittel gegen sein Vergessen gereicht hat. Auch scheint Dew Siegfrieds Treue gegenüber seinem Blutsbruder Gunther zu misstrauen. So beteuert Siegfried zwar, dass Nothung zwischen ihm und der für den Freund gefreiten Braut liegen wird. Kurz vor Ende des ersten Aufzuges sieht man aber durch den feuerroten Vorhang Siegfrieds Hand zu Brünnhildes Busen greifen, womit Dew das Problem des Meineids im zweiten Aufzug eindeutig zu Ungunsten Siegfrieds interpretiert.

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Brünnhilde (Katrin Gerstenberger) vertreibt Wotan (Ralf Lukas, rechts) vom Ring und vom toten Siegfried (Craig Bermingham, links).

Wie schon im Siegfried erwartet, tritt Alberich mit der abgebrochenen Hälfte von Wotans Vertragsspeer zu seinen Sohn Hagen, und so ist es der von Siegfried selbst zerstörte Speer, mit dem Hagen dem Held das Ende bereiten wird. Für "Siegfrieds Tod" hat sich Dew etwas ganz Ungewöhnliches einfallen lassen. Siegfried sieht Brünnhilde kurz vor seinem Tod nicht nur vor seinem geistigen Auge, sondern in einem weiten schwarzen Gewand leibhaftig vor sich und haucht in ihren Armen sein Leben aus. Dann führt Alberich Wotan zum Ort des Geschehens. Während Wotan zunächst vom Anblick des gefallenen Helden geschockt ist, kommt es noch einmal zu einer scheinbaren Annäherung zwischen ihm und Brünnhilde. Doch als diese erkennt, das ihr Vater immer noch dem Ring verfallen ist und ihn an sich nehmen will, jagt sie ihn von der Bühne. Bemerkenswert ist, dass Ralf Lukas, der Wotan-Darsteller der vergangenen Abende, auch diesen stummen Part übernommen hat. Man mag kritisieren, dass diese Episode im Widerspruch zu Waltrautes Erzählung im ersten Aufzug stehen könnte. Zum einen lässt sich aber nicht eindeutig festlegen, ob Wotan den Ring wirklich für sich begehrt oder ihn vielleicht doch selbst den Rheintöchtern zurückgegeben hätte, zum anderen wäre es auch möglich, dass Wotan trotz aller Einsicht immer noch der verfluchten Macht des Rings erlegen ist und sich deshalb nicht gegen die Faszination des Rings wehren kann.

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Brünnhilde (Katrin Gerstenberger, Mitte) stürzt sich mit dem Ring in das Feuer (Chor und Statisterie).

Wenn Hagen nach dem Brudermord dem toten Siegfried den Ring entwenden will, sind es die Rheintöchter, die sich auf ihn stürzen und ihn in Schach halten, während Brünnhilde den Ring an sich nehmen kann. Ihr großer Schlussgesang "Starke Scheite schichtet mir dort" findet auf einer nahezu leeren Bühne statt. Nur Siegfrieds Sarg steht in der Mitte der Bühne und wird während Brünnhildes Gesang von Sicherheitskräften in den dunklen Bühnenhintergrund getragen, während Hagen auf der linken Seite der Bühne auf seine Chance lauert, den Ring doch noch zu erlangen, und die Rheintöchter auf der rechten Seite der Bühne darauf warten, dass Brünnhilde ihnen den Ring übergibt. Brünnhildes Ritt in die brennende Burg wird durch eine Menschenmasse symbolisiert, die sie umringt und versucht, in den Besitz des Rings zu gelangen. Jetzt tritt auch Loge als Albert Einstein wieder auf, betrachtet kopfschüttelnd die Gier der Menschen und wischt mit einem Schwamm die Formel "E=mc˛" weg, die er beim Einzug der Götter in Walhall auf die Bühnenwand geschrieben hatte. Doch es ist zu spät, wissenschaftliche Entdeckungen rückgängig zu machen, und so explodiert in einem lauten Knall eine Atombombe und lässt in einem großen Atompilz die Erde versinken. Nur der Rhein fließt weiter in seinem Bett, nimmt Brünnhilde mit dem Ring auf und zieht auch Hagen in die Tiefe. Zu den letzten Klängen der Musik sieht man hinter dem vom Gold erneut leuchtenden Rhein einen undefinierbaren Kosmos, der ein neues Zeitalter heraufbeschwört, in dem der Mensch nicht mehr zu existieren scheint.

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Brünnhilde (Katrin Gerstenberger) im Weltenbrand (links die Rheintöchter (Margaret Rose Koenn, Erica Brookhyser und Gae-Hwa Yang).

Neben dieser recht spannenden Inszenierung ist die musikalische Gestaltung ein weiterer Höhepunkt des Abends. Da ist zunächst der von André Weiss sehr präzise einstudierte Chor des Staatstheaters zu nennen, der im zweiten Aufzug einen voluminösen Klangkörper darstellt und sich gleichermaßen im dritten Aufzug mit einem fast geflüsterten "Hagen, was tatest du?" regelrecht gespenstisch zurücknehmen kann. Margaret Rose Koenn, Erica Brookhyser und Gae-Hwa Yang überzeugen darstellerisch und stimmlich durch große Textverständlichkeit als Rheintöchter. Anja Jung gefällt als Waltraute mit klarer Diktion. Susanne Serfling und Oleksandr Prytolyuk geben optisch und stimmlich ein überzeugendes Gibichungenpaar ab. Thomas Mehnert und Olafur Sigurdarson verfügen als Hagen und dessen Vater Alberich jeweils über einen sehr markanten Bass mit diabolischer Schwärze. Craig Bermingham steigert sich als Siegfried im Verlauf des Abends. Während er zu Beginn besonders in den Höhen einige Intonationsprobleme hat, gewinnt er mit Fortschreiten der Inszenierung stimmlich an Souveränität und zeigt bei der Waldvogelszene nahezu keine Unsicherheit mehr. Katrin Gerstenberger wächst als Brünnhilde an diesem Abend über sich hinaus. Mit nicht endenden Kraftreserven bewältigt sie die ungeheuer anspruchsvolle Partie mit sauberer Stimmführung, ohne dabei in Schreien abzudriften. Constantin Trinks trägt sie wie den Rest des Ensembles mit einem wunderbar aufspielenden Orchester durch den Abend. Dabei nimmt sich Trinks viel Zeit, die musikalischen Nuancen der Partitur sorgfältige herauszuarbeiten. Am Ende gibt es großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Eine in der Inszenierung stimmige und vor allem geschlossene Aufführung, die musikalisch in jeder Hinsicht überzeugt und eine Fahrt nach Darmstadt zu einem der nächsten Zyklen auf jeden Fall lohnenswert macht (Zweiter Zyklus: 12., 13., 20. und 27. November 2011, dritter Zyklus: 11., 12., 18. und 25. Februar 2012 und vierter Zyklus: 5., 6., 8. und 9. April 2012).


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Constantin Trinks

Inszenierung
John Dew

Bühne
Heinz Balthes

Kostüme
José-Manuel Vázquez

Videoprojektion
Karl-Heinz Christmann

Licht
Dieter Göckel

Choreinstudierung
André Weiss

 

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Darmstadt

Statisterie des
Staatstheaters Darmstadt

Staatsorchester Darmstadt


Solisten

Siegfried
Craig Bermingham

Gunther
Oleksandr Prytolyuk

Hagen
Thomas Mehnert

Alberich
Olafur Sigurdarson

Brünnhilde
Katrin Gerstenberger

Gutrune
Susanne Serfling

Waltraute
Anja Jung

Erste Norn
Elisabeth Hornung

Zweite Norn
Erica Brookhyser

Dritte Norn
Susanne Serfling

Woglinde
Margaret Rose Koenn

Wellgunde
Erica Brookhyser

Floßhilde
Gae-Hwa Yang

Wotan
Ralf Lukas

Loge
Frank Koch

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Darmstadt
(Homepage)



Da capo al Fine

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