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Spannungsbögen zwischen Innovation und Tradition
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt, Fotos zu Agon: © The George Balanchine Trust
Kurz vor der hier besprochenen Aufführung hat der Duisburger Stadtrat beschlossen: Die Theatergemeinschaft mit Düsseldorf wird nicht, wie angedroht, aufgekündigt; allerdings wird die Stadt Duisburg ihren finanziellen Anteil um rund 1 Million kürzen. An welcher Stelle dieser Betrag eingespart wird, das muss letztendlich das Theater selbst entscheiden; dahinter steht aber wohl das Gedankenspiel, zwar die Opernliäson fortzusetzen, sich aber von Martin Schläpfers Ballett am Rhein zu trennen. Künstlerisch weitsinnig gedacht wäre das ganz sicher nicht, denn das würde die Duisburger um den ungleich vitaleren Teil der Theaterehe bringen: Präsentiert die etwas profillose Oper zwar manches Ordentliche (gerade einen veritablen Don Giovanni), aber nichts Herausragendes - Schlachtrösser des Repertoires wie Wagner, Verdi, Strauss werden in der laufenden Saison in unverständlich weitem Bogen umgangen -, so spielt Schläpfers Compagnie erfolgreich in der Champions League des Tanztheaters. Inside (Foto © Gert Weigelt)
Ob sich die Entscheidungsträger wohl zuvor die Premiere des Ballettabends b.12 angesehen haben (wozu sie freilich nach Düsseldorf hätten fahren müssen)? Da lässt sich erleben, wie Schläpfer hohen künstlerische Anspruch auf exzellentem Niveau einlöst. Vier Ballette von vier verschiedenen Choreographen, darunter eine Uraufführung, zeigen die Bandbreite seiner Tätigkeit (wobei sich Schläpfer nach wie vor den bei vielen geliebten großen Handlungsballetten verweigert). Mit Werken von Hans van Manen und George Balanchine treibt er die Bildung eines Repertoires jenseits des Kanons eigener Ballette voran, was nicht nur den Blickwinkel erweitert, sondern auch die eigenen Arbeiten klug verortet. Das mag mitunter sperrig sein, nicht immer ganz leicht zu konsumieren aber ist nicht genau das (auch) städtischer Kulturauftrag? The Old Man and Me: Marlúcia do Amaral, Martin Schläpfer (Foto © Gert Weigelt) Den Auftakt des Abends bildet mit Inside ein quirliges, unbeschwertes Ensemblestück, das hier seine Uraufführung erlebt. Choreograph ist Antoine Jully, selbst Tänzer im Ensemble des Ballett am Rhein. Im Prolog des etwa halbstündigen Stückes sieht man einen Maler (getanzt von Martin Chaix) in komischer Verzweiflung an seinem Ateliertisch um Eingebungen ringen; zur elegischen Musik eines Violinkonzerts des Letten Peteris Vasks trägt er eine Tänzerin von der Seitenbühne herbei und führt sie wie einen Pinsel über die Fläche was als Initialzündung für den Hauptteil fungiert. Als Musik verwendet Jully hier das schmissig-jazzige Cappriccio für Violoncello und Orchester von Jan Novak, komponiert 1958. Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Dante Anzolini treffen den Tonfall dieser Musik recht ordentlich. Zunächst betreten nacheinander vier Gruppen die Bühne, die den Farben gelb, blau, rot und grün zugeordnet sind (das zeigt sich aber nur ganz dezent in den vorherrschend weißen Kostümen, die Jully wie auch Bühne und Video - selbst entworfen hat.) Mit einer Fülle von Einfällen da radelt unter anderem ein Hochradfahrer vor einer (letztendlich doch überflüssigen) Videoprojektion über die Bühne, und auf dem Höhepunkt rollen knallbunte Sitzbälle herein, auf denen es sich munter hüpfen lässt - ist das Geschehen doch etwas überfrachtet und allzu verspielt. Dennoch hat die Choreographie ihren eigenen Charme und ist keineswegs nur unter dem Aspekt der Nachwuchspflege sehenswert. Lontano: Yuko Kato, Sonny Locsin, Maksat Sydykov (Foto © Gert Weigelt)
In starkem Kontrast dazu steht das Zwei-Personen-Stück The Old Man and Me (der Titel leitet sich ab von einem Song von J.J. Cale), das Hans van Manen 1996 für Sabine Kupferberg und Gérard Lemaitre vom Nederlands Dans Theater III kreiert hat und das hier, das ist der Clou der Produktion, von Martin Schläpfer persönlich getanzt wird, gemeinsam mit der durch und durch grandiosen Marlúcia do Amaral. Erzählt wird die Geschichte eines Paares, von der ersten Begegnung bis zur Trennung nach langer Zeit, und da hat jedes noch so kleine Detail seine Funktion, von der kleinsten Geste über Mimik bis zur Körperhaltung nichts, was zufällig oder gar überflüssig wäre. Schläpfer überlässt seiner Partnerin mit gelassener Souveränität den Vortritt, entwickelt in diesem gelassenen Understatement aber große Spannung. Strawinskis amüsante Circus Polka müsste vom Orchester mit mehr rhythmischer Härte und noch viel mehr Präzision gespielt werden; das abschließende tieftraurige Adagio aus Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV488 ist in seiner schmucklosen Melancholie ein gefährliches Stück, bei dem es auch auf jede Nuance ankommt die Pianistion Cécile Tallec bleibt da doch ziemlich neutral im Ausdruck. Van Manens meisterhafte Choreographie, die bei allem Humor im Detail einen trauernden Grundton hat, gehört ganz sicher zum allerbesten, was Schläpfer mit seinem Ballett am Rhein bisher gezeigt hat. Agon: Marcos Menha, Claudine Schoch (Foto © The George Balanchine Trust)
Als eigene Choreographie steuert Schläpfer mit Lontano zur Musik von György Ligeti das mit knapp 15 Minuten kürzeste Ballett des Abends bei. Entworfen 2009 für Het Nationale Ballett Amsterdam sollte es Balanchines und Strawinskys Agon (von 1957) gegenüber gestellt werden, wozu es seinerzeit wegen einer Spielplanänderung nicht kam was Schläpfer jetzt in Düsseldorf spannungsreich nachholt. Mit zwei Dreiergruppen aus je zwei Tänzern und einer Tänzerin greift Schläpfer Balanchines Formenstrenge auf, wenn auch in musikalisch denkbar anderem Kontext. Anders als Strawinskis kleinteilige, durchbrochene Musik (die vom Düsseldorfer Orchester nuancen- und klangfarbenreich interpretiert wird) ist Lontano eine große, rhythmisch kaum konturierte Klangfläche. Schläpfer betont das durch langsame Bewegungsabläufe, die große Kraftanspannung deutlich machen das dürfte an Geschmeidigkeit aber noch zunehmen, um dem weitgehend bruchlosen Fluss der Musik zu entsprechen. Agon: So-Yeon Kim, Alexandre Simões, Doris Becker (Foto © The George Balanchine Trust)
Mit Balanchines Agon zeigt Schläpfer einen der Klassiker des modernen Balletts. Strawinskys altersweise abgeklärter, auf das Wesentliche reduzierter Kompositionsstil ist von Balanchine mit bestechender Schönheit aufgenommen. Die zwölfteilige Musik wird von einer Gruppe von 12 Tänzern - vier Paare, vier Tänzerinnen in außerordentlich konzentrierter Weise umgesetzt. Bei gerade einmal 20 Minuten Gesamtdauer sind die einzelnen Teile sehr knapp, in der Musik fast immer durchbrochen von Instrument zu Instrument wandernd, im Tanz durch zeitlich leicht versetzte Bewegungsabläufe widergespiegelt. Das alles wirkt, bei allen technischen Schwierigkeiten, sehr leicht, sehr elegant, in seiner Sachlichkeit von allem Ballast befreit. Agon ist natürlich auch neoklassisches Kind seiner Zeit, hat ein anderes, auch konventionelleres Ideal als die anderen Werke dieses gelungenen Abends und doch ist die Wirkung beim Sehen und Hören frappierend. So endet b.12 nicht auftrumpfend, sondern mit einer durch und durch abgeklärten Geste.
Nicht zuletzt um Martin Schläpfer selbst tanzen zu sehen, sollte man diese Produktion keinesfalls versäumen: Ein genial konzipierter Ballettabend, der große Choreographien von Hans van Manen und George Balanchine ins Düsseldorf-Duisburger Repertoire holt und in ein inspirierendes Spannungsverhältnis zu den Arbeiten Schläpfers und Jullys setzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Violine
Violoncello
Klavier Inside
Choreographie, Bühne,
Licht Tänzerinnen und TänzerSachika AbeAnn-Kathrin Adam Camille Andriot Doris Becker Mariana Dias Feline van Dijken Cristina Garcia Fonseca Ann-Kathrin Adam Yuko Kato So-Yeon Kim Nicole Morel Louisa Rachedi Christian Bloßfeld Paul Calderone Martin Chaix Florent Cheymol Marquet K. Lee Sonny Locsin Bruno Narnhammer Bogdan Nicula Alexandre Simões Remus Sucheana Jackson Carroll Maksat Sydykov The Old Man and Me
Choreographie
Einstudierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Einstudierung
Licht |
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