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Hinter verschlossenen Türen
Von Joachim Lange
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Fotos Bernd Uhlig
Giuseppe Verdis Trovatore ist nun wirklich eins von den Blut- und Rache-Stücken, die musikalisch niemanden kalt lassen. Und die sich mit einer Hand voll exzellenter Sänger und einer Variante von historischer Folklore nahezu von selbst spielen. Seit über 150 Jahren gehört diese extrem brutale Geschichte mit Tod auf dem Scheiterhaufen, Kinder- und Brudermord zum Kern des gutbürgerlichen Opernkanons. Vor allem die Leidenschaften aus dem Graben lodern da nicht nur, wenn Marc Minkowski, wie jetzt in der Brüsseler Oper La Monnaie, am Pult steht. Dieser längst nicht mehr nur mit seinen Interpretationen von barocken Opernschmuckstücken Furore machende Dirigent deckt die Abgründe der Partitur auf, hat aber auch den großen Bogen und seine Protagonisten stets im Blick. Diesmal gilt das ganz wortwörtlich auch für den Chor, denn der marschiert bei Bedarf im Graben unmittelbar hinter den Musikern auf. Auf der Bühne ist dafür nämlich in der Inszenierung des Russen Dmitri Tcherniakov rein räumlich, aber auch inhaltlich kein Platz. Da gehört der Chor zur inneren Stimme der Erinnerung, mit der seine Protagonisten auf der Bühne beschäftigt sind. Alles fängt scheinbar harmlos als Familientreffen an
Die ebenfalls vom Regisseur entworfene Bühne ist ein hochherrschaftliches Foyer im Stile des vorvorigen Jahrhunderts. Eine leer stehende Nobelimmobilie mit holzgetäfelten, warm roten Wänden, Gängen, Türen und verborgenen Kammern. Und so, wie hier nach und nach Besucher (die geradewegs von der Straße kommen könnten) auftauchen, könnte es sich um eine Besichtigung handeln. Doch wenn die Musik einsetzt, schließt die herausgeputzte, offenbar einladende ältere Dame die Eingangstür einfach ab. Schnell wird klar: wir befinden uns auf einem Familientreffen der besonderen Art. Im Laufe des Abends gibt's hier aber kein Menü, denn mehr als eine Flasche Rotwein und paar Büchsen Bier sind nicht im Haus. Dafür kommen jede Menge schwer verdauliche Erinnerungen auf den Tisch. Bis am Ende alles zusammenbricht. Was wie ein Überraschungs-Dinner beginnt, endet nämlich in einer totalen Katastrophe. Wenn sich alle gegenseitig oder selbst umgebracht haben, ist das für Azucena die Rache dafür, dass ihre Mutter einst auf dem Scheiterhaufen verbrannt und sie selbst in blindem Rache-Wahn ihr eigenes Kind in Feuer warf, um das ihres Feindes aufzuziehen. Luna wird immer nervöser
Tcherniakov projiziert die Rivalität der beiden, nichts von der Existenz des jeweils anderen wissenden Brüder Graf Luna (Scott Hendricks) und Manrico (Misha Didyk) um Leonora (Marina Poplavskaya) und das weit zurückliegende Scheiterhaufen-Trauma Azucenas (Sylvie Brunet-Grupposo) als archaisch brodelnden Untergrund unter die dünne Decke bürgerlich domestizierender Beziehungen. Die hält, bei der Vorgeschichte, natürlich nicht lange stand. Denn als Azucena mit vorbereiteten Zetteln und Dokumente aus dem verschlossenen Schmuckkästchen einen Prozess kollektiver Erinnerung in Gang setzt, wird vor allem Luna zunehmend nervöser. Bis er schließlich die Waffe in der Hand hat und zum gewalttätigen Geiselnehmer wird. Azucena, Manrico, Ferrando und Leonora in der Gewalt von Luna
Der eindrucksvolle Bariton Scott Hendricks macht daraus eine faszinierende Studie des Verfalls und der Selbstzerstörung einer Persönlichkeit, der vor allem Sylvie Brunet-Grupposo eine mezzogewaltige Azucena entgegensetzt, der ihre Art von Vergangenheitsbewältigung aus dem Ruder läuft. Was vielleicht sogar kalkuliert war. Misha Didyk gewinnt als Manrico zunehmend an Strahlkraft und Sicherheit, und auch Marina Poplavskaya überzeugt, trotz einiger Schärfen, als Leonora, während Giovanni Furlanetto mit seinem dienernden Ferrando solide diese verhängnisvolle Abendgesellschaft komplettiert. Manrico, Luna, Azucena: die Katastrophe ist perfekt
Dass der Fluch der Vergangenheit und der Kampf der Brüder, die nichts voneinander wissen, um die gleiche Frau zwischen diese Wände verbannt werden, engt die ausladende Geschichte zwar ein. Durch die präzise Personenführung werden die verinnerlichten Obsessionen und Traumata freilich auch zum Treibsatz für ein eskalierendes Kammerspiel. In Brüssel wurde das einhellig bejubelt.
Marc Minkowski und Dmitri Tcherniakov gelingt in Brüssel eine ungewöhnliche, gleichwohl faszinierende neue Sicht auf Verdis Trovatore. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Il Conte di Luna
Manrico
Azucena
Leonora
Ferrando
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