Fernöstliches Kolorit in unterkühlter Atmosphäre
Von Thomas Molke
/
Fotos von Lilian Szokody
Dass Léo Delibes' Oper Lakmé nicht zu den vergessenen Schätzen der
Opernliteratur gehört, verdankt sie vor allem dem in zahlreichen Werbespots und
Wunschkonzerten präsentierten Blumenduett "Sous le dôme épais" in
dem die Titelheldin gemeinsam mit ihrer Dienerin Mallika die Schönheit der Natur
im heiligen Garten des Brahmanen Nilakantha besingt. Das komplette Werk ist
jedoch eher selten auf den Spielplänen zu finden, so dass man diese szenische
Koproduktion der Oper Bonn mit dem Opéra-Théâtre de Metz Métropole durchaus als
Rarität bezeichnen kann. Warum dieses Oeuvre trotz seiner wunderschönen Melodien
nicht den Sprung ins gängige Repertoire geschafft hat, mag vor allem den
Schwächen des Librettos angelastet werden, da der Titelfigur anders als Puccinis
21 Jahre später komponierten Madama Butterfly eine dramatische
Entwicklung auf dem Weg zum Selbstmord verweigert wird.
Lakmé (Miriam Clark, rechts) und Mallika (Kathrin
Leidig, links) beim berühmten Blumen-Duett, beobachtet von den englischen
Besatzern hinter der Stellwand.
Lakmé ist die Tochter des Brahmanen Nilakantha, eines Mitglieds
der obersten Kaste der Hindus in Indien, und wird von ihrem Vater in seinem
Refugium streng vor der Außenwelt und den britischen Besatzern abgeschirmt.
Dennoch gelangen die britischen Offiziere Gérald und Frédéric zusammen mit
Géralds Verlobten Ellen, deren Cousine Rose und der Gouvernante Mistress Bentson
in Nilakanthas verborgenen Garten. Gérald trifft dort auf Lakmé und entbrennt in
leidenschaftlicher Liebe zu ihr. Mit Mühe kann Lakmé ihn vor ihrem Vater
verbergen, doch Nilakantha hat bemerkt, dass ein Fremder sein heiliges Refugium
entweiht hat, und schwört, Rache zu nehmen. Als Bettler verkleidet zwingt er
seine Tochter auf dem Marktplatz zu singen, weil er hofft, dass der unbekannte
Fremde sich beim Gesang Lakmés zu erkennen gibt. Nachdem er Gérald ausfindig
gemacht hat, verletzt er ihn schwer. Doch Lakmé gelingt es, den Geliebten zu
retten und in einer Bambushütte zu verstecken. Dort muss sie aber erkennen, dass
Gérald seine Soldatenehre und seine Verlobte Ellen für sie nicht aufgeben kann,
und nimmt Gift. Bevor sie stirbt, trinkt sie mit Gérald vom Wasser der heiligen
Quelle, um ihn so vor der Rache ihres Vaters zu schützen.
Lakmé (Miriam Clark) und Gérald (Alexandru Badea)
gestehen sich ihre Liebe.
Während die Kostüme von Giovanna Fiorentini recht klassisch
gehalten sind und das Weiß der britischen Besatzer in starkem Kontrast zu den
farbenfrohen Gewändern der Inder steht, entzieht sich das Bühnenbild von Benoît
Dugardyn der sentimentalen Postkartenidylle des fernen Indiens und zeigt
keinerlei fernöstliche Botanik, sondern besteht lediglich aus hohen Stellwänden,
die mit den kassettenförmigen geometrischen Mustern an Garten-Pavillons
erinnern. Zum einen rahmen diese Stellwände die ganze Bühne ein und erzeugen
eine Art Minikosmos. Zum anderen trennen drei hohe drehbare Stellwände in der
Mitte die einheimische indische Kultur von der ihrer britischen Besatzer. So
singt Lakmé mit ihrer Dienerin Mallika das Blumen-Duett vor der Stellwand,
während eine britischen Gruppe hinter der Stellwand die beiden beobachtet. Durch
Drehen dieser Stellwände wird der Raum nach vorne hin eingeengt, wenn zum
Beispiel Nilakantha seine Tochter zwingt, gegen ihren Willen auf dem Markt zu
singen, oder nach hinten hin geöffnet, wenn die britischen Besatzer die
Tänzerinnen auf dem Markt beobachten. Durch Einsatz der Drehbühne können diese
drei Elemente auch als Gesamtheit gedreht werden. So werden die Stellwände im
dritten Akt erstmalig schräg aufgestellt, wenn Lakmé gemeinsam mit Gérald von
einer gemeinsamen Zukunft in der versteckten Bambushütte träumt. Erst die
aufblitzenden Bilder von Ellen und Frédéric machen diesen Traum zunichte und
führen dazu, dass nach Lakmés Freitod die Stellwände wieder eine deutliche
Trennung in vorne und hinten vornehmen und die englische Reisegruppe wie zu
Beginn die Einheimischen durch diese Wand beobachtet.
Der indische Marktplatz scheint für die britische
Teeparty von Ellen (Julia Kamenik, links), Mistress Bentson (Anjara I. Baartz,
Mitte) und Rose (Charlotte Quadt, rechts) nicht so geeignet zu sein (um die
Gruppe herum: Chor und Statisterie des Theater Bonn).
Paul-Emile Fourny, der in Zukunft die künstlerische Leitung des
Opéra-Théâtre de Metz Métropole übernehmen wird, misstraut in seiner
Personenregie innigen Gefühlswallungen und lässt die Protagonisten im
Zusammenspiel recht statisch agieren. So gesteht er Lakmé und Gérald in ihrem
großen Liebesduett am Ende des ersten Aktes im Gegensatz zur Musik kaum ein
Zusammenspiel zu, sondern lässt sie meist in gewissem Abstand ihre Liebe
zueinander besingen. Die Beteuerungen der beschworenen ewigen Liebe sind, wie
sich später herausstellen wird, nur bloße Worthülsen. Erst im letzten Akt dürfen
die beiden sich nahe kommen, bevor dann der kurze Moment des Glücks wieder
zerstört wird. Der Freitod Lakmés wird in Fournys Inszenierung recht abstrakt
angedeutet. So sinkt sie am Ende keineswegs tot zusammen, sondern erhebt sich
wieder und bleibt wie eine Statue stehen, was insofern zum Text passt, als dass
Nilakantha feststellt, dass seine Tochter durch das Wasser der heiligen Quelle
in das ewige Leben eingegangen ist. Wieso sich allerdings Gérald im zweiten Akt,
bevor er von Nilakanthas Anhängern niedergestochen wird, wie ein Verletzter
krümmt, bleibt unverständlich. Vielleicht soll damit sein innerer Kampf zwischen
Gefühlen für Lakmé und seinem Pflichtgefühl der britischen Krone gegenüber
angedeutet werden.
Gérald (Alexandru Badea, links) und Nilakantha
(Renatus Mészár, Mitte) müssen hilflos mit ansehen, wie Lakmé (Miriam Clark,
vorne) stirbt (im Hintergrund: Hadji (Charles Prat) und Mallika (Kathrin
Leidig)).
Musikalisch ist die Oper ein Bravourstück für eine Sängerin. Und
die junge Sopranistin Miriam Clark, die seit Dezember auch als Norma in Dortmund
glänzt (siehe auch unsere Rezension) verfügt über
eine Stimme, die durchaus mit den namhaften Interpretinnen dieser Partie
mithalten kann. So erntet sie für die koloratur-gespickte Glöckchen-Arie im
zweiten Akt, in der sie auf dem Marktplatz die Legende von der Tochter des
Parias besingt, die mit einer Zauberglocke einen geliebten Fremden vor den
wilden Tieren beschützt, minutenlangen Applaus. Mit welcher Akkuratesse sie die
einzelnen Koloraturen ansetzt, ohne dabei zu forcieren oder die Töne zu
verschleifen, und auch die Höhen mit scheinbarer Leichtigkeit trifft und halten
kann, rechtfertigt bereits allein einen Besuch der Aufführung. Das berühmte
Blumenduett legt sie mit Kathrin Leidig als Mallika mit großen lyrischen Bögen
an und erzeugt im harmonischen Zusammenspiel mit Leidig eine regelrechte
Gänsehaut. Mit ihrem großen warmen Sopran füllt Clark die Titelpartie so
inniglich aus, dass ihr Gesang allein die nüchtern gehaltene Inszenierung
vergessen lässt. Ihr zur Seite steht mit Alexandru Badea ein Tenor, der in der
anspruchsvollen Rolle des Gérald durchaus mithalten kann. So weiß auch er im
Liebesduett mit Clark stimmlich zu glänzen. In den kleineren Partien überzeugt
vor allem Renatus Mészár als Nilakantha mit kräftigem Bass.
Stefan Blunier führt das Beethoven Orchester Bonn mit
schwelgerischer Leichtigkeit durch die magischen Melodienbögen und lässt das
Publikum in eine fernöstliche Fantasiewelt eintauchen. Der von Sibylle Wagner
einstudierte Chor der Oper Bonn meistert seine anspruchsvolle Aufgabe ebenfalls
hervorragend. Natürlich darf bei Delibes auch die Balletteinlage nicht fehlen.
So vermitteln auch Stephanie Blasius, Raquel López Ogando und Nora Vladiguerov
als indische Tänzerinnen in einer Choreographie von Elodie Vella in den drei
Tanzeinlagen des zweiten Aktes auf dem Marktplatz indisches Flair. Am Ende gibt
es für alle Beteiligten lang anhaltenden und verdienten Applaus, auch das
Regieteam erntet beim Premierenpublikum nur Zustimmung.
FAZIT
Wer mehr von dieser zauberhaften französischen Oper kennen lernen möchte als das
Blumen-Duett, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, diese
musikalisch überzeugende Produktion in Bonn zu besuchen. (Weitere Termine: 4.,
8. und 25.2.2012, 22.3.2012, 13. und 20.4.2012, 12.5.2012 und 1.6.2012 jeweils
um 19.30 Uhr, 18.3.2012 um 16.00 Uhr und 1.4.2012 um 18.00 Uhr)
Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)