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Neubesichtigung eines MeisterwerksVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Die Uraufführung des Fernen Klang machte Franz Schreker quasi über Nacht zu einem, wenn nicht dem angesehensten Opernkomponisten Deutschlands. In einer Zeit des ästhetischen Umbruchs scheint das Werk den Kunst-Nerv der Zeit getroffen zu haben, die noch unentschlossen zwischen den Ausläufern der Romantik und den Verkündern einer dissonanten Moderne wie Schoenberg oder Strawinsky schwankte. Mit Krenek, Hindemith und Weill sollte kurz darauf auch die Zeitoper mit ihrem entpathetisierten unmittelbaren Gegenwartsbezug Einzug in die Musentempel halten. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Der ferne Klang auch inhaltlich: Der zeitgenössische Komponist Fritz verlässt auf der Suche nach einem geahnten fernen Klang seine Geliebte Grete, wobei ihn nicht nur künstlerischer Idealismus, sondern auch der pragmatische Wunsch nach Ruhm und Reichtum antreibt. Gretel, von ihrem überschuldeten Vater verhökert, endet als Prostituierte und wird von Fritz verstoßen. Am ende seines Lebens treffen sie sich wieder und er erkennt in ihr seine Muse, die ihm den fernen klang realisieren und seine Oper erfolgreich beenden lassen könnte, aber er stirbt in ihren Armen. Verkompliziert wird das Künstlerdrama durch die schwierige Rolle der Sexualität, die nicht nur Parsifal lässt freundlich grüßen als unrein abgelehnt, als für den Schaffens- und Erfahrensprozess naturnotwendig ist. Grete wird von ihrem Vater und dessen Saufkumpanen zur Ehe mit dem Wirt gezwungen, der aber eher Zuhälterei als gutbürgerliche Eheführung im Sinn hat
Welche narkotisierende Wirkung die überaus raffinierte Partitur auf das Uraufführungspublikum gehabt haben muss, lässt sich bei der Bonner Neuproduktion am unmittelbarsten am durch und durch grandios gelungenen Orchesterpart nachvollziehen. Was Will Humburg am Pult des über sich hinaus wachsenden Beethoven Orchesters an flirrenden Klangflächen hörbar macht, das rückt das Werk in die reihe der ganz großen Opernpartituren des 20. Jahrhunderts und entfaltet eine Binnenspannung, der man sich nicht entziehen kann. Klanglich spektakulär gelöst ist dabei die collagenhafte Montage im zweiten Akt, wenn sich (in einem venezianischen Edelbordell, in dem Fritz und Gretel aufeinander treffen) diverse Klangschichten überlagern neben Chor, Solistenensemble und Orchester noch zwei Bühnenorchester. Die Szene schwappt in den Zuschauerraum über, und was sonst schnell zum szenischen Mätzchen der Regie wird, bildet hier ein höchst eindrucksvolles Klangerlebnis, das im Zentrum der Oper steht und eine Art Symmetrieachse bildet, das aber auch den kraftvollen Hintergrund schafft, von dem sich der mehr intime und introvertierte dritte Aufzug mit seinen am Ende entrückten Klängen sehr schön abhebt. Dass Humburg neben so viel Klangzauberei auch noch sehr sensibel die Sänger begleitet und nie zudeckt, macht die Orchesterleistung nahezu perfekt. Auf der Flucht vor dem Bräutigam entdeckt Grete in der Natur ihre Sexualität
Gesungen wird nicht ganz so glanzvoll, aber doch sehr achtbar. Wegen einer Erkrankung konnte Michael Putsch den Fritz nur spielen, von der Seite sang der kurzfristig eingesprungene Mathias Schulz (der in dieser Partie schon am Theater Augsburg auf der Bühne gestanden hat) ausgesprochen differenziert und durchdacht in der Gestaltung; seinem nicht sehr großen Tenor fehlt es ein wenig an Glanz in der (sicheren) Höhe, die der Künstlerfigur natürlich gut anstünde. Ingeborg Greiner geht mit der Partie der Gretel einmal mehr bis an die Grenzen ihres mehr jugendlichen als hochdramatischen Soprans, und hier und da fehlen dann doch die Reserven, um wirklich aufzutrumpfen. Dafür singt sie trotz kräftigen Vibratos sehr kontrolliert und sehr intensiv. Frank van Hove als sehr markanter, pointiert artikulierender und singender Wirt und Zuhälter, Renatusz Mészár als Dr. Vigelius und Grete liebestoll anschmachtender Graf mit vielen Zwischentönen und Giorgos Kanaris als stimmgewaltiger und präsenter Schauspieler sind hervorragende Besetzungen. Chor und Extrachor (Einstudierung: Sibylle Wagner) zeigen sich in stimmlich prachtvoller Verfassung. Als "bella Greta" ist Grete Edelkurtisane in Venedig
So imponierend der Höreindruck, so disparat bleiben die szenischen Eindrücke. Der Regieansatz, das Erleben psychologisch als Aufspaltung der Persönlichkeit Gretes zu deuten, den der Regie führende Intendant Klaus Weise offenbar ins Auge fasst das entnimmt man mehr dem Programmheft und dem Einführungsvortrag der Dramaturgin Janine Ortiz als dem sehr unscharf inszenierten Bühnengeschehen ist ungeachtet ihrer Plausibilität wohl mit die uninteressanteste Lesart des Werkes, stellt sie das Geschehen als ein individuell pathologisches dar angesichts der autobiographischen Momente der Handlung (Schreker verfasste das Libretto selbst) übrigens auch kein sehr starkes Argument für den Komponisten. Was aber immer er wollte, Weise verzettelt sich in den diversen Fäden, die er auswirft, aber nicht annähernd schlüssig verweben kann. Da gibt es vier Beleuchtungstürme, die offenbar einen distanzierenden Verfremdungseffekt bewirken sollen, was aber ohne weitere Bedeutung bleibt. Da deuten zunächst die (ziemlich unansehnlichen) Kostüme (Dorothea Wimmer) auf einen bürgerlich-biederen Kontext hin es gibt sogar einen Kaninchenstall mit lebenden Tieren, aber wozu? - aber auch das wird nicht weiter aufgegriffen. Der Mittelakt ist eine bunte Revue mit miserabler Choreographie, wenn man das Beinkreiseln überhaupt als solche bezeichnen möchte (Miguel Angel Zermeño). Leider wird auch noch die Grete, die doch als Edelkurtisane hinreißend schön sein soll, als übertrieben blondes Pummelchen ausgestellt. Das Ende: Fritz stirbt in Gretes Armen
Klangbeispiel:
Orchestervorspiel
Klangbeispiel:
aus dem ersten Akt - Grete (Ingeborg Greiner)
Eine handfeste Idee wird daraus an keiner Stelle. Am besten gelingt der Schlussakt, ein zurück genommenes Kammerspiel, in dem Weise noch einmal den Baum zeigt, unter dem Grete im ersten Akt ihr sexuelles Erweckungserlebnis hatte da passen immerhin die Bilder stimmungsvoll zur Musik. Ob die offenbar einem ornithologischen Lehrwerk entnommenen Bilder von Vögeln, die am Ende vom Schnürboden herabgelassen werden, ein Verweis auf Olivier Messiaen und dessen auskomponierte Vogellaute sein sollen und damit auf eine Lösung des in der Oper abgehandelten Künstlerproblems sein sollen? Unberechtigt sind die Buh-Rufe für die Regie, die sich in den ansonsten einhelligen Premierenjubel mischten, jedenfalls nicht.
Eine schlüssige szenische Interpretation oder wenigstens eine angemessene Bebilderung bleibt die Regie über weite Strecken schuldig. Trotzdem sollte man sich der überwältigenden Musik wegen diesen fernen Klang nicht entgehen lassen. Der musikalisch glanzvolle Abend ist vor allem der Großtat von Dirigent Will Humburg und dem Beethoven Orchester zu verdanken, mit kleineren Abstrichen auch den Sängern. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreografie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Grete, Greta, Tini
Fritz
Chevalier / Individuum
Schmierenschauspieler
Dr. Vigelius / Graf
Altes Weib/Spanierin/Kellnerin
Graumann
Seine Frau
Wirt / Baron / Rudolf
Mizzi
Milli
Mary
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