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Musiktheater
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Peter Grimes

Oper in drei Akten und einem Vorspiel
Libretto von Montagu Slater
Musik von Benjamin Britten   



In englischer Sprache mit deutschen Übertexten   

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40'  (eine Pause)   

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 11. Februar 2012
 


Logo: Theater Bielefeld

Theater Bielefeld
(Homepage)

Geschlossene Gesellschaft

 Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Kai-Uwe Schulte-Bunert


Eigentlich dominiert ein riesiges Scheunentor das Bühnengeschehen. Seine Flügel nehmen die gesamte Raumbreite in Beschlag, trennen die Außen- von der Innenwelt und können nur unter großer körperlicher Anstrengung vieler immer wieder geschlossen werden.
Was zu Beginn der jüngst in Bielefeld Premiere feiernden Britten-Oper die Pub-Szene strukturiert, könnte man zum Zeitpunkt dieser ersten Szene des zweiten Aktes noch für das Vor-Augen-Führen der musikalischen Illustration des an der Küste tosenden Unwetters halten. Schritt für Schritt, Szene für Szene rückt es näher und  entpuppt sich immer mehr als Schlüssel, um die Subtexte dieser meistgespielten, immer aktuellen Britten-Oper zu verstehen.

SzenenfotoUnter Hobsons Trommelschlägen formiert sich das Dorf zum Marsch auf Grimes

Im Juni 1945 bei Sadler's Wells, dem heutigen Londoner English National Opera House, uraufgeführt, greift die Peter Grimes  nicht nur die 1810 entstandene poetische Vorlage der Oper auf, in der der anglikanische Geistliche George Crabbe ein an die Lebensumstände Oliver Twists erinnerndes Zeitgemälde des beginnenden 19. Jahrhunderts und ostenglischen Fischerortes Aldeburgh malt. Zugleich wird hier alptraumatisch das Seelengemälde eines gesellschaftlichen Außenseiters gezeichnet. Sein Lebensplan, möglichst viel und hart zu arbeiten, um die verwitwete Dorfschullehrerin Ellen Orford standesgemäß heiraten zu können, scheitert. Schlimmer noch. Vom Vorwurf des Mordes an seinem ersten Lehrling wird Grimes zwar von Bürgermeister Swallow öffentlich frei gesprochen, doch die Dorfgemeinschaft isoliert ihn. Zugleich ist Grimes wilder, von Selbstzweifeln und Schuldvorwürfen gezeichneter Charakter nicht in der Lage, sich auf eine Beziehung einzulassen, Rat und Hilfe von Ellen anzunehmen.

Regisseurin Helen Malkowsky rückt in ihrer Inszenierung auch die Auswirkungen der gescheiterten Liebesbeziehung auf die weibliche Hauptrolle ins Blickfeld: Während in der letzten Szene die Öffentlichkeit mit Presseaufmachern wie "Murder or accident", "Grimes (not) guilty" zur Diskussion aufgefordert wird und der Protagonist auf Anraten Balstrodes aufs Meer hinausfährt und langsam in den Bühnenboden versinkt,  wandert sich Ellen in weißem Nachtgewand, barfüßig, mit gesenktem Blick und wirrem Haar in den Schlaf.

Zu diesen ausgewogenen, soziokulturellen Studien der Regisseurin gehören auch Bilder, die die Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft verdeutlichen, z.B. die Bilder zur familiären, oft auf Gewalt basierenden Erziehungsauffassung der Eltern im ersten Akt bzw. die Auswirkungen auf das freie Spiel der Kinder vor dem Kirchgang oder die von Torben Jürgens anrührend dargestellte Charakterstudie des angstbesetzten Hobson.

Szenenfoto  Im Prolog steht Grimes vor dem Dorfgericht

Passend dazu setzt Saskia Wunsch -abgesehen vom Scheunentor - verschiedene Bühnenebenen ein und deutet mit Hafenmauer, Kirchenglocke und einem den Blick in den Abendhimmel und ruhiger See öffnenden Bühnenprospekt die jeweiligen Spielorte an. Die schlichten Kostüme in blassen Grau-, Braun- oder Blautönen spiegeln die düstere Atmosphäre der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit.

Malkowsky gelingt vor allem in den Szenen des ersten Aktes eine ästhetische, choreografisch ausgefeilte Gestaltung der Massenszenen, bei der die Bedrohung der Öffentlichkeit geradezu fühlbar wird, rezitativische und ariöse Abschnitte, Chöre und Ensembles nahtlos ineinandergreifen und die dramatische Spannung von Anfang an erhalten bleibt. Dass dieser Spannungsbogen nach der Pause nicht ganz erhalten bleibt, mag der Tatsache geschuldet sein, dass Britten im zweiten und dritten Akt auch das innerdörfliche Beziehungsgeflecht von Gewalt, Kinderarbeit und Doppelmoral näher beleuchtet. Die vermögende, Schlaftabletten süchtige Witwe Mrs. Sedley verharmlost bei Malkowky allerdings zu einer lächerlich wirkenden Miss Marple, die Nichten der Pubbesitzerin Auntie sind Schottenrock gewandete, junge Mädchen mit leuchtender Federboa.

Auch musikalisch ist die Bielefelder Inszenierung ein Genuss. Zu einem transparent aufspielenden, klangfarbenreich illustrierenden und spannungsreich gestaltenden Orchester gesellen sich ein textverständlich und in variantenreicher, manchmal bis zum Flüsterton ersterbender Dynamik singender, geradezu tänzerisch anmutende  Massenbewegungen ausführender, homogener Chor und ein großes, passend besetztes, textverständlich artikulierendes Solistenensemble, das unter der Leitung Alexander Kalajdzics zu Höchstleistungen auflief.

SzenenfotoDer Schein trügt. Grimes will fischen, Ellen mit dem Jungen den Sonntag genießen.

Allen voran Peter Bronder in der Rolle des Peter Grimes. Wie er mit ausgewogenem, klaren  Stimmklang bruchlos zwischen den Registern spielt, in höchster Höhe die Arie Now the Great Bear and Pleiades ansetzt und lyrisch anrührend gestaltet, wie er kraftvoll und doch ohne Übertreibung die selbstzerstörerischen Charakterzüge darstellt, immer den musikalischen Spannungsbogen aufrecht erhält, ist einem Peter Pears, dem langjährigen Lebensgeführten Benjamin Brittens und Erstinterpreten der Titelpartie, ebenbürtig. An seiner Seite gibt Sarah Kuffner mit klangvollem, warmem, dunkel gefärbtem Timbre mal dramatisch gefärbt mal lyrisch schwingend den weiblichen Kontrapunkt Ellen Orford. Jacek Strauchs ausgeglichener, tragfähiger Bariton verkörpert einen kraftvollen, Autorität ausstrahlenden ehemaligen Kapitän, Ceri Williams ist eine klangvolle, tiefgründig dramatisch schwingende Auntie.


FAZIT

Eine sehr stimmige, sehens- und hörenswerte Inszenierung.       



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic   

Inszenierung
Helen Malkowsky    

Bühne
Saskia Wunsch   

Kostüme
Henrike Bromber      

Choreinstudierung
Hagen Enke

Dramaturgie
Jón Philipp von Linden

Licht
Gregor Fritz


Bielefelder Opernchor

Extrachor des Theater Bielefeld

Balletschule des Theater Bielefeld

Bielefelder Philharmoniker


Solisten


Peter Grimes
Peter Bronder

Ellen Orford
Sarah Kuffner

Balstrode
Jacek Strauch

Auntie
Ceri Williams

1. Nichte
Cornelie Isenbürger

2. Nichte
Christiane Linke

Boles
Michael Pflumm

Swallow
Jacek Janiszewski

Mrs. Sedley
Xenia Maria Mann

Pastor Horace Adams
Reto Raphael Rosin

Ned Keene
Daniel Billings

Hobson
Torben Jürgens

Fischersfrau
Vuokko Kekäläinen/
Maila Traczyk

Fischer
Yun Geun Choi/
Paata Tsivtsivadze/
Mark Coles/
Ramon Riemarzik

Anwalt
Young Sung Im/
Seung-Koo Lim

Grimes' Lehrling
Aaron Möllmann/
David Puchelski

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bielefeld
(Homepage)




Da capo al Fine

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