Düster und lastend
Von Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Matthias
Stutte
Mozarts Don
Giovanni ist ein von vielerlei Ambivalenzen
geprägtes, schillerndes Meisterwerk. Sieht man
einmal vom historischen Entstehungszeitraum ab (der
bei Da Ponte anvisierte Handlungs-Zeitrahmen ist die
Mitte des 18. Jahrhunderts, uraufgeführt wurde
die Oper im Oktober 1787 in Prag), so bleiben
Gegensätze von Text und Musik, von Tragik und
Komik, die immer Regie-Interpretationen und
-entscheidungen erfordern.

Finale des 2. Aktes: von li nach re: Donna
Anna (Melanie Kreuter), Don Giovanni
(Daniel Billings), Masetto (Peter Maruhn)
und Donna Elvira (Melanie Forgeron).
Für Helen Malkowskys
Operninszenierung in Bielefeld könnte als Motto
das Houellebecq-Zitat des Programmhefts gelten: "Wie
der Wirtschaftsliberalimus - und aus analogen
Gründen - erzeugt der sexuelle Liberalismus
Phänomene absoluter Pauperisierung":
Aus dem "Dramma giocoso" dem spielerischen Wechsel
zwischen "seria" und "buffa" ist in der
Aktualisierung Malkowskys ein humorloses
düsteres Gesellschaftsbild geworden, ein rein
tragisches Musikdrama, das mit einem versuchten Mord
beginnt und den Protagonisten am Leben lässt. Aus Don Giovanni, dem im Original textlich frechen,
ewig scheiternden und musikalisch Frauen
verstehenden Eroberer ist ein unsicherer, Mitleid
erregender, gebückter, freiheitsliebender
Sexualstraftäter geworden, der sich dem Diktat
des Sektenoberhaupts (Komtur) nicht unterwerfen
will. Die textlich und musikalisch zwischen Rache
und Liebe changierende Donna Elvira kompensiert als
Prostituierte mit Kind die vielen Seitensprünge
ihres Ehemanns. Donna Anna scheint gleich zu Beginn
für den finalen Todesstoß ihres Vaters
verantwortlich zu sein. Zerlina ist eine
jungfräulich zarte Schöne, die beim
Junggesellinnenabschied ein besonders tragisches
Schicksal erlebt. Sie hat nicht gelernt, bei Don
Giovanni nein zu sagen und muss - sozusagen im
Anschluß an eine mögliche Vergewaltigung
- auch noch bei ihrem kindisch eifersüchtigen,
zukünftigen Ehemann Abbitte leisten. Und
Leporello ist im 21. Jahrhundert nicht der
aufmüpfige, dem Materiellen und Sinnlichen
zugeneigte Diener Don Giovannis sondern sein
Psychotherapeut.
Malkowskys Kritik analysiert die Gesellschaft als
anarchisch verwirrt und krank. Ihre Mitglieder
suchen in patriarchalischem Sektenwesen und
psychotherapeutischer Behandlung Heilung, wobei der
Therapeut am Reiz des Rollentauschs mehr und mehr
Gefallen findet.

Rollentausch: Don Giovanni (Daniel
Billings) als Therapeut, Leporello (Torben
Jürgens) sein
Klient
Die zeit- und räumliche Einordnung des
Geschehens bleibt - abgesehen von
Schauräumen, in denen sich Frauen/Prostituierte
anbieten, abgesehen von einer Bushaltestelle,
Schreibtisch, Lampe, Therapie- und
Liebes-Chaiselongue - unbestimmt. Die Kostüme
unterstützen die Personencharakterisierung. Das
Bühnenbild stellt ein nacktes, die Einsamkeit,
Leere und Gefühllosigkeit der Protagonisten
spiegelndes, aus schwarzen Wänden bestehendes
Seelengefängnis dar.
Die bewegte, zwischen privat und öffentlich
changierende Opernhandlung zerfällt. Die
Personenregie wirkt oft statisch. Viele verschiedene
Motiv-, bzw. Handlungsstränge werden assoziativ
aneinandergereiht, sodass Fragen offen bleiben.
Warum bspw. mutieren die freudig bewegten
Hochzeitsvorbereitungen - bei Malkowsky ein
neugierig erwarteter JunggesellInnen-Abschied - zu
einer schwarzen Messe auf Don Giovannis Schloss?
Warum erfährt man nicht sofort, dass der Komtur
noch lebt? Wozu werden die lächerlich wirkenden
Lügendetektoren und Psychopillen eingesetzt?
Hauptproblem der Inszenierung ist jedoch die
Missachtung der vielschichtigen, musikalischen
Personencharakterisierungen Mozarts, ihrer auch von
Leichtigkeit, Charme und Sinnlichkeit getragenen
Reize.
Solistenensemble und Bielefelder Philharmoniker
gestalten unter der musikalischen Leitung von
Alexander Kalajdzic die Musik kontrastreich. In
Anlehnung an die historische Interpretation der
Klassik spielen die Musiker auf Naturtrompeten und
-posaunen und einer älteren, kleinen Pauke,
wodurch Brüche, düstere Stimmungen und
grelle, schmetternde Stellen klanglich besonders
wirkungsvoll vor Augen geführt werden.

Finale des 1.Aktes:
Don Giovanni (Daniel Billings), Zerlina
(Cornelie Isenbürger) und der Bielefelder
Opernchor
Melanie Forgeron ist eine
lyrisch-dramatisch schillernde Donna Elvira. Melanie
Kreuter, die ihr Rollendebüt als Donna Anna
singt, zeigt in der letzten Arie des 2. Aktes "Non
mi dir" eine musikalisch anrührend und
differenziert gestaltende Charakterisierungskunst.
Eric Laportes schlanker, hell timbrierter Tenor
stellt einen Don Ottavio dar, der vergeblich
versucht unter all' den Mitwirkenden einen Adressaten
für seine Arie "Il mio tesoro" zu finden.
Cornelie Isenbürgers schlanker Sopran,
verkörpert eine zart klingende, fast
zerbrechlich wirkende Zerlina. Daniel Billings ist
ein stimmlich solider Don Giovanni, Torben
Jürgens ein mit wunderbar klangvollem,
bass-baritonalen Timbre ausgestatteter Leporello,
der textverständlich, technisch virtuos und
differenziert die Rolle des Leporello gestaltet.
FAZIT
Für Don Giovanni-Fans, die sich auch für
Werkstattcharakter und selten zu sehende
Regie-Herangehensweisen an das Werk
interessieren.
Ihre
Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief | Produktionsteam
Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic
Inszenierung
Helen Malkowsky
Bühne
Harald B. Thor
Kostüme
Tanja
Hofmann
Licht
Peter Lorenz
Choreinstudierung
Hagen Enke
Dramaturgie
Uwe Sommer
Opernchor des
Theater Bielefeld
Bielefelder Philharmoniker
Statisterie des Theater Bielefeld
Solisten
* Besetzung der rezensierten
Aufführung
Don Giovanni
Daniel
Billings
Komtur
Jacek
Janiszewsky
Donna Anna
Melanie Kreuter
Don Ottavio
Eric
Laporte
Donna
Elvira
Melanie
Forgeron
Leporello
Torben
Jürgens
Masetto
Peter
Maruhn
Zerlina
Cornelie
Isenbürger
Kind
Sangavy
Ravichandran/
*Yosin Weigel
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Theater Bielefeld
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