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Erst Luxus,
dann Kloster Von Christoph Wurzel / Fotos: Hermann und Clärchen Baus Es passiert sicherlich recht selten, dass die Dekoration einer Aufführung viel mehr Chic besitzt als der ganze Theaterbau selbst. Im Ausweichquartier der immerhin Unter den Linden mit üppigem DDR-Rokoko ausgestatteten, aber nun in Renovierung befindlichen Berliner Staatsoper, dem Schillertheater, ist das nicht ganz so schwer. Dieser Bau hat sich recht authentisch den unterkühlten Charme architektonisch bescheidener Zeiten bewahrt. Aber bei dieser Inszenierung trumpft die Bühnendekoration so heftig auf, dass man für einen Moment völlig vergisst, dass es sich um einen künstlichen Raum handelt. Und schon ist man gepackt vom Thema dieses Stücks, der Macht des schönen Scheins, der Blendwirkung rein äußerlicher Vergnügungen. Im Laufe des Abends kühlt die Faszination allerdings merklich ab und was im Titel dieses Händelschen Werkes schon versprochen wird: Ent-Täuschung macht sich breit. Die Schönheit zwischen Zeit und Ernüchterung: Bellezza (Mitte: Sylvia Schwartz), Disinganno (links: Delphine Galou) und Tempo (Charles Workman) sowie Komparsen Es handelt sich bei diesem Oratorium um einen der Geniestreiche des jungen Händel. 22 Jahre war er alt, als er in Rom, in der damaligen Kunst-Society herumgereicht, den Auftrag für ein Oratorium erhielt, für welches der Kardinal Pamphilj das besinnliche, literarisch ambitionierte Libretto geschrieben hatte. Opern waren im Kirchenstaat verboten, so verlegte man sich auf nicht minder opulente andere musikalische Spektakel, die teils in den zahlreichen Akademien, teils bei zahlungskräftigen (Kirchen-)Fürsten stattfanden. Händel komponierte in seinem römischen Jahr „wie der Teufel“, darunter eben auch zwei geistliche Oratorien, eines über die Auferstehungsgeschichte und eines zur Mahnung an die Vergänglichkeit allen irdischen Glanzes, eben diesen „Triumph der Zeit und der Ent-Täuschung“ über die von bloßem Vergnügen verblendete Schönheit. Die Uraufführung fand 1707 statt, mit Arcangelo Corelli am 1. Geigenpult.
Tanze mit mir in das Glück (Inga Kalna, links, als Piacere und Sylvia Schwartz als Bellezza, rechts Charles Workman als Tempo sowie Komparsen) Die vier Prinzipien treten als allegorische Figuren auf. In Flimms nach
einer Züricher Produktion von 2003 nun nach Berlin übernommenen und
aufgefrischten Inszenierung als die marilynhafte Schönheit (Bellezza)
in Gestalt der Sopranistin Sylvia Schwartz, das Vergnügen (Piacere),
welchem Inga Kalna im trendigen Outfit spritzig Leben einflösst, der
androgyne, schlank-wendige Typ der Enttäuschung (Disinganno) von
Delphine Galou und die alle(s) dominierende Zeit (Tempo), die Charles
Workman selbstbewusst gibt – alle vier von größter Bühnenpräsenz, im
naturalistisch perfektionistischen Ambiente eines Lokals der
Luxusklasse. In dieser Umgebung (wie
passend, dass die Personen geradewegs von einer Staaatsopern-Aufführung
kommen und ab und zu mal das Programmheft zur Hand nehmen!) findet der
philosophische Disput nun statt - in Form einiger Rezitative und mehr
als zwei Dutzend Arien, Duetten und eines Quartetts; Musik, die zum
Edelsten gehört, was Händel komponiert hat, darunter eine später
mehrfach „parodierte“ Sarabanden-Melodie, mit der hier das Vergnügen
die Schönheit zum letzten Mal verführen will, das Leben nicht so schwer
zu nehmen: Lascia la spina, colle le
rose. Als Inga Kalna dies sang, hätte man die sprichwörtliche
Nadel fallen hören. Eine Handlung im dramatischen Sinne gibt es natürlich in diesem Oratorium nicht, die hat Flimm in dieses luxuriöse Restaurant hinein erfunden, wobei es sich nicht um eine kohärente Dramaturgie handelt, sondern um Drehtür- Ereignisse, die blitzlichtartig den gesungenen Text illustrieren, kommentieren, konterkarieren. Wenn Disinganno singt, der Mensch richte sich doch nur selbst zugrunde, fällt hinten ein Betrunkener vom Stuhl oder zum Text von Tempo, nur kalte Gebeine blieben von unseren Ahnen, zerpflückt der Sänger eine Puppe in ihre Einzelteile. Das klingt zwar banaler, als es szenisch herüberkommt, aber wo im ersten Teil diese Erfindungen noch interessieren, ermüden sie doch nach der Pause mehr und mehr. Wenn ein paar Matrosen zu der Gleichnisarie vom reich beladenen Schiff, das seine Ladung verliert, ins Restaurant marschiert kommen und ein paar Schnäpse kippen - und dies auch noch da capo wie die Arie – da bleibt der Tiefsinn verborgen. So ist außer den überzeugend agierenden Solisten der Aufwand an Komparserie doch etwas groß geraten. Die höchsten
Anforderungen, die Händel an die Stimmen stellt, lösten die Solisten
mehr oder weniger vollständig ein: Vergnügen kommt dabei am besten weg:
gestochen klar und technisch brillant brachte Inga Kalna ihre
Koloraturen heraus, schön im Timbre und anrührend echt die lyrischen
Verführungen (siehe oben). Eine etwas kalte Schönheit strahlte in der
Stimme von Sylvia Schwartz, die erst in ihrer letzten
(Luxus-Abschieds-) Arie zu wärmeren vokalen Farben fand. Delphine Galou
fand mit eindrucksvoll dunkel gefärbtem Alt große Beachtung, wenn auch
die Partie mehr Stimmvolumen vertragen hätte. Charles Workman gab
der Zeit stimmlich Kraft und gestische Deutlichkeit.
Sperrstunde: Bellezza sagt dem Luxusleben ab und geht ins Kloster (Delphine Galou, Sylvia Schwartz, Charles Workman und Komparsen)
Zum
Schluss hat also bei der Schönheit die Einsicht gesiegt. Eine
ausdrücklich religiöse, d.h. erlösende Botschaft enthält der Text nur
sehr dezent, vielmehr formuliert er immer wieder den für die Zeit
typischen Gedanken, dass doch „alles eitel“ ist und der Mensch ein
„Wohnhaus grimmer Schmerzen“. Der katholische Schlesier Andreas
Gryphius, dessen Gedichte sich im Programmheft finden, hatte dies schon
rund 50 Jahre vor dem Kardinal aus Rom gefunden. Dass Jürgen Flimm
nun seine schließlich zu gottgefälligem Leben bekehrte Heldin
Bellezza ausgerechnet gleich zur Nonne werden lässt, sollte angesichts
der heutigen Verblödungen durch Konsum und Luxus allerdings nicht als
allgemein verbindliche Lösung gesehen werden. Da finden wir bestimmt
noch andere Möglichkeiten. Aber vielleicht soll das ja auch nur
ironisch sein.
Wunderbar war
das Orchester. Mark Minkowski dirigierte die Musiciens de Louvre
auswendig und dadurch höchst aufmerksam für kleinste Details und
Wendungen. So atmete der Klang den musikalischen Affekten gemäß,
federte im Puls der Emotionen und rundete vollkommen den Gesang der
Solisten. Souveräner ließe sich dies kaum denken. Herr Händel
höchstselbst saß an der Orgel (als Einlage auf die Bühne geschoben) und
spielte (Francesco Corti im barocken Kostüm) mit Verve, wie alle
Solisten (großartige Bläser!) ganz meisterlich waren.
FAZIT Diese in Zürich damals
umjubelte Inszenierung ist noch immer ein Augenschmaus, eine zumindest
im 1. Teil anregend lebendige Bühnenaktion, sängerisch auch mit dem
neuen Berliner Solistenensemble größtenteils eine Freude, durch das
exzellente Ensemble unter Minkowski aber vor allem eine
Händel-Offenbarung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung Erich Wonder Kostüme Florence von Gerkan Choreografie Catharina Lühr Licht Martin Gebhardt Sebastian Alphons Dramaturgie Ronny Dietrich Detlef Giese Komparserie der
SolistenBellezza
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