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Il Trionfo del Tempo
e del Disinganno


Oratorium in zwei Teilen HWV 46a
Text von Benedetto Pamphilj
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3 Stunden – eine Pause

Neueinstudierung einer Inszenierung des Opernhauses Zürich von 2003

Premiere an der Staatsoper im Schillertheater 15. Januar 2012
(rezensierte Aufführung: 21.Januar 2012)






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Staatsoper Berlin
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Erst Luxus, dann Kloster


Von Christoph Wurzel /  Fotos: Hermann und Clärchen Baus

Es passiert sicherlich recht selten, dass die Dekoration einer Aufführung viel mehr Chic besitzt als der ganze Theaterbau selbst. Im Ausweichquartier der immerhin Unter den Linden mit üppigem DDR-Rokoko ausgestatteten, aber nun in Renovierung befindlichen Berliner Staatsoper, dem Schillertheater, ist das nicht ganz so schwer. Dieser Bau hat sich recht authentisch den unterkühlten Charme architektonisch bescheidener Zeiten bewahrt. Aber bei dieser Inszenierung trumpft die Bühnendekoration so heftig auf, dass man für einen Moment völlig vergisst, dass es sich um einen künstlichen Raum  handelt. Und schon ist man gepackt vom Thema dieses Stücks, der Macht des schönen Scheins, der Blendwirkung rein äußerlicher Vergnügungen.  Im Laufe des Abends kühlt die Faszination allerdings merklich ab und was im Titel dieses Händelschen Werkes schon versprochen wird: Ent-Täuschung macht sich breit.

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Die Schönheit zwischen Zeit und Ernüchterung: Bellezza (Mitte: Sylvia Schwartz), Disinganno (links: Delphine Galou) und Tempo (Charles Workman) sowie Komparsen

Es handelt sich bei diesem Oratorium um einen der Geniestreiche des jungen Händel. 22 Jahre war er alt, als er in Rom, in der damaligen Kunst-Society herumgereicht, den Auftrag für ein Oratorium erhielt, für welches der Kardinal Pamphilj das besinnliche, literarisch ambitionierte Libretto geschrieben hatte. Opern waren im Kirchenstaat verboten, so verlegte man sich auf nicht minder opulente andere musikalische Spektakel, die teils in den zahlreichen Akademien, teils bei zahlungskräftigen (Kirchen-)Fürsten stattfanden. Händel komponierte in seinem römischen Jahr „wie der Teufel“, darunter eben auch zwei geistliche Oratorien, eines über die Auferstehungsgeschichte und eines zur Mahnung an die Vergänglichkeit allen irdischen Glanzes, eben diesen „Triumph der Zeit und der Ent-Täuschung“ über die von bloßem Vergnügen verblendete Schönheit. Die Uraufführung fand 1707 statt, mit Arcangelo Corelli am 1. Geigenpult.

 

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Tanze mit mir in das Glück (Inga Kalna, links, als Piacere und Sylvia Schwartz als Bellezza, rechts Charles Workman als Tempo sowie Komparsen)

Die vier Prinzipien treten als allegorische Figuren auf. In Flimms nach einer Züricher Produktion von 2003 nun nach Berlin übernommenen und aufgefrischten Inszenierung als die marilynhafte Schönheit (Bellezza) in Gestalt der Sopranistin Sylvia Schwartz, das Vergnügen (Piacere), welchem Inga Kalna im trendigen Outfit spritzig Leben einflösst, der androgyne, schlank-wendige Typ der Enttäuschung (Disinganno) von Delphine Galou und die alle(s) dominierende Zeit (Tempo), die Charles Workman selbstbewusst gibt – alle vier von größter Bühnenpräsenz, im naturalistisch perfektionistischen Ambiente eines Lokals der Luxusklasse. In dieser Umgebung (wie passend, dass die Personen geradewegs von einer Staaatsopern-Aufführung kommen und ab und zu mal das Programmheft zur Hand nehmen!) findet der philosophische Disput nun statt - in Form einiger Rezitative und mehr als zwei Dutzend Arien, Duetten und eines Quartetts; Musik, die zum Edelsten gehört, was Händel komponiert hat, darunter eine später mehrfach „parodierte“ Sarabanden-Melodie, mit der hier das Vergnügen die Schönheit zum letzten Mal verführen will, das Leben nicht so schwer zu nehmen: Lascia la spina, colle le rose. Als Inga Kalna dies sang, hätte man die sprichwörtliche Nadel fallen hören.

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Das kommt auch in den besten Lokalen vor (von links: Sylvia Schwartz, Charles Workman, Delphine Galou und Komparsen)

Eine Handlung im dramatischen Sinne gibt es natürlich in diesem Oratorium nicht, die hat Flimm in dieses luxuriöse Restaurant hinein erfunden, wobei es sich nicht um eine kohärente Dramaturgie handelt, sondern um Drehtür- Ereignisse, die blitzlichtartig den gesungenen Text illustrieren, kommentieren, konterkarieren. Wenn Disinganno singt, der Mensch richte sich doch nur selbst zugrunde, fällt hinten ein Betrunkener vom Stuhl oder zum Text von Tempo, nur kalte Gebeine blieben von unseren Ahnen, zerpflückt der Sänger eine Puppe in ihre Einzelteile. Das klingt zwar banaler, als es szenisch herüberkommt, aber wo im ersten Teil diese Erfindungen noch interessieren, ermüden sie doch nach der Pause mehr und mehr. Wenn ein paar Matrosen zu der Gleichnisarie  vom reich beladenen Schiff, das seine Ladung verliert, ins Restaurant marschiert kommen und ein paar Schnäpse kippen - und dies auch noch da capo wie die Arie – da bleibt der Tiefsinn verborgen. So ist außer den überzeugend agierenden Solisten der Aufwand an Komparserie doch etwas groß geraten.

Die höchsten Anforderungen, die Händel an die Stimmen stellt, lösten die Solisten mehr oder weniger vollständig ein: Vergnügen kommt dabei am besten weg: gestochen klar und technisch brillant brachte Inga Kalna ihre Koloraturen heraus, schön im Timbre und anrührend echt die lyrischen Verführungen (siehe oben). Eine etwas kalte Schönheit strahlte in der Stimme von Sylvia Schwartz, die erst in ihrer letzten (Luxus-Abschieds-) Arie zu wärmeren vokalen Farben fand. Delphine Galou fand mit eindrucksvoll dunkel gefärbtem Alt große Beachtung, wenn auch die Partie mehr Stimmvolumen vertragen hätte. Charles Workman  gab der Zeit stimmlich Kraft und gestische Deutlichkeit.


Bild zum VergrößernSperrstunde: Bellezza sagt dem Luxusleben ab und geht ins Kloster (Delphine Galou, Sylvia Schwartz, Charles Workman und Komparsen)
 
 
Zum Schluss hat also bei der Schönheit die Einsicht gesiegt. Eine ausdrücklich religiöse, d.h. erlösende Botschaft enthält der Text nur sehr dezent, vielmehr formuliert er immer wieder den für die Zeit typischen Gedanken, dass doch „alles eitel“ ist und der Mensch ein „Wohnhaus grimmer Schmerzen“.  Der katholische Schlesier Andreas Gryphius, dessen Gedichte sich im Programmheft finden, hatte dies schon rund 50 Jahre vor dem Kardinal aus Rom gefunden. Dass Jürgen Flimm nun  seine schließlich zu gottgefälligem Leben bekehrte Heldin Bellezza ausgerechnet gleich zur Nonne werden lässt, sollte angesichts der heutigen Verblödungen durch Konsum und Luxus allerdings nicht als allgemein verbindliche Lösung gesehen werden. Da finden wir bestimmt noch andere Möglichkeiten. Aber vielleicht soll das ja auch nur ironisch sein.
 
Wunderbar war das Orchester. Mark Minkowski dirigierte die Musiciens de Louvre auswendig und dadurch höchst aufmerksam für kleinste Details und Wendungen. So atmete der Klang den musikalischen Affekten gemäß, federte im Puls der Emotionen und rundete vollkommen den Gesang der Solisten. Souveräner ließe sich dies kaum denken. Herr Händel höchstselbst saß an der Orgel (als Einlage auf die Bühne geschoben) und spielte (Francesco Corti im barocken Kostüm) mit Verve, wie alle Solisten (großartige Bläser!) ganz meisterlich waren.


FAZIT

Diese in Zürich damals umjubelte Inszenierung ist noch immer ein Augenschmaus, eine zumindest im 1. Teil anregend lebendige Bühnenaktion, sängerisch auch mit dem neuen Berliner Solistenensemble größtenteils eine Freude, durch das exzellente Ensemble unter Minkowski aber vor allem eine Händel-Offenbarung.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Minkowski

Inszenierung
Jürgen Flimm
zusammen mit
Gudrun Hartmann

Bühnenbild
Erich Wonder

Kostüme
Florence von Gerkan

Choreografie
Catharina Lühr

Licht
Martin Gebhardt
Sebastian Alphons


Dramaturgie
Ronny Dietrich
Detlef Giese



Komparserie der
Staatsoper

Les Musiciens du
Louvre Grenoble


 


Solisten

Bellezza
Sylvia Schwartz

Piacere
Inga Kalna

Tempo
Charles Workman

Disinganno
Delphine Galou







Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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