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Der Freischütz
Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Friedrich Kind
Dialogfassung von Calixto Bieito und Bettina Auer
Musik von Carl Maria von Weber


In deutscher Sprache mit wahlweise deutschen, englischen französischen oder türkischen Untertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 45 Minuten (eine Pause)

Premiere am 29. Januar 2012 an der Komischen Oper Berlin


Homepage

Komische Oper Berlin
(Homepage)
Ich Max, Du Agathe …

Von Joachim Lange / Fotos von Wolfgang Silveri

In Berlin hat sich ein missratener Jägerchor im „Freischütz“ schon mal als (metaphorischer) Blattschuss für den Dirigenten erwiesen. In der Deutschen Oper war das der berühmte Tropfen, der Renato Palumbo vor drei Jahren letztlich um seinen GMD-Job brachte. Derartiges hat Patrick Lange heuer nach der jüngsten Freischütz-Premiere an der Komischen Oper nicht zu befürchten. Er hält nicht nur wacker alle Fäden im Graben zusammen und lässt die Hörner tadellos erschallen, sondern wirft sich auch da entschieden für Webers unverwüstliche Musik in die Bresche, wo auf der Bühne exzessiv gekichert, gelacht oder rumgeballert wird. Wobei damit das Wesentliche zur musikalischen Bilanz des Abends auch schon gesagt ist. Denn mit vokalem Hauptstadt-Ruhm hat sich die Komische nicht gerade bekleckert. Allenfalls Günter Papendells Ottokar und Carsten Sabrowski als Kaspar wären da mühelos überregional „zu verkaufen“.

Vergrößerung Agathe, Ännchen und Max allein im Wald

Aber zu einem Fest der Stimmen geht man ohnehin nicht in die Haus an der Behrenstraße. Eher schon, um (im doppelten Wortsinn) aufregendes Musiktheater zu erleben. Der nun bald nach Zürich wechselnde, auch selbst Regie führende Intendant Andreas Homoki hatte nie Probleme, nach den angesagten Altmeistern oder den jüngeren Wilden der Szene zu greifen, selbst wenn die seinen eigenen Arbeiten regelmäßig zumindest die Feuilleton-Show stahlen. Der Katalane Calixto Bieito gehört in diese Auswahl. Seine geradewegs in einem Amoklauf endende Mozart-Entführung spaltete das Publikum nachhaltig. Und obwohl er in letzter Zeit ruhiger geworden ist und niemandem mehr seinen blutigen Realisten-Mut vor Publikumserwartungen beweisen muss, ist immer noch Bieito drin, wo Bieito drauf steht. Dass die Opernleitung „empfohlen ab 16 Jahren“ unter der Ankündigung vermerkt, gehört da wohl eher zum Marketing. Obwohl seine Jagdgesellschaft im deutschen Wald nach einer anderen Beute sucht als Hirsch oder Wildschwein. Ein leibhaftiges Exemplar dieser Grunzer schnüffelt sich zwar während der Ouvertüre durchs Laub, zwischen dem stimmungsvoll von hinten ausgeleuchteten Kleingeäst. „Erlegt“ und ausgeweidet wird dann aber eine nackte Frau mit Pelzmantel.

Vergrößerung

Üble Bräuche in der Wolfschlucht

Überhaupt ist die Jagd hier eher männliches Potenzgehabe und Menschenjagd. In einem Wald, der weit jenseits aller zivilisatorischen Landstriche liegt. Nicht nur die Wolfschlucht ist da der viel zitierte Albtraum. Bieito übersetzt vor allem diese Szene in seinen blutigen psychologisierenden Bühnenrealismus. Kaspars (Carsten Sabrowski) Pakt mit dem Teufel ist ein radikaler Ausstieg aus dem Minimal-Konsens jeder menschlichen Gemeinschaft, nämlich die Anderen am Leben zu lassen. Für seine Kugelgießerei entführt der Finsterling ein Brautpaar, bringt die Braut in einem Gruselritual um und taucht seine Kugeln in Jungfrauenblut. Und den ohnehin als Versager bedrängten Max (Vincent Wolfsteiner) zieht er dabei auf seine Seite. Er treibt ihn in den nackten Wahnsinn. Ganz wörtlich. Wie außer sich bringt Max den entführten Bräutigam um und hüpft fortan mit Dreck beschmiert nur noch nackt durchs Unterholz. Und über die Baumstämme, die sich erst aus dem Schnürboden herabsenken, während der Wolfschlucht ins Wanken kommen und dann wie ein Haufen Mikadostäbchen aufgetürmt herumliegen. Nach dem Doppelmord zur Mitternacht – gibt's dann ein „Ich Max – Du Agathe“ mit Variationen, die manchmal unfreiwillig komisch wirken. Wie die dauerkichernden Brautjungfern, die mit ihren albernen Miss-Piggy-Masken eine Art Junggesellinnen-Abschied zelebrieren, bei dem sich Ännchen obendrein frustriert als Zukurzgekommene outet.

Vergrößerung Verlorengegangen im Wald: Agathe und Max

Beim Probeschuss, der ja auch fürs „erste Mal“ steht, ruft Max seiner Agathe (Ina Kringelborn) zu „Ich liebe Dich“ und drückt ab. Der belehrend versöhnlichen Schlussszene, die mit ihrem Vertrauen in Gott und die Obrigkeit immer etwas aufgesetzt wirkt, entzieht sich Bieito auf seine Weise durch Distanzierung und Mord. Ganz offenbar glauben Ottokar und seine Leute kein Wort von dem, was sie selbst und der auftauchende Eremit (als Penner in Riesengestalt: Alexey Tihomirov) von sich geben. Und so ist es – zumindest bei diesem Ausflug in die finstersten Ecken des deutschen Seelenwaldes – nur konsequent, dass sich Kaspar selbst umbringt und Ottokar und seine Leute dann Max und den Eremiten einfach über den Haufen schießen. Diese militanten, mit Kalaschnikows bewaffneten Outlaws werden den Weg zurück in die Zivilisation nicht mehr finden.

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Hier hilft Agathe beim Finale nur abschalten

Das Publikum ging mit den Sängern, dem Chor und dem Dirigenten durchweg sehr wohlwollend um, spaltete sich dann beim Regieteam in das zu erwartende Pro und Contra. Aber längst ohne jene Verbissenheit, die bei Bieito noch vor Jahren üblich war. Man gewöhnt sich halt an alles. Und wies der Zufall will, gibt es ja im Deutschen Historischen Museum, ein paar Gehminuten von der Komischen Oper entfernt, eine Ausstellung zum Deutschen Wald. Irgendwie gehört die mit zur Inszenierung.


FAZIT

Calixto Bieito ist dem Freischütz mit dem drastischen Instrumentarium der szenischen Mittel, mit denen er bekannt geworden ist, zu Leibe gerückt, was wieder einmal zu kontroversen Publikumsreaktionen führte. Mit den Sängern hingegen ging das Publikum sehr wohlwollend um. Das Orchester und sein Dirigent wurden ganz zu Recht gefeiert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrick Lange

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühnenbild
Rebecca Ringst

Kostüme
Ingo Krügler

Dramaturgie
Bettina Auer

Chöre
André Kellinghaus

Licht
Franck Evin



Komparserie der Komischen Oper

Chor der Komischen Oper

Mitglieder des Ernst Senff Chores Berlin

Orchester der Komischen Oper


Solisten

Max
Vincent Wolfsteiner

Agathe
Ina Kringelborn

Kaspar
Carsten Sabrowski

Ännchen
Julia Giebel

Eremit
Alexey Tihomirov

Ottokar
Günter Papendell

Kilian
Christoph Späth

Kuno
Hans-Peter Scheidegger

Brautjungfern
Sakskia Krispin
Britta Süberkrüb
Diemut Wauer
Judith Weinreich



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



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