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Schwarz-Weiß-Blut
Von Joachim Lange
/ Fotos von Annemie Augustijns
Was heißt schon Macht des Schicksals? Man könnte es auch einfach Triumph des Zufalls oder genauso treffend dumm gelaufen nennen. Schon, dass die Waffe losgeht, wenn sie der indianische Liebhaber Leonoras, Don Alvaro, wegwirft und dann den Vater der Geliebten tödlich trifft - das ist einer von der Sorte, den man ziemlich bemühen muss, wenn man eine Oper komponieren will, die daraus Kapital schlägt, wie unterirdisch des Schicksals dunkle Mächte raunen. Doch schon Verdis immer wieder auftauchendes Schicksalsmotiv oder die diversen Choreinlagen, die das fröhliche Lagerleben der Haudegen und Marketenderinnen so mitreißend illustrieren wie das aus dem Rahmen fallende Rataplan, sind Grund genug, über die ziemlich hanebüchenen Unwahrscheinlichkeiten von Francesco Maria Piaves Libretto für die (jetzt in Antwerpen gespielte) St. Petersburger Urfassung von 1862 (die auch in der Überarbeitung von Antonio Ghislanzoni 1869 für Mailand nicht viel schlüssiger ist), hinwegzusehen. Die Mönche schwören, das Geheimnis ihres Gastes zu wahren
Sei's drum: Eine Liebe, die aus dem Rahmen fällt, ein potentieller Schwiegervater als Kollateralschaden, ein eifersüchtiger Bruder, der seine Ehrenmordmasche bis zum bitteren Ende durchzieht, dazu die irrtümliche Freundschaft von Liebhaber Alvaro und Bruder Don Carlo, weil der eine dem anderen das Leben gerettet hat, eine dunkel raunende Zigeunerin, eine Flucht ins Kloster und ein tödlicher Showdown. Da ist alles drin für einen Verdi, der halt auch als Nummern-Collage, bei der ihm manchmal die Pferde durchgehen, musikalisch mitreißt. Und zumindest in St. Petersburg die italienische Oper gegen den vorherrschenden Nationalstil Mussorgskis und die aufkommende Wagnerei zu behaupten vermochte. Hinten das Chaos und vorn begegnen sich der rachsüchtige Bruder und der Liebhaber, der ins Mönchsgewand geflüchtet ist Offenbar ist gerade dieser Verdi, abseits der unstrittigen Meisterwerke, auch ein gefundenes Fressen für einen wie Michael Thalheimer. Die Flämische Oper hat den notorischen Stücke-Eindampfer aus Deutschland zu seinem nunmehr vierten Ausflug auf die Opernbühne überredet, und ihm sein Lieblingsutensil, den Kürzungs-Rotstift, einfach weggenommen. Die raue, düstere Forza-Urfassung wollte auch Intendant Aviel Cahn haben. Und die haben er und sein Publikum (diesmal zuerst in Antwerpen) jetzt auch bekommen. In einer Schwarz-Weiß-Blut Ästhetik, bei der die Bühne von Henrik Ahr die Schicksals-Blackbox ist. Und in der die immer leicht am Rande des Wahnsinns wahrsagende, charismatische Zigeunerin Prezissilla zu einer Art Spielführerin avanciert. Die Wahrsagerin bei der Arbeit der blanke Wahnsinn
Sie hat das Publikum von der Rampe aus fast immer fest im Blick, und steht am Ende wie eine Kassandra in der Höhe jenes schräg abgekippten, riesigen Kreuzes, das aus der Rückwand des Bühnenkastens effektvoll beleuchtbar ausgespart ist, in einem Lichtkegel. Recht gehabt. Ansonsten emanzipieren sich Thalheimers Figuren-Aufmarsch aus der Tiefe zweier Zugängen rechts und links neben der eigentlichen Spielfläche und der mit Stühlen ausgerüstete Chor schnell vom Verdacht einer konzertanten Version oder Probenvariante. Denn dem Schauspielregisseur gelingt es überzeugend, seine Protagonisten mit jener Intensität der Ausdrucks auszustatten, die stets auf den musikalischen Rückenwind bauen kann, den Alexander Joel am Pult des Symfonisch Orkest der Vlaamse Opera mit Verve erzeugt. Das bleibt optisch lange Zeit in einer Stimmung düster diskursiver Strenge, die durch die beiläufig gegenwartsnahen Kostüme von Michaela Barth noch unterstrichen wird. Nur Leonora bleibt in ihrem Hochzeitsweiß ein hoffender, aber chancenloser Engel. Wenn aber von kriegerischem Treiben die Rede ist, dann schwappen Ströme von Blut bis auf die Schürze des Militärchirurgen oder die Hemden und Unterwäsche der Choristen. Überhaupt ist dieser Chor aber nicht nur ein überzeugender Protagonist des Grauens. Er folgt etwa dem großen Rede-Duell von Alvaro und Don Carlo wie die Zuschauer bei einem Tennismatch. In solchen Szenen gewinnt diese düster schwarze Thalheimer-Theatervariante sogar so etwas wie einen seltenen, wenn auch ziemlich dunklen Witz. Das Schicksal hat seine Arbeit verrichtet Dass Thalheimers Reduktionsansatz aufgeht, ist auch dem hohen Niveau einer geschlossenen Ensembleleistung zu danken. Catherine Naglestad steigert sich als Leonora von den Turbulenzen der Flucht bis hin zu betörend zarten Verzweiflungstönen am Ende. Mikhail Agafonov lässt sich als tragisch verhinderter Liebhaber nicht von ein paar kehligen Einsätzen irritieren und steigert sich zu imponierenden Schmettertönen, denen Vladimir Stoyanov als racheversessener Don Carlo allemal standhält. Im Umfeld dieses unheiligen Trios vermag sich neben der mezzosatten Viktoria Vizin als Preziosilla vor allem Josef Wagner als misstrauisch vitaler Klosterbruder Melitone zu profilieren.
An der Flämische Oper, an der man in der laufenden Spielzeit kaum eine der Neuproduktionen versäumen sollte, wurde diese Inszenierung von Michael Thalheimer zu einem überzeugenden Erfolg. Auch beim Publikum. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Il Marchese di Calatrava
Donna Leonora
Don Carlo di Vargas
Don Alvaro
Preziosilla
Padre Guardiano
Fra Melitone
Curra
Trabuco
Alcade/ Chirurgo
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