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Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner
Erster Aufzug in der "Pariser Fassung", zweiter und dritterufzug in der "Dresdener Fassung"

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 30' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Zürich am 30. Januar 2011

Besuchte Aufführung: 20. Februar 2011


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Opernhaus Zürich
(Homepage)
Jimi Tannhäuser macht zu viele Kompromisse

Von Thomas Tillmann / Fotos von Suzanne Schwiertz


Bereits zum fünften Mal inszeniert Regietheater-Ikone Harry Kupfer Wagners Tannhäuser, und noch immer interessiert ihn dieses Stück über einen Künstler, "der im Widerspruch lebt zwischen seiner Individualität, seiner Genialität und der gesellschaftlichen Norm" und der von einem Kompromiss in den anderen fällt und daran scheitert: Im Venusberg, in den er sich geflüchtet hat, nachdem er mit einer Gesellschaft in Konflikt geraten ist, die "sich so etabliert hat, dass sie sogar Kunstrichter spielen und die Aussage der Kunst für sich benutzen will", entdeckt er, dass die "sich austobende, einseitige, sexbessene Welt" des Venusbergs, eine Traumwelt aus Sex und Drogen, "irgendwann zum künstlerischen Tod des Künstlers" führt, er ist auch dort nicht zuhause, und so wohnt der Zuschauer während des Bacchanals auch der Tötung des Orpheus durch die Mänaden bei, die Kupfer als die Tötung des Künstlers interpretiert; im letzten Aufzug erscheint Venus mit grauem Haar, ihr Angebot ist schal geworden wie sie selber. In die Wartburg-Welt mit ihren strengen Normen, in der die Institution Kirche eine "reaktionäre Hauptfunktion" einnimmt, kehrt er wider besseren Wissens nur um Elisabeth, seiner großen Liebe willen, zurück, obwohl er weiß, dass er dort nur willkommen ist, wenn er "klein beigibt und sich den Normen fügt", die Pilgerfahrt nach Rom tritt er an, obwohl er hätte wissen können, dass die Institution Kirche ihm keine Absolution erteilen würde. In dem Moment indes, in dem der Künstler tot ist, "kann er kanonisiert werden. Dafür steht der verlogene grüne Pilgerstab" am Schluss, den der Heilige Vater persönlich auf Tannhäusers gläsernen Sarg legt. Dass der Himmel selber es anders sehen mag, suggeriert das Gewitter danach. Die E-Gitarre jedenfalls geht an Wolfram, er ist Tannhäusers Nachfolger, und es bleibt die Hoffnung, dass er es besser machen wird, denn für den Regisseur ist Tannhäuser "überhaupt kein positiver Held, sondern ein negativer, mit dem man zwar Mitleid haben kann und den man achten kann wegen seines Künstlertums, aber menschlich versagt er total".


Vergrößerung Venus (Vesselina Kasarova) zieht Tannhäuser in ihren Bann.

Die E-Gitarre? Für Kupfer ist Tannhäuser kein Stück, das man historisch oder als Märchen spielen sollte, "sondern man muss es zeitgemäss spielen". Und so zieht Hanspeter Künzler in seinem Programmheft-Originalbeitrag "Jimi Hendrix und der Geist von Tannhäuser" eine Verbindung zwischen dem 1942 geborenen Rockmusiker und Heinrich Tannhäuser: "Wenn Tannhäuser am gleichen Tag geboren worden wäre wie Jimi Hendrix ..., so hätte ohne Zweifel auch er zur Gitarre gegriffen. Zur elektrischen Gitarre, versteht sich." Über diesen Umstand lässt sich natürlich trefflich spekulieren - ganz abwegig ist die Parallele jedenfalls nicht: "Die Geschichte des Neuerers, der wie Tannhäuser gleich in ungeahnte künstlerische und gesellschaftliche Höhen aufsteigt, aber mit den resultierenden Reichtümern und Verlockungen nicht umzugehen weiss, ist ein Archetypus. Buddy Bolden, ... Elvis Presley, John Coltrane, Brian Jones, Jim Morrison, Janis Joplin, Michael Jackson: lauter Tannhäuser, die im Erfolg nicht die Erlösung, sondern den Untergang fanden." Und: Jimi Hendrix "mag sich aus den Konventionen des Zeitgeistes befreit haben, aber sein Publikum und seine Plattenfirmen, die das Erfolgsmodell am liebsten ewig wiederholen würden, legen ihm neue Fesseln um. Im Popgeschäft, so erkennt Hendrix, ist das Leben so statisch wie am Venusberg, aber nur leider allzu menschlich in seiner Vergänglichkeit. Vier Alben nur können erscheinen, ehe Jimi Tannhäuser am 18. September 1970, allein gelassen von einer zugedröhnten Freundin, in einem Londoner Hotel am eigenen Erbrochenen erstickt." Und so führt Tannhäuser in Kupfers Neuproduktion eine elektrische Gitarre mit sich, ein sicher diskutabler Einfall, aber eben einer, der den ganzen Abend lang durchgezogen wird und der dennoch nicht penetrant wird. Und in Michael-Jackson-Outfit möchte man sich weder Peter Seiffert noch Robert Dean Smith vorstellen ...


Vergrößerung

Elisabeth (Nina Stemme) besingt die teure Halle.

Hans Schavernoch hat eine Konstruktion aus Leichtmetall kreiert, die in vielerlei Hinsicht verschiebbar ist und ein wenig an Gewächshäuser erinnert, die über Türen mit milchigem Glas verfügt, so dass man nur erahnen kann, was sich in den Separées des Venusbergs abspielt, der mit roten Neonleuchten doch etwas platt ausstaffiert wirkt. Venus selber trägt ebenfalls sattes Rot, das in Richtung Boden in teuflisches Schwarz übergeht (Kostüme: Yan Tax), beide Farben dominieren in diesem ersten Teil auch das Licht von Jürgen Hoffmann. In diesem edlen, gepflegten, aber doch etwas harmlos daherkommenden Etablissement gehen auch kirchliche und andere Würdenträger ein und aus - verlogen ist diese Wartburg-Gesellschaft, der Unterschied zwischen all diesen Lüstlingen und Tannhäuser ist wohl nur, dass sie nicht lautstark von ihren Erlebnissen singen und sich eben nicht erwischen lassen, sondern sich nach der Verwandlung im ersten Akt selbstgerecht auf den Liegen eines exklusiven Golfresorts vor dem Hörselberg räkeln. Der zweite Aufzug spielt in einem Fernsehstudio, nur ein paar mit edlem Stoff bezogene Sessel für den Landgrafen und seine Nichte sowie einige Hocker für die Sänger sorgen für gediegenes Ambiente, noch sieht man überall Blackboxes, auf die später eine mittelalterliche Hallenkonsruktion projiziert wird, eine Art klassische Version einer modernen Castingshow, allerdings beklatscht von einem etwas exklusiveren Publikum, das sich aus Militärfunktionären, kirchlichen Würdeträgern und sonstigen vermeintlich wichtigen Personen des öffentlichen Lebens zusammensetzt. Optisch noch überzeugender gerät der letzte Aufzug, den Kupfer in einer Bahnhofshalle spielen lässt: Elisabeth wartet im Trenchcoat auf einer Bank aufs Tannhäusers Rückkehr, sucht ihn wenige Augenblicke später in den Pilgermassen, die den Bahnhof verlassen. Die Wahl dieses Ortes, die in anderen Produktionen vielleicht das Bühnengeschehen trivialisieren würde, ist hier absolut stimmig und suggestiv, in der szenischen Reduktion und Konzentration achtet man umso mehr auf die exzellent gezeichneten und hervorragend geführten Figuren, und hier zeigt sich die handwerkliche Meisterschaft. Natürlich ist da einiges gedanklich etwas plakativ, natürlich bemüht Kupfer manche vielleicht etwas überkommen wirkende Zutat des von ihm ja nicht unwesentlich mitgeprägten Regietheaters der vergangenen Jahrzehnte, aber anders als bei seinen vielen Nachahmern lässt sich jede Idee entschlüsseln und macht Sinn in einem stringenten Gesamtkonzept, ist nicht nur billiges, provizierendes Mätzchen, die Annäherung an das Werk wirkt immer ehrlich, man erlebt Figuren aus Fleisch und Blut auf der Bühne, für die man sich interessiert, und denkt neu über ein bekanntes Stück nach.


Vergrößerung Elisabeth (Nina Stemme) und Wolfram (Michael Volle) warten auf Tannhäusers Rückkehr aus Rom.

Nachdem Peter Seiffert in der Premiere und einigen Folgevorstellungen als Tannhäuser zu erleben war, übernahm die letzten beiden dieser Serie Robert Dean Smith, der ein zwei Aufzüge lang sehr ökonomisch singender, sehr lyrischer Heinrich war, und man kommt nicht umhin festzustellen, dass es noch mehr vokale Zurückhaltung und Schonung der Mittel nicht mehr hätte sein dürfen, gerade gegen Ende des ersten Aufzugs klangt die Stimme dann doch sehr blass und zurückgenommen. Immerhin, es gab niemals peinigenden Sprechgesang und pseudointensives Gebrüll zu hören, jede noch so heikle Passage wurde behutsam ausgesungen und mit exzellenter Diktion präsentiert, aber erst in der Romerzählung wartete der Amerikaner mit kraftvollen, dunklen Tönen auf, entfaltete sein Tenor den vokalen Glanz, auf den man lange gewartet hatte.


Vergrößerung

Kaum ist Tannhäuser (am Boden liegend: Peter Seiffert) tot, wird er vom religiösen Establishment selig gesprochen.

Nina Stemmes Elisabeth war kein schwärmerisches junges Mädchen, sondern eine entschlossene, mutige Frau in den besten Jahren am Ende ihrer Möglichkeiten, die auch vokal hörbar einige Erfahrung hat, namentlich eine Reihe flackernd-reifer Töne, eine füllige Mittellage und eine gewisse Schwerfälligkeit im Höhenaufschwung, die das Singen (hoch-)dramatischer Partien mit den Jahren eben mit sich bringt (sie wird in der Zukunft etwa in San Francisco alle drei Brünnhilden singen). Insgesamt aber berührten ihre vielen schönen Piani und der wirklich tief empfundene Gesang ebenso wie die Bemühungen einer intensiven Darstellerin, die viel aus der sonst mitunter etwas passiv wirkenden Figur zu machen verstand.

Positiv überrascht war ich von Vesselina Kasarova, die in der Premiere am 30. Januar ihr Rollendebüt als Venus gab und damit einen Fachwechsel hin zum dramatischen Mezzosopranfach markiert (im Frühjahr wird sie auch zum ersten Mal die Dalila in Saint-Saens' Oper singen). Natürlich ist ihre deutsche Aussprache nichts anderes als eine Katastrophe, da liegt harte Arbeit vor der Künstlerin, die schon 1989 Ensemblemitglied in Zürich wurde und seitdem zu den Publikumslieblingen zählt, aber rein vokal hatte sie wirklich viele schöne Momente und eben auch einen wirklich schillernden, metallischen, erotischen Ton, und zu klein oder zu lyrisch fand ich die Stimme zumindest im verhältnismäßig kleinen Haus an der Limmat nicht, sie kam zudem weder in tiefer gelegenen Passagen noch bei den Spitzentönen in Bedrängnis.

Star des Nachmittags war für mich zweifellos Michael Volle, der als Wolfram nichts weniger als eine Lehrstunde in differenziertem, überlegtem Gesang, exzellenter Diktion und intensiver, aus tiefer Beschäftigung mit Wort und Musik gespeister und doch sehr spontan wirkender, nie vordergründiger Interpretation lieferte - eine Meisterleistung, zweifellos.

Alfred Muff ist seit über 20 Jahren fest am Opernhaus Zürich engagiert und so etwas wie eine Institution, und in der Tat ist er trotz eines ingesamt inzwischen sehr reifen, etwas unkontrolliert ausschwingenden Vibratos immer noch eine große Autorität als Landgraf, vor allem auch darstellerisch. Christoph Strehl steuerte als Walther von der Vogelheide dank der klangvollen Mittellage seines Tenors einige bemerkenswerte empfindsame Töne bei, während die Stimme in der Höhe an Qualität verliert, Valeriy Murga ließ als Biterolf einige Probleme mit dem deutschen Text erkennen und überzeugte auch sonst nicht besonders mit etwas rauhem, ungeschlachten Gesang, Michael Laurenz und Tomasz Slawinski komplettierten die Sängerriege als Heinrich der Schreiber und als Reinmar von Zweter, Camille Butcher erfreute mit frischem Ton als junger Hirte, und auch der Chor bewältigte seine anspruchsvolle Aufgabe in der Einstudierung von Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger auf hohem Niveau.

Großen Anteil am Erfolg dieser Produktion hat zweifellos Ingo Metzmacher, der das Werk zum ersten Mal dirigiert und dabei mit einer im besten Sinne des Wortes unspektakulären, sehr durchdachten, aber nie verkrampft-verkopften, sehr konzentrierten, durchweg sehr transparenten und dynamisch sehr differenzierten Wiedergabe triumphierte, der kein bisschen Effektheischerei und falsches Pathos anhaftete. Im ersten Aufzug hatte man sich übrigens für die Pariser Fassung entschieden, während man im zweiten und dritten Aufzug konsequent auf die Dresdener Fassung zurückgriff (im Programmheft wird diese Mischfassung als Wiener Fassung von 1875 bezeichnet).


FAZIT

Eine in jeder Hinsicht grundsolide Wagnerproduktion mit einem stringenten Regiekonzept und einer musikalisch insgesamt überzeugenden Umsetzung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Harry Kupfer

Bühnenbild
Hans Schavernoch

Kostüme
Yan Tax

Lichtgestaltung
Jürgen Hoffmann

Choreografie
Philipp Egli

Choreinstudierung
Jürg Hämmerli
Ernst Raffelsberger

Video-Bearbeitung
Timo Schlüssel

Dramaturgie
Regula Rapp
Ronny Dietrich



Chor, Zusatzchor
und Zuzüger der
Oper Zürich

Statistenverein am
Openhaus Zürich

Extra-Ballett /
Figuranti speciali

Ballettschule für das
Opernhaus Zürich

Orchester der
Oper Zürich

Englischhorn:
Clément Noel


Solisten

Heinrich,
Landgraf von Thüringen
Alfred Muff

Tannhäuser
Robert Dean Smith

Wolfram von Eschenbach
Michael Volle

Walter von der Vogelweide
Christoph Strehl

Biterolf
Valeriy Murga

Heinrich der Schreiber
Michael Laurenz

Reinmar von Zweter
Reinhard Mayr

Elisabeth, Nichte
des Landgrafen

Nina Stemme

Venus
Vesselina Kasarova

Ein junger Hirte
Camille Butcher

Vier Edelknaben
Claire von Ziegler
Rebecca Rüegger
Alissa Davidson
Isabel Kriszun






Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Zürich
(Homepage)



Da capo al Fine

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