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Norma

Tragedia lirica in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
nach der Tragödie Norma ou L'Infanticide (1831) von Alexandre Soumet
Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Zürich am 27. Februar 2011
Besuchte Aufführung: 13. März 2011


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Opernhaus Zürich
(Homepage)
Zu wenig Stimme und zu viel Raum für Reflexion

Von Thomas Tillmann / Fotos von Suzanne Schwiertz


"Als Künstlerin beanspruchte die Callas stets das Ganze, die Totalität der Empfindungen, und suchte bis in die Wurzel jeder Phrase, jedes einzelnen Tones, nach dessen dramatischem Sinn, seinem Wahrheitsgehalt, seinem humanen Kern, und hielt bis zuletzt daran fest, dass Kunstgesang grundsätzlich nur der glaubhaften Darstellung des menschlichen Seelenzustandes zu dienen habe. Schöngesang ohne konkretes emotionales Motiv ... war für sie nicht denkbar", erinnert der renommierte Attila Csampai in einer "Flammende Menschenbilder für die Ewigkeit" überschriebenen Kolumne in der anlässlich der Zürcher Neuproduktion erschienenen, im Opernhaus ausliegenden Special Edition der Zeitschrift "Musik & Theater" und fährt mit strengen, zornigen, wahren, vielleicht etwas pathetischen und pessimistischen Worten fort, die nichtsdestotrotz dem Rezensenten aus der Seele sprachen, der mehr als enttäuscht das Opernhaus verließ: "Man nenne mir eine Lucia, eine Norma, eine Tosca, eine Violetta, eine Medea, eine Leonora, eine Elvira oder Rosina oder wie ihre einzigartigen Schöpfungen alle heissen, die authentischer waren als jene der Callas. Sie hat ihre Figuren zu Ende geführt, zu Ende gedacht, zu Ende gesungen. Seit ihrem Weggang ist der Niedergang der Gesangskunst eklatant, unaufhaltsam, unwiderrruflich ... die heutigen Stars betreiben Resteverwertung oder Ruinenbeschau vor unmusikalischen Massen. Die Aura des Kunstwerks Oper hat sich zurückgezogen aus dem eigentlichen Musikbetrieb, der Geist ist zurückgekehrt in die Flasche, in die Musikkonserve, und gibt sich nur noch dem Interessierten, dem zum Zuhören bereiten und emotional Empfänglichen zu erkennen". Und schließlich, auf die Aufnahmen der Callas bezogen: "Dieses klingende Archiv ihrer Kunst, dieses Seelenkraftwerk ist unantastbar, unzerstörbar, der härteste Schutzschild gegen Ignoranz, Inkompetenz und Unmusikalität. Und je mehr die Gesangskunst ihre vormaligen ästhetischen Normen und musikalischen Ansprüche verliert, desto wichtiger werden ihre klingenden Zeugnisse als unverbrüchliche Erinnerungs-Dokumente einer Kunsthöhe und Kunstvollkommenheit, die die Gattung Oper einmal erreichen konnte".


Vergrößerung Norma (Elena Mosuc), Priesterin und Frau.

Elena Mosuc, Protagonistin der Neuproduktion und Rollendebütantin (und Nachfolgerin der kürzlich verstorbenen Margaret Price, die "mit ihrem seelenvoll elegischen Gesang", wie Andrea Meuli es treffend beschreibt, vor dreißig Jahren die Zürcher verzauberte und bis heute die Sammler von Mitschnitten entzückt), für ihre Königin der Nacht, Zerbinetta, Konstanze, Lucia, Violetta, Elvira, Mimì, Musetta, Linda, Aminta, Micaela, Luisa Miller und Marguerite in Zürich verehrt, hat in Renata Scotto ihr persönliches Vorbild für die Druidenpriesterin gefunden, die Levine-Einspielung mit der Italienerin findet sie "in verschiedener Hinsicht perfekt", während Maria Callas die Partie "zwar faszinierend, aber viel zu dramatisch" singe: "Manchmal fehlt ihr das ... Schwebende, dann wird sie laut und aggressiv. Kurzum, es mangelt hin und wieder an jener Intimität, die ich bei Renata Scotto so bezwingend finde" - Si tacuisses, philosophus mansisses, möchte man der Sopranistin in Anlehnung an Boethius ans Herz legen; wo soll man anfangen, wenn man auflisten soll, was Elena Mosuc in dieser Partie fehlt?

In mancherlei Hinsicht haben Künstlerin und Stimme sich in den letzten Jahren meines Erachtens nämlich nicht weiterentwickelt, vieles von dem, was ich im November 2002 über ihre Elvira in den Essener Puritani geschrieben habe, behält Gültigkeit: "Die Begeisterungsstürme, die der wirklich sehr kleine, in der Tiefe kaum vernehmbare, in der Höhe reichlich weiße Sopran von Elena Mosuc ... auslöst, habe ich nie verstehen können ... die Rumänin kam über das Aneinanderreihen von nicht einmal durchgängig schönen, besonders im Forte ... das Flackern der Überforderung aufweisenden Tönen und Phrasen ... nicht hinaus, wobei manche Acuti ... reichlich angestrengt klangen. Ausdruck versuchte die Künstlerin ... nicht aus der Entfaltung und Färbung der Gesangslinie, nicht durch die Illuminierung der Wörter" zu erzielen, und so blieb sie auch diesmal vokal ziemlich allgemein, was dem Wunsch des Regisseurs nach Nicht-Interpretation entsprechen dürfte, ebenso wie der sehr helle, bisweilen sogar anonyme Ton (in Normas "dunkelsten Momenten muss sie leicht und hell sein. Das ist wesentlich. Wenn man 'dunkel' spielt, indem man schwer ist, ist das langweilig", verrät uns Wilson). An technischer Souveränität und Virtuosität hat die Stimme indes bereits einiges eingebüßt, das könnte der Preis sein für zu schwere Rollen, ich erinnere mich auch an mehr Kreativität in den Kadenzen, und dass die Rumänin sich bei exponierten Stellen fast immer an der Rampe aufhielt, war sicherlich auch kein Zufall. Für mich war Elena Mosuc nichts anderes als eine Enttäuschung als Norma, selbst wenn man ihre Leistung nicht mit denen der ganz Großen vergleicht. Dass das Publikum es auch an diesem Nachmittag anders sah, will ich nicht verschweigen.


Vergrößerung

Adalgisa (Michelle Breedt) ist überfordert mit ihren Gefühlen, die sich zwischen Liebe und Pflichterfüllung bewegen.

Michelle Breedts gleichfalls schlanker, nicht besonders farbiger, besonders in der Tiefe kaum präsenter Mezzo passte gut zu Elena Mosucs kleinem Sopran, die Südafrikanerin machte allerdings erheblich mehr aus dem Text als die Kollegin, phrasierte geschickter und sang auch dynamisch mit mehr Variation, manches vollendete Piano behält man in Erinnerung, aber auch scheppernde Töne im Forte - eine Offenbarung war sie als Adalgisa also auch nicht (das soll Agnes Baltsa 1981 für viele gewesen sein, ich bin auch bei dieser Künstlerin immer hin- und hergerissen). Roberto Aronica sang in dieser Serie erstmals die anspruchsvolle Partie des Pollione und erwies sich dabei nicht gerade als Stilist, sondern eher als robuster, etwas eindimensionaler Sänger mit durchaus heldische Töne aufweisendem Material, etwas eckiger Stimmführung, wenig Eignung für eine korrekte Ausführung von schnelleren Notenwerten und mit einer Vorliebe für Dauerforte, auch wenn er sich etwa im Duett mit Adalgisa zumindest um einige Feinheiten bemühte. Im Terzett indes waren Sopran und Mezzosopran kaum noch zu hören, wenn er mezzoforte sang, da hätte man einfach einen Interpreten mit kleinerer Stimme engagieren müssen, um einen ausgewogeneren Klang zu erzielen. Giorgio Giuseppinis reifer Bass hat vor allem wenig Farbe in der mitunter hart erkämpften Höhe, der Italiener schien sich wie sein Tenorkollege in dem Regiekorsett nicht recht wohlzufühlen und scheint mir auch kein Belcantospezialist zu sein. Michael Laurenz assistierte mit durchdringendem Ton adäquat als Flavio, Liuba Chuchrova mit irritierenden Flaschentönen als Clotilde.


Vergrößerung Norma (Elena Mosuc) plant, Polliones Kinder zu töten.

Paolo Carignani, den ich von vielen spannenden Opernabenden in Frankfurt in guter Erinnerung hatte, weiß in der Theorie, welche Aufgabe dem Dirigenten bei Bellini in erster Linie zukommt: "Man kann eine schöne Melodie singen, aber wenn von der Begleitung und von der Dynamik her keine Spannung vorhanden ist, dann wird sie nichtssagend. Das Orchester erhält dadurch eine besondere Rolle, die nicht weniger protagonistisch ist als bei Wagner und Strauss." Besonders inspirierend war das, was da aus dem Graben kam, indes nicht, meistens drang es sehr diskret und leise ans Ohr, was nicht wunderte angesichts der begrenzten Mittel vor allem der auf der Bühne sich befindenden Damen, in beherzteren Momenten freilich auch nicht sehr raffiniert. Dass er ein Kavalier ist, bewies der Italiener, als er ein irritierend schnelles Tempo für das erste Finale anschlug, das beim "Guerra"-Chor indes sehr vordergründig wirkte (die Einsätze der Damen und Herren des Kollektivs indes gehörten zu den wenigen Posten auf der Habenseite an diesem Nachmittag). Begrüßenswert fand ich die Entscheidung, das Werk strichlos zu präsentieren - nach Angaben des Dirigenten inspiriert von Riccardo Muti, von dem er eine beeindruckende Norma in Florenz mit der Scotto in Erinnerung hatte (und der, wir erinnern uns, bei seiner Einspielung mit Jane Eaglen bei allen auch hier zu machenden Einschränkungen richtigerweise einen dramatischen Sopran beschäftigte!) -, und die Cabalette wiederholen zu lassen (wobei hier die Solisten offenbar mehr Unterstützung beim Erfinden von Variationen gebraucht hätten), während ich die Schlusswendungen am Ende einzelner Nummern - pace, Bellini - doch verzichtbar finde.


Vergrößerung

Norma (Elena Mosuc) legt nach ihrem Geständnis ihrem Vater Oroveso (Giorgio Giuseppini, rechts) ihre Kinder ans Herz; Pollione (Roberto Aronica, links) wird mit ihr sterben.

Und die Regie, um die so großes Aufheben gemacht wurde? Wilson nennt sein Theater "formales Theater, das mit Mitteln der Abstraktion eine nicht-naturalistische Ausdrucksweise ermöglicht", ein Konzept, mit dem er im Verbund mit seinen Darstellern "eine höhere Form der Wahrhaftigkeit" anstrebt, "die von einem inneren Gefühl gespeist ist und sich einer vordergründigen Veräusserlichung verweigert", ein Konzept zudem, das sich jeder eindeutigen Interpretation und Psychologisierung verschließt und stattdessen "Distanz zu schaffen" versucht, was "Raum für Reflexion" eröffne ("Respektiere das Publikum, dränge dich ihm nicht auf!"), ein Konzept schließlich, dass auf allzuviel Bewegung verzichtet ("Viel Bewegung verkörpert das Leben nicht eher ... Dies kann nur eine bestimmte ausgewählte Bewegung", wusste Edward Gordon Craig schon 1905). Dem Rezensenten bleibt nichts anderes übrig, als sich als zu oberflächlich, zu sehr dem Konkreten verhaftet und zu wenig intellektuell zu outen, um sich auf diese abstrakte Formensprache einlassen zu können, als jemand, der zu seiner eigenen Schande lieber Menschen aus Fleisch und Blut, engagierte Darsteller auf der Bühne sieht, die Persönlichkeit und Herzblut einbringen und nicht artifizielle, stilisierte Gesten ausführen (in sehr eleganten Kostümen von Moidele Bickels übrigens), als jemand, der Künstlichkeit nichts Wahrhaftiges abgewinnen kann, als jemand also, der Wilsons Ansatz vermutlich einfach nicht versteht und dabei womöglich neben seiner Ignoranz auch noch böswillige Absichten in sich trägt, wenn er den Eindruck nicht verschweigt, das über weite Strecken auf der Bühne nicht Intensität, sondern Langeweile regierte und mir die Aufführung, anders als vom Regisseur intendiert, nicht die Möglichkeit eröffnete, "die Musik besser zu hören, als wenn ich mit geschlossenen Augen im Theater säße". Keine geringe Kraft entfaltete dagen die reduzierte Optik der Produktion und damit der Versuch, industrielle Lichtquellen und Beleuchtungskörper aus dem öffentlichen Raum wie Strassenlaternen oder Parabollampen, wie sie in Leuchttürmen verwendet werden, auf der Bühne einzusetzen. Wilson ist hier inspiriert von der zeitgenössischen Lichtkunst eines Olafur Eliasson oder eines Doug Wheeler, und auch die mythischen Wesen auf dem "Kessel von Gundestrup", einem 2000 Jahre alten Ritualgefäss aus vergoldetem Silber, das wahrscheinlich aus Gallien stammt und Darstellungen seltsamer Götter, Krieger, Tiere und Fabelwesen trägt, tauchen auf der Bühne auf.


FAZIT

Eine Norma, die zumindest den Rezensenten in keiner Hinsicht überzeugen konnte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung, Bühnenbild
und Lichtkonzept
Robert Wilson

Co-Regie
Gudrun Hartmann

Co-Bühnenbild
Stephanie Engeln

Kostüme
Moidele Bickel

Lichtgestaltung
AJ Weissbard

Choreografie
Philipp Egli

Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger

Dramaturgie
Konrad Kuhn



Chor der Oper Zürich

Statistenverein am
Opernhaus Zürich

Orchester der
Oper Zürich


Solisten

Pollione
Roberto Aronica

Oroveso
Giorgio Giuseppini

Norma
Elena Mosuc

Adalgisa
Michelle Breedt

Clotilde
Liuba Chuchrova

Flavio
Michael Laurenz

Normas Kinder
Soraya und Florian Escobar

Junge Norma
Nina Russi





Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Zürich
(Homepage)



Da capo al Fine

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