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Musiktheater
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Castor et Pollux

Tragédie en musique et cinq actes (1754)
Libretto: Pierre-Joseph Bernard
Musik von Jean-Philippe Rameau


Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Theater an der Wien am 20.01.2011
(rezensierte Vorstellung: 26.01.2011)

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Theater an der Wien
(Homepage)

Un problème

Von Bernhard Drobig / Fotos: © Monika Rittershaus

Als in der Hochzeit des Pariser Buffonistenstreits Jean-Philippe Rameau anno 1754 seine 18 Jahre zuvor nur mäßig aufgenommene Tragédie en musique Castor et Pollux in einer Überarbeitung vorlegte, begann für dieses Werk ein Siegeszug sondergleichen: Mit über 250 Aufführungen während dreier Dezennien wurde es Rameaus meistgespieltes Bühnenwerk überhaupt. Inzwischen erfreuen sich auch seine anderen Erfolgstitel zunehmender Beliebtheit, und so tat Christophe Rousset gut daran, das hohe Lied auf altruistische Bruderliebe neu einzustudieren, für eine Neuinszenierung, die er der Regisseurin Mariame Clément anvertraute, mit der er erst kürzlich in Strasbourg erfolgreich bei Platée zusammenarbeitete (unser Bericht). Sie aber erwies dem Werk keinen guten Dienst. Indem sie nämlich die von Rameau höchst raffiniert in die Handlung integrierten Tänze gleichsam zu einer Art Hintergrundmusik für eine in Inhalt und Personenführung dürftige Rückblende auf Kindheit und Jugend der Gebrüder, später auch für filmisch eingeblendete Lebenserinnerungen des in elysischem Einzelzimmer Sinnierenden degradiert, raubt sie dem Meisterwerk ein essentielles Ingrediens, und das ohne jeden zusätzlichen Erkenntnisgewinn, etwa für die Frage, warum der eine unsterblich ist, der andere nicht, ein Faktum, das sie bei ihrer mit anderer Vergangenheit spielenden Halbaktualisierung der Handlung als Familiengeschichte nicht ignorieren kann, und das sie am Ende gar in die Enge treibt, die «Heimholung» beider Brüder zu einem Triumph der eifersüchtig missgünstigen Femme fatale über ihre, den Sarg verlorener Liebe im Trauerkondukt des Hausgesindes beklagende Schwester zu machen – übrigens zu den Klängen der völlig anderes konnotierenden Chaconne.


Vergrößerung Castor im Elysium

Das Libretto und seine szenischen Anweisungen geben dergleichen, wenn überhaupt, nur sehr bedingt her. Zur Erinnerung: Bei den Hochzeitsvorbereitungen für Télaïre und Pollux, klagt Phébé darüber, dass Castor sie nicht beachtet. Als auch noch Pollux zu dessen Gunsten auf Télaïre verzichtet, lässt sie diese entführen, wobei Castor tödlich verletzt wird. Dann bietet sie Telaïre die Wiederbelebung Castors an, verlangt aber deren Verzicht auf ihn, jedoch ohne Erfolg. Inzwischen hat Pollux den Mörder seines Bruders erschlagen und bittet Jupiter, Castor aus der Unterwelt herausholen zu dürfen. Jupiter lässt nur einen Tausch zu und erinnert Pollux an die Freuden der Unsterblichkeit, die ihm verloren gehen würden. Pollux bleibt bei Jupiters Angebot und hindert auf dem Weg in die Unterwelt Phébé, dort ihre magischen Künste zu versuchen. Im Elysium träumt Castor von seiner Liebe zu Télaïre, will aber sein Schicksal nur für einen Tag mit Pollux tauschen. Er geht zu Télaïre für ein letztes Lebewohl, das diese verzweifeln lässt. Jupiter aber erhebt beide Brüder zum Lohn für ihre Treue zu den Sternen.


Vergrößerung

Castor und Télaïre bei Hochzeitsfeier

Madame Clément nun verlagerte dieses schon durch seinen Szenenwechsel keineswegs spannungsarme Geschehen in eine Villa des frühen 20. Jahrhunderts, genauer gesagt in ein steil ansteigendes, sich hinter der Mitteltür im Obergeschoss als des Hausherrn Entrée weiter fortsetzendes Treppenhaus mit roten Teppichen. Sich magisch öffnende Seitentüren dienen den Zu- und Abgängen der in gestriegeltem grauem bzw. braunem Anzug agierenden Titelhelden, des in Hochzeitsweiß, später Trauerschwarz und in Giftgrün gekleideten Schwesternpaares sowie des je nach Umständen mit mehr oder weniger weißen Applikationen auftretenden Dienstpersonals. Matt beleuchtete Ahnenbilder auf der Stockwerksgalerie sind der einzige Dekor des wenig einladenden Foyers der Tristesse, sieht man von den Farbtupfern einer olympische Freuden suggerierenden Partygarderobe ab. Einzige Abwandlung der Szene: ein weißer schwebender dreiseitiger Erker mit einer schlichten Pritsche als Elysium, wo übrigens der zum Divertissement ausführlich vollzogene Kleidertausch der Brüder, mit Ausnahme der Unterhose versteht sich, mehr als armselig wirkte. Zugegeben, die Treppe ermöglichte ausducksstarke Chortableaus, nur fand eben zu viel Einzelzuwendung auf ihr statt, und wurde sie leider auch für das menschenunwürdige Herabrollen eines Ermordeten genutzt – welch eine Hochachtung für Künstler, deren Hauptaufgabe es ist, ihre stimmlichen Qualitäten einzubringen.


Vergrößerung Télaïre von Phébé bedrängt

Es konnte nicht ausbleiben, dass der eintönige Blick in diese symmetrisch angelegte Einheitsbühne eher ennuyierend wirkte statt Rameaus Musik eine angemessene sie tragende Folie zu geben. Und so blieb es denn eine veritable Anstrengung, bei Roussets teilweise verbissen, streckenweise sogar pastos wirkendem Zugriff die vielen subtil gestalteten Klangfarben des Orchesters aufzunehmen, den so legendären Klangzauber, den Rameau natürlich nicht um seiner selbst willen, sondern handlungsstützend und -erläuternd im Blick auf das Verschmelzen musikalischer und dramatischer Strukturen hin entwickelt hat und den die Orchestermusiker (hier mit dem Dirigenten 35 Künstler) in der bei Les Talens Lyriques selbstverständlichen Aufmerksamkeit und Präzision artikulierten.


Vergrößerung

Jupiter zeigt Pollux entgehende Freuden

Schwer vorstellbar, dass solches Ambiente die Protagonisten in der Entfaltung ihrer Qualitäten nicht belastete. Wirklich überzeugen konnte jedenfalls nur Christiane Karg: Mit makellos geführten, fein abgestuften Sopranwerten schöpfte sie die Rolle der leidgeprüft liebenden Télaïre in Deklamation und Arien wie auch in darstellerischer Hinsicht voll aus. Anne Sofie von Otter hingegen blieb trotz ihres zur Rolle passenden dunklen Mezzos der Porträtierung der neidisch eifersüchtigen, dann hinterlistig intrigierenden, zudem magischer Kräfte wegen unheimlich wirkenden Phébé sowohl stimmlich wie im Bühnenverhalten manches schuldig. Was im Grunde genommen auch für den zwar kraftvoll auftrumpfenden, doch nicht unbedingt intonationssicheren, geschweige denn gefühlsbetonten Bariton Dietrich Henschel als Pollux gilt. Und schließlich verfügte auch der wie Henschel im Barockrepertoire nicht sonderlich bewanderte helle lyrische Tenor Maxim Mironov trotz beeindruckender Geschmeidigkeit nicht über die erforderliche Souveränität, Castor emotional zu gestalten. Die zumeist nur wenige Takte umfassenden Nebenrollen waren angemessen besetzt, während der im Haute-Contre um französische Gäste angereicherte Arnold Schoenberg Chor zwar eine überzeugende Leistung bot, mit seinen 32 Stimmen in der Enge des Bühnenraumes aber viel zu kompakt wirkte. Gleichwohl, ihm, dem Orchester, Frau Karg und Maestro Rousset galt besonders herzlicher Applaus.


FAZIT

Ein problematischer Regieansatz brachte Rameaus Werk um seine eigentliche Substanz, Sänger um eine freiere, mehr in die Tiefe gehende Auslegung ihrer Rollen, und das Publikum um die bei einer Tragédie lyrique in besonderem Maße geforderte Konzentration.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christophe Rousset

Inszenierung
Mariame Clément

Ausstattung
Julia Hansen

Licht
Bernd Purkrabek

Videodesign
fettfilm

Chor
Erwin Ortner

Dramaturgie
Ute Vollmar


Arnold Schoenberg Chor

Les Talens Lyriques


Solisten

Castor
Maxim Mironov

Pollux
Dietrich Henschel

Télaïre
Christiane Karg

Phébé
Anne Sofie von Otter

Jupiter
Nicolas Testé

Grand Prêtre
Pavel Kudinov

Mercure/Athlète
Enea Scala

Cléone / une suivante d'Hebée /
une ombre heureuse
Sophie Marilley


Weitere Informationen

Theater an der Wien
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