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Musiktheater
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Alcina

Oper in drei Akten, HWV 34
Libretto von Antonio Fanzaglia
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 31h 45' (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Wien am 14. November 2010


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Staatsoper Wien
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Späte Punktlandung in Wien

Von Roberto Becker / Fotos: Michael Pöhn

Der Erfolg von barocken Opern gilt heute überall als ausgemacht. Besonders, wenn von spezialisierten Orchestermusikern zu Darmseiten gegriffen oder zumindest historisch informiert gespielt wird. Wenn noch eine mit der barocken Opernästhetik spielende oder auch frech gegen den Strich gebürstete Inszenierung dazu kommt, dann gibt's im besten Falle kein Halten, wenn die prima donna eine Bravourarie über die Rampe schmettert oder mit einer anderen Arie die Zeit angehalten wird. Händels Alcina bietet von alledem jede Menge. Diese Zauberoper kann es an Popularität und Bühnenpräsenz mittlerweile durchaus mit Giulio Cesare oder Serse aufnehmen. Sogar die dem barocken Verwirrspielen verpflichtete Handlung ist in ihren Grundzügen vergleichsweise klar und einigermaßen nachvollziehbar.


Foto kommt später

Scheinbar ungetrübtes Liebesglück: Alcina (Harteros) und ihr Liebhaber Ruggiero (Kasarova)

Bradamante ist ihr Verlobter Ruggerio abhanden gekommen. Nicht ganz aus freien Stücken, denn er ist der Favorit jener Zauberin Alcina, die ihre Liebhaber immer mal austauscht und die Abgelegten in alles Mögliche verwandelt. Bradamante nimmt den Kampf auf, verkleidet sich als Mann und taucht (begleitet von ihrem Lehrer Melisso – einen Bass braucht man schon) als Ricciardo auf Alcinas Insel auf. Die Verkleidung ist offenbar so gut, dass sich Alcinas Schwester Morgana (die mit Oronte ihrerseits einen Nebenrollen Verehrer und eine der eingängigsten Hits der Oper ihr eigen nennt) sofort in diesen vermeintlichen Mann verliebt. Was natürlich Ärger mit Oronte einschließt. Weil sich Morgana für Ricciardo entscheidet, verrät Oronte die Zauberleidenschaft Alcinas und behauptet obendrein, dass Alcina sich in den Neuankömmling verliebt habe, was wiederum Ruggerio zur Weißglut bringt. Klarheit in die Verwirrung kommt erst als Ruggerio (mittels Zauberring) wieder durchsieht und die ursprünglichen Gefühle (Bradamante-Ruggiero) die Oberhand gewinnen. Gegen den vereinten Widerstand aller anderen helfen Alcina auch die herbeigerufenen Dämonen nicht mehr – ihre Macht ist gebrochen. Am Ende sind die Paare glücklich vereint und alle von der Zauberin verwandelten Ex-Liebhaber kehren in ihrer menschlichen Gestalt zurück.


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Beim Ausflug ins Grüne…. Alcina (Harteros) und Ruggiero (Kasarova)

Regisseur Adrian Noble hat diesem hinreichend verwickelten Plot noch eine Rahmenhandlung vorangestellt. Er lässt eine Adelsgesellschaft um die Herzogin von Devonshire, Georgiana Cavendish, im eigenen Ballsaal die Zauberoper als Theaterfest aufführen. Was als Idee ganz witzig klingt und in dem Ballsaal, den Anthony Ward auf die Bühne gesetzt hat, auch mit angemessen barocker Opulenz daher kommt, bleibt freilich im Verlauf des Abends doch nur eine uneingelöste Behauptung. Zwar macht es Effekt, wenn ein riesiger Heißluftballon mit den Inselbesuchern punktgenau im Salon landet, aber damit ist dann auch schon die inszenatorische Luft 'raus. Auch wenn die Rückwand des Salons verschwindet und den Blick auf eine grüne Wiese freigibt - wohl, weil einer der Arien, die grünen Wiesen besingt. Wenn mit dem Ballon und der Wiese die beiden Salon-Erweiterungen abgehakt sind, wird es eng. Da schauen die livrierten Perückenträger nur noch zu, amüsieren sich mäßig, trinken mal ein Schlückchen, reichen mal einen Stuhl, haben aber sonst keine Funktion. Was übrigens auch für das eingefügte Ballett gilt. In diesen Einlagen kommt man in Wien nicht über ein illustrierendes Herumspringen und –schreiten hinweg. Eine eigene Erzählebene und dramaturgische Funktion (wie beispielsweise in David Aldens Ariodante in München) ist da nicht zu erkennen. Da bleibt dann für das singende Personal nur die Flucht an die Rampe. Was zwar keine szenische Erleuchtung bringt, aber dem Eigentlichen, der Musik und dem Gesang nicht schadet. Im Gegenteil!


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Die Inselbesucher auf schwieriger Mission: Bradamante (Kristina Hammarström) und Melisso (Adam Plachetka)

Denn hier, im Musikalischen, liegt das Spektakuläre dieser Händel-Produktion. Mit ihr wird eine sage und schreibe 50 Jahre währende Barockabstinenz an der Wiener Staatsoper beendet. Der neue Direktor hat dafür gleich noch ein Tabu gebrochen. Das erste Mal überhaupt sitzen nämlich nicht die Wiener Philharmoniker in ihrer Funktion als Staatsopernorchester im Graben. Der Franzose Dominique Meyer hat mit Marc Minkowski und seinem historischen Spezialensemble Les Musiciens du Louvre-Grenoble Landsleute nach Wien eingeladen. Was allen Unkenrufen zum Trotz in der Staatsoper akustisch hervorragend funktioniert hat. Minkowski ist zwar im Moment eifrig dabei, sich nicht auf den Barockspezialisten festlegen zu lassen. Aber er ist es halt. Und so macht er denn aus Händels Arien, die in der Alcina, vom emotionalen Bravourfuror bis zur tiefen melodiösen Gefühligkeit alles bieten, ebenso ein Fest wie aus den orchestralen Passagen etwa der Ouvertüre oder der Ballettmusiken. Alles mit äußerster Präzision, transparent und lustvoll, so wie man es von Minkowski eben erwartet.

Der eindeutige Star seines Ensembles ist Anja Harteros als Alcina. Betörend wie sie ihre Stimme aus dem Nichts aufblühen lassen kann, ohne jede technische Beschränkung mühelos in den Höhen, aufbrausend und mit beeindruckender Kraft in der Wut und tief berührend in der Verzweiflung. Offenbar ist diese wunderbare und obendrein sympathisch charismatische Sängerin an einem Punkt in ihrer Karriere, wo sie mit unangefochtener Souveränität nicht nur als Wagners Elsa und Verdis Desdemona, sondern eben auch als Händels Alcina Maßstäbe setzt.


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Die Zauberin als verzweifelte Diva (Harteros)

Obwohl vor allem die Wiener Presse manche Angestrengtheit oder hörbare Eigenwilligkeit Vesselina Kasarovas über Gebühr ankreidete, so bleibt diese Mezzosopranistin ein im Ganzen, auf höchstem Niveau überzeugender, mitreißend gestaltender Ruggiero. Kristina Hammarström vermag mit technischer Leichtigkeit und ihrem samtigen Timbre als Bradamante zu überzeugen, während Veronica Cangemi mit ihrer nicht ganz so großen Stimme als Morgana da etwas zurückbleibt. Die in die zweite Reihe verbannten Männer haben es gegenüber dieser Frauenpower von vornherein schwer, machen ihre Sache aber gut. Ob nun Benjamin Bruns als Morganas Verehrer Oronte und Adam Plachetka als Bradamantes Begleiter Melisso. Auch der Wiener Sängerknabe (!) Shintaro Nakajima wird für seinen Oberto (ein Kind, das nach seinem Vater sucht) ganz zu Recht bejubelt.


FAZIT

Musikalisch ist diese Alcina ein Triumph. Dass sie szenisch weit hinter den Möglichkeiten zurückblieb, die selbst eine historisierende Inszenierung bieten würde, ändert nichts an dem eindeutigen Erfolg, den Dominique Meyer mit der zweiten, Neuland beschreitenden Premiere seiner Amtszeit verbuchen kann.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Mark Minkowski

Inszenierung
Adrian Noble

Ausstattung
Anthony Ward

Licht
Jean Kalman

Choreographie
Sue Lefton



Les Musiciens du Louvre – Grenoble

Wiener Staatsballett


Solisten

Alcina
Anja Harteros

Morgana
Veronica Cangemi

Ruggiero
Vesselina Kasarova

Bradamante
Kristina Hammarström

Oronte
Benjamin Bruns

Melisso
Adam Plachetka

Oberto
Shintaro Nakajima (Wr. Sängerknabe)



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Wiener Staatsoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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