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Musiktheater
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La fede ne' tradimenti

Dramma per musica in tre atti (1701)
Libretto von Girolamo Gigli
Musik von Attilio Ariosti


Aufführungsdauer: ca. 3h 25' (zwei Pausen)

Konzertante Aufführung im Wiener Konzerthaus, Großer Saal, am 23. Januar 2011

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Wiener Konzerthaus
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Verblüffende Erstbegegnung

Von Bernhard Drobig / Fotos: © fra bernardo

Auf der Grundlage einer von der Akademie für historische Aufführungspraxis Berlin initiierten Edition erklang im Abschlusskonzert des heuer 19. Alte Musik Festivals beim Wiener Konzerthaus in dessen großem Saal La fede ne' tradimenti, die vierte Oper des Bolognesers Attilio Ariosti (1666-1729), eines musikalisch vielseitig begabten Mönchs, der als Sänger, Instrumentalist (Organist, Viola d'amore) und Komponist hervorgetreten ist. Zeitweise stand er im Dienst verschiedener europäischer Höfe, ab 1716 bis zu seinem Tode lebte er in London, wo er unter anderem in Händels Opernorchester Viola d'amore spielte und neben Händel Opern für die Royal Academy of Music schuf. La fede ne' tradimenti entstand anno 1701, als er Hofmusiker der Brandenburgischen Kurfürstin und späteren preußischen Königin Sophie-Charlotte war, ein Auftragswerk zum ersten Geburtstag ihres Gatten in der neuen Würde als König Friedrich I. Ariosti, der eine andere Vertonung des Stoffes bereits in Bologna oder Mantua kennen gelernt haben dürfte, griff auf die nur vier Personen umfassende Urfassung des Librettos zurück, das der Komödiendichter Girolamo Gigli zum Karneval 1689 für das Jesuitenkolleg von Siena geschaffen hatte, und das eine Art Satire auf das Heldentum spanischer Ritterromane ist.


Vergrößerung Fabio Biondi, Primgeiger und musikalischer Leiter

Die Handlung spielt im mittelalterlichen Spanien: Graf Fernando begegnet im Krieg gegen den König von Navarra diesem in Todeskrämpfen und tötet ihn wunschgemäß. Dem Friedensvertrag mit dessen Sohn Garcia zufolge soll er dessen Schwester Anagilda heiraten. Seine eigene Schwester Elvira wittert freilich ein Falle, und wirklich versucht Garcia, Fernando zu töten, was Anagilda verhindern kann. Angewidert von diesem Verrat, befreit sie den inzwischen eingekerkerten Fernando, wird dabei aber mit eben dem Schwert verletzt, das Elvira ins Gefängnis geschmuggelt hatte. Als Elvira den Kerker leer sieht und aus Blutspuren schließt, ihr Bruder sei tot, wird sie von Garcia arretiert und vor die Wahl gestellt, ihn zu heiraten oder zu sterben. Auf Anraten Anagildas meldet sich dann der geflohene Fernando unerkannt zum Gottesgericht über Elviras Haupt, kann jedoch schon vor dem Kampf verhindern, dass diese Garcia tötet und erhält von ihm Anagilda und den Thron.

Ariosti hat diesem Verlauf eine verblüffend interessante musikalische Struktur verliehen. Zwar atmet das Werk noch den Geist der späten Cavalli-Opern, insofern die Rezitative mit vielen kurzen, insgesamt 52 Arien und Duetten wechseln, die bis auf wenige einteilige alle dem Da-capo-Muster folgen und überwiegend von Streichern und Generalbass, gelegentlich auch nur vom Continuo begleitet werden. Nur vereinzelt treten Violine und Viola d'amore sowie Oboen, Fagott und Flöte konzertierend hinzu, teilweise vertreten gar Bläser die Streicher. Von Interesse ist aber, dass sich der Orchestersatz oft unabhängig von den Vokallinien entwickelt, diese selbst durchweg gefällige Melodien aufweisen, die oft durch ausgreifende Koloraturen erweitert werden, ohne dass sie dabei zur Hauptsache würden. Sie dienen wie Intervallsprünge und Haltetöne offensichtlich nicht bravourösen Sängerambitionen, sondern mitsamt Modi und Tempi und einer raffiniert variierten Orchestrierung dazu, Stimmungen und Inhalte handlungsgerecht auszuloten und zu transportieren. Flüchtig klingen übrigens in Ritornellen und Arien Motive an, bei denen man Händel zu hören glaubt.


Vergrößerung

Ensemble Europa Galante

Fabio Biondi hatte sein Ensemble Europa Galante in 16köpfiger Besetzung aufgeboten, so wie es wohl bei der Uraufführung im heutigen Schloss Charlottenburg gewesen sein wird, differenzierte den mit Cembalo, Laute, Fagott und Violoncello besetzten Basso continuo vornehmlich nach Personen, nicht Stimmungen, und animierte als Primgeiger seine Musiker mit Verve und Aplomb. Sah man vom leider zu belastend wirkenden Orgelcontinuo ab, gewann man insgesamt nicht nur einen überraschend nachhaltigen Eindruck von Ariostis starkem Einfühlungsvermögen in die mannigfachen, vor allem die von Leid bestimmten Gefühlslagen, sondern auch von einer Ausdrucksvielfalt, die sich neben Alessandro Scarlattis bekannterer Musikdramatik bemerkenswert eigenständig ausnimmt.

Man erlebte es an diesem Abend insbesondere in der Porträtierung der eigentlichen Heldin der Oper, Anagilda, durch Roberta Invernizzi. Was sie, abgesehen von der Prägnanz und Brillanz ihres flexiblen, im ganzen Ambitus ausgewogenen Soprans an emotionellen Facetten aufbot, war schlechthin atemberaubend. Nicht auszudenken, wenn sie Partner gleich intensiver Rollenidentifikation gefunden hätte, und die von ihr vermittelte Stärke von Ariostis dramatisch effektvollem Stil sich in vollem Umfang hätte entfalten können. Was nicht heißen soll, dass die routinierte Ann Hallenberg es an aufmerksamer Auslegung des Fernando-Parts hätte fehlen lassen – ihre Kerkerarie fand gar den stärksten Spontanapplaus –, nur schien sie alles gleichsam aus einer gewissen Distanz heraus zu gestalten, wie wenn sie damit den Mangel an Heldenhaftigkeit des ihr obliegenden Grafen hätte abbilden wollen. Lucia Cirillo mit dunklerem Mezzotimbre hatte sich in die Rolle der um ihren Bruder besorgten und angelegentlich für seine Unversehrtheit eintretenden Elvira gut eingefühlt, war zwar weniger punktuell expressiv, bot jedoch ausdrucksstarke geschlossene Seelenbilder. Weniger überzeugend wirkte der Bariton Johannes Weisser, der die Rüde des Tyrannen eher über Stimmvolumen bewusst zu machen trachtete, leider ohne dabei unterlaufende Intonationstrübungen zu vermeiden.


FAZIT

Dank des hohen Engagements aller Künstler geriet die Erstbegegnung mit einer kompletten Ariosti-Oper zu einem beeindruckenden, begeistert aufgenommenen Plädoyer für einen Komponisten, dessen auf Eigenständigkeit weisende Kompositionstechniken aufhorchen ließen und Neugier weckten für seine späteren dramatischen Werke.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabio Biondi


Europa Galante


Solisten

Anagilda
Roberta Invernizzi

Fernando
Ann Hallenberg

Elvira
Lucia Cirillo

Garcia
Johannes Weisser


Weitere Informationen

Wiener Konzerthaus
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