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Türkische Klänge zur Ud
Eine türkische Spielzeit verspricht das Musiktheater-Team der
Wuppertaler Bühnen für die Saison 2010/2011. Dabei sollen Stücke im Zentrum
stehen, die entweder aus der Türkei stammen oder mit türkischer Beteiligung
entstehen. Den Anfang machte dabei eine selten gespielte Oper von Joseph Haydn,
die zwar nicht in der Türkei spielt, aber im 18. Jahrhundert durchaus zu der
recht populären Gattung der Türkenoper gehörte, deren bekanntester Vertreter
heute sicherlich die acht Jahre später uraufgeführte Entführung aus dem
Serail von Mozart darstellt. Die Premiere fand nicht im Opernhaus in
Wuppertal statt, sondern unter musikalischer Begleitung der Bergischen
Symphoniker im Teo Otto Theater in Remscheid, bevor die Produktion nach einer
weiteren Aufführung im Theater und Konzerthaus Solingen
dann im Januar in Wuppertal ihre Premiere erleben wird. Warum man diese Premiere
allerdings auf einen Donnerstag gelegt hat, ist schwer nachvollziehbar, da doch
einige Reihen frei blieben. Leider, denn die Inszenierung hätte durchaus ein
volleres Haus verdient. Der Pascha (Selim Dursun,
vorne) beobachtet seine Frauen im Serail (von links: Dardane (Miriam Scholz),
Rezia (Banu Böke), Balkis (Dorothea Brandt)). Sucht man die Oper in einem Opernführer, so findet man sie
höchstens unter dem italienischen Titel L'incontro improvviso, einem
Werk, das Haydn auf ein italienisches Libretto komponierte, welches Glucks
zehn Jahre älteres Opus La Rencontre imprévue oder Les Pélerins de la
Mecque (Die Pilger von Mekka) zur Grundlage nahm. Erzählt wird darin
die Geschichte von einem jungen Liebespaar, der persischen Prinzessin Rezia und
Ali, einem Fürsten von Basra. Da Rezia mit einem indischen Mogul verheiratet
werden soll, fliehen die beiden, verlieren sich jedoch auf der Flucht. Rezia
landet mit ihren beiden Dienerinnen Balkis und Dardane im Harem des Sultans von
Kairo. Als auch Ali mit seinem Diener Osmin nach Kairo kommt und seine Geliebte
wiederfindet, planen sie erneut die gemeinsame Flucht. Der Plan wird jedoch
vereitelt und die Liebenden werden zum Tode verurteilt. Im letzten Moment lenkt
der Sultan allerdings ein und begnadigt die beiden, da er erkennt, dass er gegen
ihre Liebe machtlos ist. Diese Wendung in den Opern mit orientalischem Sujet war
nicht nur dem von einem Dramma giocoso erwarteten lieto fine geschuldet, sondern
zeigte auch die Vorstellung von einem humanen muslimischen Monarchen, der sich
an einer westlichen Ethik orientiert. Der Regisseur Jakob Peters-Messer hat mit seinem
Produktionsteam eine Stückfassung erstellt, bei der nicht nur der Titel in
Unverhofft in Kairo geändert wurde. Auch die Rolle des Sultans, der hier als
Pascha von Ägypten auftritt, ist ausgebaut worden, da er - anders als im
Libretto - nicht nur in der Schlussszene auftritt. Da der Pascha auch im
Libretto nur vorgegeben hat, Kairo verlassen zu haben, kann er in der
Wuppertaler Inszenierung mit reflektierenden Texten zwischen den Arien die
Vorgänge in seinem Herrschaftsbereich beobachten und kommentieren. Um das Fremde
zu betonen, hat Herr Peters-Messer die Rolle des Pascha mit Selim Dursun, einem
türkischen Schauspieler besetzt, der seine Texte auf Türkisch spricht. Die
Monologe des Pascha, die der Dramaturg Johannes Blum verfasst hat und die von
dem Vater der Rezia-Darstellerin Banu Böke, Sungur Böke,
übersetzt worden sind, geben die Handlung des Geschehens aus Sicht des Pascha
wieder und werden von Ibrahim Emin Izgialp auf der Ud, einer türkisch-arabischen
Kurzhalslaute, mit Improvisationen begleitet, die Herr Izgialp auf der Basis
alter osmanischer Musik entwickelt hat. Dadurch entsteht ein sehr
fremdländischer Klang, der dem orientalischen Charakter einer so genannten
Türkenoper für den heutigen Hörer wesentlich näher kommt, als es die doch sehr
europäische Musik Haydns vermag. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die
Lichtregie (Fredy Deisenroth), da die Szenerie während der kommentierenden Texte
des Pascha in einem kalten grellen Licht einfriert. Eine große Bedeutung kommt
in dieser Inszenierung auch dem Koran zu, in dem der Pascha häufig liest, aus
dem er rezitiert und der sein Handeln motiviert. Ali (Christian Sturm, links)
findet seinen Diener Osmin (Boris Leisenheimer, Mitte) in der Begleitung vom
Qalander (Miljan Milovi Um das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen spürbarer zu machen, hat sich Herr Peters-Messer entschieden, eine deutsche Übersetzung und eine Dialogfassung ohne Secco-Rezitative zu spielen. Bei der italienischen Fassung wäre der Kontrast zu den türkischen Passagen für den deutschen Zuschauer nicht so auffällig gewesen. Logisch ist diese Variante allerdings nicht, da die Protagonisten, Ali und Rezia, anders als Belmonte und Konstanze in der Entführung aus dem Serail nicht aus einer westlich-zivilisierten Welt stammen, sondern ebenfalls der türkischen Kultur angehören. Somit sind es eigentlich gar keine unterschiedlichen Kulturen, die in dieser Oper aufeinander treffen, was vielleicht auch als eine Schwäche des Librettos ausgelegt werden kann und erklären könnte, warum Haydns Werk nicht ein vergleichbarer Erfolg wie Mozarts Entführung beschieden war. Musikalisch kann es nämlich mit Mozarts großem Werk in den Arien durchaus mithalten. Das Bühnenbild von Markus Meyer ist sehr fantasievoll gestaltet und besteht aus einem drehbaren zylinderförmigen Turm, der durch unterschiedlich große Löcher Einblicke in das Serail, eine Straße in Kairo und einen Stall (mit lebensgroßem Kamel) freigibt. Die Wandbemalungen sind dabei sehr orientalisch gehalten. Das Serail ist mit einem großen Sofa recht spartanisch ausgestattet. Dieser Turm vermittelt eine gewisse Abgeschlossenheit gegenüber der Außenwelt und ermöglicht durch das Drehen schnelle Szenenwechsel. Die Kostüme stehen in leichtem Kontrast zum Bühnenbild, da sie relativ modern sind. Die Kopftücher, die die Frauen zunächst tragen, wirken nicht verschleiernd, sondern unterstützt durch eine große Sonnenbrille modisch. Die Derwische und ihr Anführer, der Qalander (Miljan Milovi ć mit Al Capone-Hut), entstammen mit ihren tätowierten Armen eher einer kriminellen Vereinigung als einem Orden von Bettelmönchen. Auch der Pascha wirkt mit seinem schwarzen Anzug nicht wie ein orientalischer Muselmann. So ist die Auswahl der Kostüme im Einklang mit Herrn Peters-Messers Regiekonzept.Auf der Flucht (von links: Balkis (Dorothea Brandt), Dardane (Miriam Scholz), Ali (Christian Sturm), Rezia (Banu Böke), im Hintergrund: Osmin (Boris Leisenheimer) und rechts: der Qalander (Miljan Milović)). Gesungen wird auf gutem Niveau. Christian Sturm gibt einen jugendlichen Ali mit einem schlanken strahlenden Tenor, der zum Ende hin aber leichte Ermüdungserscheinungen zeigt. Tenor Boris Leisenheimer erfreut als Diener Osmin mit sehr viel Spielfreude und vor allem guter Textverständlichkeit. Dorothea Brandt und Miriam Scholz begeistern als Dienerinnen Balkis und Dardane vor allem im Terzett mit der Prinzessin Rezia, der wohl anspruchsvollsten Partie des Stückes, die Banu Böke hervorragend ausfüllt. Mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit singt sie sich durch die zahlreichen halsbrecherischen Koloraturen, wobei ihre Stimme stets einen fülligen Klang behält und nicht scharfkantig klingt. Wie sie dann am Ende zur Ud auch orientalische Klänge verlauten lässt, zeigt, welche Bandbreite ihre Stimme hat. Nach der Begnadigung durch den Pascha ist dies der einzige Moment, in dem zu den Klängen der Ud wirklich gesungen wird. Vielleicht ist Rezia von der Güte des Pascha so beeindruckt, dass sie einen Moment überlegt, ob sie nicht doch im Serail bleiben soll. Aber der Pascha unterbricht die Musik und zieht einen Schlussstrich. Großes Lob gebührt auch den Bergischen Symphonikern unter der Leitung von Florian Frannek, die einen sehr spritzigen und sauberen Haydn-Klang aus dem Orchestergraben zaubern, der die Sänger nicht zudeckt, was bei fehlender Übertitelung der deutschen Passagen und dem mangelnden Bekanntheitsgrad des Werkes durchaus hilfreich ist. Auch der kontrastreiche Klang der Ud liefert ein ungewöhnliches Hörerlebnis. So gab es einhelligen Beifall für alle Beteiligten am Ende der Vorstellung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Ibrahim Emin Izgialp, Ud
Solisten
Ali, Fürst von Basra
Rezia, Prinzessin von Persien
Balkis
Dardane
Osmin, Alis Diener
Ein Qalander
Der Pascha von Ägypten
Offizier
Derwische Lee-Hak Young Mario del Rio Oliver Picker Javier Zapata Vera
Bauchtänzerin
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- Fine -