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La Bohème

Oper in vier Bildern

Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

Nach dem Roman Scènes de la vie de Bohème von Henri Murger
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 19. September 2010


Logo: Wuppertaler Bühnen

Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Bereichert euch! - Spare bei uns


Von Thomas Molke / Fotos von Sonja Rothweiler

Beim Eröffnungskonzert der Spielzeit am 11. September in der Stadthalle hatte der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung das Publikum aufgefordert, zur Unterstützung der Wuppertaler Bühnen möglichst viele Aufführungen zu besuchen, um ein Zeichen zu setzen, dass das Theater in Wuppertal mit allen drei Sparten gewünscht und benötigt wird. Dieser Aufforderung waren die Wuppertaler gefolgt, so dass bei der Premiere das Opernhaus nahezu ausverkauft war. Und die Zuschauer wurden nicht enttäuscht, weder musikalisch noch szenisch. Wenn auch Puccinis Meisterwerk mit dem von Johannes Weigand formuliertem Schwerpunkt der Spielzeit (Türkei) nichts zu tun hat, passt dieses Stück um brotlose Künstler mit seinem ganzen Elend hervorragend zur derzeitigen Situation der Wuppertaler Bühnen. So wirkte das auf die hintere Wand der Mansarde in großen Lettern geschriebene "Bereichert euch!" wie eine Ohrfeige für die derzeitige Kulturpolitik des Landes. Der Regisseur Jan David Schmitz und die Dramaturgin Ulrike Olbrich erläutern zwar im Programmheft, dass diese Aufforderung das Motto der vier Pariser Bohèmiens sei, welches  François Guizot als Credo der Julimonarchie des "Bürgerkönigs" Louis Philippe formuliert habe, und nun nicht mehr im materiellen, sondern im ideellen und emotionalen Sinn zu verstehen sei. Wenn aber auf der Rückseite der Wand dann im zweiten Akt eine Leuchtreklame mit dem Spruch "Spare bei uns" flackert, wird man das Gefühl nicht los, dass zumindest der Subtext sich auf der materiellen Schiene bewegt. 

Bild zum VergrößernColline (Michael Tews links), Marcello (Kay Stiefermann Mitte) und Schaunard (Olaf Haye rechts) treiben ihr Spiel mit dem Vermieter Benoît (Aldo Tiziani Mitte vorne) (im Hintergrund rechts: Rodolfo (Iago Ramos), in der Kammer unten links: Mimi (Sylvia Hamvasi)).

Überhaupt hat man die Mansarde, in der die vier Freunde im wahrsten Sinne des Wortes hausen, selten so schäbig gesehen. Carolin Roider hat auf vier Stahlträger mit Rollen eine Art Wellblechkubus gebaut, der nur über eine Leiter durch den Fußboden zu erreichen ist. Darin befindet sich außer dem Ofen zum Heizen keinerlei Mobiliar. Als Sitzgelegenheit fungieren zusammengebundene Bücher. Ein Tisch wird aus einem Bild mit untergestellten Blechblasinstrumenten gebaut. Marcello (Kai Stiefermann) bemalt zu Beginn die Rückwand in knalligem Rot, während Rodolfo (Iago Ramos) auf seiner Schreibmaschine tippt. Und unter der Mansarde befindet sich, die ganze Zeit sichtbar, Mimi (Sylvia Hamvasi), zunächst  nähend auf einer Heizung sitzend, dem einzigen Möbelstück in diesem winzigen Raum. Da ist nichts verklärend Romantisches, sondern es wird nackte Armut dargestellt.  Unterstützt wird dieser Ansatz noch von einem Regieeinfall, den Vermieter Benoît (Aldo Tiziani) vor seinem Auftritt in der Mansarde noch bei Mimi erscheinen zu lassen, um einige genähte Hosen abzuholen und bei der Gelegenheit die junge Frau sexuell zu belästigen, ein Verhalten, das sich mit Blick auf die späteren Enthüllungen im Gespräch mit den vier Freunden in der Mansarde durchaus rechtfertigen lässt.

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Rodolfo (Iago Ramos) und Mimi (Sylvia Hamvasi) bei ihrem ersten Treffen in der Mansarde.

Im Kontrast zu dieser schäbigen Unterkunft steht dann das Café Momus im zweiten Akt. Die Kostüme des Chors (ebenfalls von Carolin Roider entworfen) drücken ebenso wie ein riesiger Weihnachtsbaum, der nur aus Champagnergläsern in mehreren Etagen konstruiert ist, absolute Dekadenz aus. Da sprudelt der Champagner in die oberste Etage der Gläser, um, wenn sie gefüllt sind, nach unten in die darunter liegenden zu laufen. Trinken kann das keiner, Verschwendung pur. Dazu passt, dass der Spielzeughändler Parpignol (gesungen von Jung Wook Kim) in einem Clown-Kostüm wie ein Christbaum mit Spielzeug behängt vom Bühnenhimmel herabschwebt. Betont wird in der Inszenierung (und im Programmheft), dass die Bohèmiens bewusst vor dem Café Momus sitzen, weil sie keinen Zutritt bekommen. Auch hier bleibt die gesellschaftliche Trennung vorhanden. Warum Musetta (Elena Fink) allerdings in Begleitung des Vermieters Benoît erscheint, bleibt ein Rätsel, wobei auch an dieser Stelle die Charakterzeichnung des Benoît eine Verschmelzung mit dem eigentlich auftretenden Staatsrat Alcindoro rechtfertigen lässt, da beide ja auf ähnliche Weise von den Bohèmiens geprellt werden.

Der dritte Akt zeigt die gleiche Szenerie, nur der riesige Tannenbaum ist verschwunden. Ansonsten scheinen wir uns immer noch im Café Momus oder irgendeinem vergleichbaren Etablissement zu befinden, in dem Marcello nun als Maler engagiert ist. Auf den Stühlen und an den Tischen befinden sich noch die Reste der dekadenten Oberschicht, und vor dem Café befindet sich ein verdorrter Ast.  Im letzten Akt ist die Mansarde nahezu unverändert, nur Mimis Zimmer unterhalb der Mansarde ist verschwunden. Über die Rückwand lässt Marcello schwarze Farbe laufen, Sinnbild für den Tod?

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Heiligabend im Café Momus (vorne rechts: Colline (Michael Tews) und Schaunard (Olaf Haye) mit dem Chor, Extrachor, Kinderchor und der Statisterie).

Gesungen wird auf recht gutem Niveau. Iago Ramos (als Gast vom Theater Magdeburg) singt die Partie des Rodolfo sehr diszipliniert und sauber, wobei er es dankenswerter Weise vermeidet in den ein wenig angestrengten Spitzentönen zu schreien. Gerade diese Anstrengung führt aber dazu, dass er aufgrund der hohen Konzentration vor allem in seiner ersten Arie "Che gelida manina" das Spielen ein wenig vergisst und auch einige Tempiprobleme mit dem Orchester hat. Sylvia Hamvasi (als Gast von der Deutschen Oper am Rhein) legt die Partie der Mimi mit wunderschönen lyrischen Bögen an und verfügt über unglaubliche Kraftreserven. Auch optisch nimmt man dieser zierlichen Sängerin eine von Tuberkulose geschwächte junge Frau ab. Wenn sie am Ende stirbt, rührt ihr Gesang zu Tränen. Von ihrem sonstigen Spiel, vor allem vom Zusammenspiel mit Iago Ramos, kann man das aber leider nicht behaupten. Rodolfo gegenüber bleibt Mimi darstellerisch stets sehr kühl, wobei nicht ganz klar ist, ob es von der Regie so angelegt ist oder ob Iago Ramos und Sylvia Hamvasi als Paar einfach nicht harmonieren. Dies fällt vor allem am Ende des dritten Aktes auf, wenn Mimi und Rodolfo nach ihrem Duett "Addio... Che! Vai?" im Quartett mit Marcello und Musetta "Dunque è proprio finita" beschließen, noch bis zum Ende des Winters zusammenzubleiben. Während dieses innigen Duettes stehen die beiden einfach teilnahmslos nebeneinander, was die Sentimentalität der Musik kontrastiert. Auch bleibt Rodolfo nach Mimis Tod bewegungslos an der gegenüberliegenden Wand stehen.

Wesentlich mehr schauspielerische Aktion lässt sich bei den Ensemble-Mitgliedern Kay Stiefermann und Elena Fink beobachten. Kay Stiefermann avanciert mit seinem profunden Bariton und seiner überschäumenden Spielfreude in der Partie des Marcello zum Publikumsliebling des Abends. Er interpretiert den aggressiv eifersüchtigen Liebhaber genauso glaubhaft wie den am Tod Mimis verzweifelnden Freund. Mit Elena Fink als Musetta hat er eine kongeniale Partnerin an seiner Seite. Mit rotem Afro-Look spielt sie mit den Männern, trällert lasziv und formschön ihr "Quando me'n vo" und macht doch bei aller Oberflächlichkeit deutlich, dass sie im tiefsten Innern eine liebenswerte Person ist, die Mimi in ihrer Todesstunde beisteht und einen ihrer letzten Wünsche, den Muff, erfüllt. Auch Michael Tews überzeugt mit seinem sonoren Bass in der Partie des Colline. In einem braunen Bärenfellmantel stapft er - an Hagrid aus Harry Potter erinnernd - über die Bühne, um seinen Mantel dann der sterbenden Mimi zu opfern. Warum der Mantel aber nicht ins Leihhaus gebracht wird, sondern nur dazu dient, die sterbende Mimi zuzudecken, ist wohl genauso wie die Tatsache, dass keiner der Bohèmiens die Mansarde vor Mimis Todesstunde mehr verlässt, Regieeinfall. Jan David Schmitz sieht seine Bohèmiens wohl nicht so verträumt wie die Libretto-Vorlage. Sie erkennen wahrscheinlich sehr genau, dass ihre ganzen Handlungen die sterbende Mimi nicht retten werden. Warum soll Colline seinen Mantel also versetzen und ihn ganz aufgeben? So leiht er ihn Mimi, um sie in ihrer Todesstunde zu wärmen.

Bild zum Vergrößern Musetta (Elena Fink rechts) spielt mit Benoît (Aldo Tiziani rechts), um Marcello (Kay Stiefermann vorne Mitte) eifersüchtig zu machen (am Tisch von links: Mimi (Sylvia Hamvasi), Rodolfo (Iago Ramos), Schaunard (Olaf Haye) und Colline (Michael Tews)).

Olaf Haye vervollständigt als Musiker Schaunard das spielfreudige Männerquartett. Großes leistet auch der Chorleiter Jens Bingert, der neben dem Chor und dem Extrachor auch noch den Kinderchor der Wuppertaler Bühnen sehr spielfreudig ins Geschehen einbringt. Auch das Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Hilary Griffiths holt die feinen Nuancen aus Puccinis Partitur heraus und ist bei aller Dramatik stets darauf bedacht, die Sänger nicht zuzudecken.

So gibt es am Ende einhelligen Applaus für ein gut disponiertes Ensemble, ein herrlich aufspielendes Orchester und eine Inszenierung, die zwar vielleicht mit der einen oder anderen Sehgewohnheit bricht, dem Stück aber keinen Schaden zufügt und immer nachvollziehbar bleibt.


FAZIT

Eine sehr gelungene Spielzeiteröffnung, die weitere ausverkaufte Vorstellungen verdient hat.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hilary Griffiths

Inszenierung
Jan David Schmitz

Bühnenbild und Kostüme
Carolin Roider

Licht
Sebastian Ahrens

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Ulrike Olbrich



Chor, Extrachor und Kinderchor

der Wuppertaler Bühnen

Statisterie der
Wuppertaler Bühnen

Studierende der Hochschule
für Musik und Tanz Köln,
Standort Wuppertal

Sinfonieorchester Wuppertal


Solisten

*Besetzung der Premiere

Mimì
* Sylvia Hamvasi /
Banu Böke

Rodolfo
Iago Ramos

Marcello
*Kay Stiefermann /

Thomas Laske

Musetta
*Elena Fink /

Dorothea Brandt

Colline
*Michael Tews /

Thomas Schobert

Schaunard
*Olaf Haye /

Miljan Milović

Benoît
Aldo Tiziani

Parpignol
Jung Wook Kim

Sergente / Doganiere
Javier Zapata Vera

 





Weitere Informationen
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Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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